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Der noble CDU-Mann, der auch im Dienst der Nazis war

Der Autor Klaus Albertz hat eine interessante und lesenswerte, vielschichtige Biografie eines Mannes präsentiert, die in ihren Widersprüchen und Brüchen beispielhaft für die Generation führender Persönlichkeiten der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts steht.

Von Rainer Burchardt | 28.12.2009
    Der noble Theodor Steltzer ... nach dem Krieg Mitbegründer der Christlich Demokratischen Union in Berlin ... hatte mich eingeweiht in die Gedankengänge der maßgebenden oppositionellen Kräfte im Reich.

    Dies schrieb Willy Brandt in seinen "Erinnerungen" über eine seiner zahlreichen Begegnungen mit dem späteren ersten Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Theodor Steltzer. Trotz dessen Funktion im Dienste der Nazis in Norwegen schätzte Brandt den Norddeutschen wegen dessen christlich-humaner Haltung.

    Diese allerdings hat den 1885 im holsteinischen Trittau geborenen Steltzer zeitlebens zwischen Loyalität zu den Herrschenden und dem Widerstand hin bis zur Attentatsplanung gegen Hitler hin- und hergerissen. Steltzer war ein maßgebliches Mitglied des Kreisauer Kreises, mit dem Grafen Helmuth von Moltke eng befreundet, auch weil dieser zunächst eine ambivalente Haltung zum Attentat auf Hitler einnahm. Auch wenn Steltzer später Verständnis für die Attentäter äußerte, so verbot ihm nicht nur seine christliche Haltung den Tyrannenmord.

    In einer späteren Rede zum 20 Juli erklärte Steltzer im Jahre 1960:

    "Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des deutschen Widerstandes lagen nicht in der moralischen Grundhaltung, sondern im Bereich der politischen und praktischen Fragen. Das gilt auch für die Gründe, die manche, darunter auch mich, zu Gegnern eines Staatsstreichs machten und uns veranlassten, bei jeder Gelegenheit davor zu warnen. Ich würde auch den Geschwistern Scholl und den Mitgliedern der Weißen Rose von ihrem Aufruf abgeraten haben, falls sie mich gefragt hätten. Und doch muss ich rückschauend der Tat der Geschwister Scholl und den Aktivisten des 20. Juli Recht geben."

    Steltzers Biograf Klaus Albertz, der immer wieder tiefe Brüche im Leben des Politikers feststellen musste, konstatiert denn auch, dass Steltzer seine frühere Haltung zum Attentat erst spät revidierte:

    "Diese Haltung hat er während des Dritten Reiches nicht eingenommen,
    im Gegensatz zu Moltke, der letzten Endes dem Attentat zugestimmt hat.
    Ich habe einen Briefwechsel mit Freya von Moltke geführt, in dem sie mir bestätigt hat, dass Moltke letzten Endes zugestimmt hat. Theodor Steltzer hat sich in seiner Haltung der absoluten Ablehnung des Attentats auf Hitler im Kreise isoliert und hat seine Haltung letzten Endes angesichts des Elends an allen Fronten nicht mehr begründen können. Er hat sich immer sehr auf sein christliches Weltbild berufen hat aber den Schritt, den beispielsweise Bonhöffer getan hat, nicht tun können."

    Andererseits gehörte Steltzer in der Zeit seiner Abordnung nach Norwegen als "Bevollmächtigter Transportoffizier" beim Armeeoberkommando zu den "menschlichen Nazis", die verfolgte Norweger vor den Nazi-Schergen in Sicherheit brachten. Albertz bezeichnet Steltzers Kommandierung zum Besatzungsoffizier als einen "persönlichen Glücksfall". Durch seine Verbindungen mit führenden Vertretern des zivilen, militärischen und kirchlichen Widerstands sei dies eine glückliche Zeit mit gefährlichen Gratwanderungen gewesen, die Steltzer allerdings auch genossen habe.

    "Das gehört absolut auch zu seinen Brüchen. In Norwegen hat er seine sympathische, ergreifend menschliche Seite gezeigt. Er hat das Elend der Bevölkerung gesehen. Es ist ja so nicht bekannt, dass es auch in Norwegen Massenerschießungen gegeben hat, es hat Razzien gegeben, die Opfer dieser Razzien sind in Konzentrationslager gekommen. Hier hat Steltzer sehr segensreich gewirkt. Moralisch ist Norwegen eigentlich die große Sternstunde seines Lebens gewesen. Steltzer hat in Norwegen keine Juden gerettet, da täuscht ihn seine Erinnerung, ich habe das akribisch nachvollzogen. Er hat Akademiker gerettet, an der Universität Oslo hat er, in Anführungsstrichen, "normale Norweger" gerettet. Aber in Judenrettungsaktionen ist er in dem Sinne, wie er es schreibt, nicht involviert gewesen, die Judenrazzien haben Norwegen überraschend getroffen."

    Nach dem Krieg gehört Steltzer, wie Albertz schreibt, zu den Männern der ersten Stunde im zunächst besetzten Deutschland. Seine verachtende Ablehnung des Kaiserreichs, sein Bedauern über das Scheitern von Weimar und schließlich sein Schuldbewusstsein wegen seiner Ambivalenz zum Dritten Reich ließen ihn von einem neuen Deutschland mit christlich-freiheitlicher Prägung träumen.

    "Steltzer als Mann des Kreisauer Kreises hatte gehofft, dass nach dem Schock und der Katastrophe des Krieges alle Politiker sich an einen Tisch setzen würden und um die beste Lösung ringen würden. Zu seiner großen Enttäuschung musste er, der grundsätzlich ein Feind des Parteienwesens auch schon in der Weimarer Republik war, erkennen, dass sich sofort wieder Parteien gründeten mit einem scharfen Profil. Die junge CDU hat sich als Sammlungsbewegung des rechten Bürgertums verstanden, als Sammlungsbewegung auch deshalb, weil man aus der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers in Weimar lernen wollte und gelernt hatte."

    Als Mitbegründer der CDU und erster Ministerpräsident in Schleswig-Holstein musste Steltzer allerdings auch innerparteiliche Konfrontationen aushalten, die in Kiel schon damals das politische Klima bestimmten und zudem aus ideologischen Gegnern Feinde machten, wie sich später, in der Stoltenberg- und Barschel-Ära auf schlimme Weise erwies.

    "Man hat aufseiten der CDU in der frühen Nachkriegszeit sofort auf das Thema konfrontative Demokratie gesetzt, sozusagen im angelsächsischen Sinne, und nicht auf Konsensdemokratie wie Theodor Steltzer sich dies vorgestellt hatte. Er hat die CDU mitbegründet, aber eigentlich nur nolens volens, weil er schnell erkannt hatte, dass er sonst ohne jeden Einfluss wäre. Aber er hat unter diesen Parteiungen sehr, sehr gelitten. Hinzu kamen persönliche Feindschaften innerhalb der CDU und deshalb hat er schnell resigniert."

    Steltzer war nur neun Monate im Amt, von August 1946 bis April 1947. In der Folgezeit, bis zu seinem Tod im Oktober 1967, bekleidete er wichtige Funktionen etwa in der UNESCO, im Deutschen Kunstrat und der Gesellschaft für Auswärtige Politik.

    Der Autor Klaus Albertz hat eine interessante und lesenswerte, vielschichtige Biografie eines Mannes präsentiert, die in ihren Widersprüchen und Brüchen beispielhaft für die Generation führender Persönlichkeiten der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts steht.

    Rainer Burchardt über "Theodor Steltzer. Eine Biografie." Das Buch ist bei Boyens erschienen, es kostet 24,90 Euro und hat 397 Seiten.