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Der Nutzen des Bomben-Peaks

Medizin. - 1945 wurde die erste Atombombe gezündet, das nukleare Zeitalter war angebrochen. Danach machten die Supermächte Hunderte von oberirdischen Bombentests – mit der Folge, dass enorme Mengen an Radioaktivität in die Atmosphäre geblasen wurden. Wissenschaftler machen sich das heute zunutze, denn mit Hilfe dieser menschgemachten Belastung konnten sie herausfinden, wie alt menschliche Zellen im Körper sind.

Von Frank Grotelüschen | 07.06.2013
    "Less to a minute you will see the most powerful explosion ever witnessed by human eyes. This is the first full scale test of a hydrogen device."

    1. November 1952. Im Südpazifik zünden die USA die erste Wasserstoffbombe der Geschichte. Einer von mehreren 100 oberirdischen Kernwaffentests zwischen 1945 und 1963.

    "Als man dann feststellte, dass man durch diese Tests immer mehr Radioaktivität in die Atmosphäre bringt, haben mitten im kalten Krieg die Großmächte beschlossen: Das müssen wir aufhören!"

    1963 tritt ein internationales Abkommen in Kraft. Es verpflichtet die Atommächte, ihre Bomben fortan nur noch unterirdisch zu testen, damit keine Radioaktivität mehr in die Atmosphäre gelangt. Bomben-Peak, so nennen Experten wie der Wiener Physikprofessor Walter Kutschera die Zeit zwischen 1945 und 63. Diesen Bomben-Peak hat sich sein Team nun zunutze gemacht, und zwar für ein ungewöhnliches Forschungsprojekt.

    "Das, was uns besonders interessiert, ist ein Isotop vom Kohlenstoff. Das so genannte C14, was auch natürlich erzeugt wird durch die kosmische Strahlung. Der Eintrag der Bomben hat diesen natürlichen Gehalt erhöht um einen Faktor zwei. Im Jahr 1963 war der Gehalt an C14 in der Atmosphäre verdoppelt worden."

    Ebenso wie C12, wie normaler Kohlenstoff, wird C14 von Lebewesen aus der Atmosphäre gefischt und in den Organismus eingebaut. Menschen, die vor 1945 geboren sind, sollten also deutlich weniger C14 in sich tragen als Leute jünger als Jahrgang 63 – zumindest in jenen Organen, deren Zellen sich seit der Geburt nicht oder kaum erneuert haben. Kutschera:

    ""Wenn jemand so wie ich vor dem Bomben-Peak geboren wurde, zu einer Zeit, als noch kein zusätzliches C14 in der Atmosphäre war, und man nimmt dann, wenn ich gestorben bin, Zellen aus meinem Körper und findet einen C14-Gehalt, der erhöht ist über dem natürlichen, dann müssen die Zellen nach meiner Geburt gebildet worden sein, sonst könnten sie nicht so einen erhöhten C14-Gehalt haben."

    Und das bedeutet: Indem man den C14-Gehalt von Zellen misst, lässt sich deren Alter bestimmen. Sind zum Beispiel die Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen alle seit der Geburt vorhanden, oder können sich im Laufe des Lebens neue bilden? Um das zu klären, extrahierte Kutscheras Team gemeinsam mit Biologen des schwedischen Karolinska-Instituts die DNA aus den Nervenzellen Verstorbener – in diesem Fall aus dem Riechzentrum im Gehirn.

    "40 Prozent der DNA ist Kohlenstoff. Und da sind ein paar Atome vom C14 drin. Und die wollen wir nachweisen mit unserer Anlage."

    Die Anlage – das ist ein Beschleuniger-Massenspektrometer: Sie kann C14 von normalem Kohlenstoff trennen und die Konzentration genauestens ermitteln. Das Resultat war durchaus überraschend. Kutschera:

    "Es war bekannt, dass bei Tieren offenbar Neuronen erneuert werden, auch im Erwachsenenstadium. Beim Menschen war das nicht bekannt. Das Ergebnis war, dass beim Menschen offenbar, wenn überhaupt, nur ganz wenig neue Zellen gebildet werden im Riechzentrum. Das kann man vielleicht aus der Evolution heraus verstehen. Unser Riechsystem ist ja nicht so wichtig wie für Tiere."

    Mit derselben Methode wurden auch andere Zellen untersucht – Herzmuskel-Zellen. Können sie sich im Erwachsenenalter neu bilden?

    "Da hat man tatsächlich eine kleine, aber eindeutige Neubildung gefunden. Bis etwa zum 25. Lebensjahr werden ein Prozent der Zellen pro Jahr neu gebildet. Später wird diese Erzeugungsrate geringer. Aber selbst im höheren Alter wird ein gewisser Anteil der Herzmuskelzellen erneuert."

    Was durchaus einmal relevant sein könnte für die Entwicklung neuer Therapien. Und schließlich untersuchten die Experten auch jene Zellen, die hinter Hüftgold und Rettungsringen stecken – Fettzellen.

    "Mit C14 hat man herausgefunden, dass pro Jahr etwa zehn Prozent der Fettzellen neu gebildet werden. Und zwar unabhängig davon, ob jemand dick ist oder dünn. Was sich ändern kann, ist die Aufnahme von Fett pro Zelle."

    Und das spricht für die These, dass jemand, der an Gewicht zugelegt, nicht mehr Fettzellen bildet, sondern dass die schon vorhandenen Fettzellen an Volumen zunehmen, sich also regelrecht aufblähen.