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Der Ort, an dem sich Emotionen abbilden

Gesicht, Maske, Porträt. Diese drei sind schwer zu trennen. Und doch unternimmt Hans Belting in seiner "Geschichte des Gesichts" diesen Versuch. Das Gesicht zeigt und versteckt etwas. Belting untersucht seine Bedeutung im Laufe der Zeit.

Von Joachim Büthe | 23.09.2013
    Das wichtigste Wort im Untertitel dieses Buches ist der unbestimmte Artikel: eine Ge-schichte des Gesichts. Der Verlag spricht werbewirksam von der ersten Geschichte des Gesichts, doch sein Autor hat erkannt, dass es im Bereich der Kulturen keine Geschichte in der Einzahl geben kann. Er geht noch weiter. Obwohl wir täglich in den Massenmedien mit Gesichtern bombardiert werden, bleibt das lebendige Gesicht in dieser Bilderflut verborgen.

    "Ich bin zu meiner eigenen Überraschung immer mehr zu der Erkenntnis gekommen, dass die Bilder des Gesichts zwar aussagefähig sind, aber dass sie das lebendige Gesicht nicht einholen können, sondern dass das Gesicht eher als ein undarstellbares Motiv des Lebens hinter all diesen Versuchen, es in Bilder zu bringen, zurückbleibt."

    Wenn wir Abbildungen von Gesichtern betrachten, sehen wir einen eingefrorenen Mo-ment oder auch eine Bearbeitung von Gesichtern, die dessen ständige Bewegung still stellt. Zwar können wir die Basisemotionen wie Angst, Trauer, Schmerz erkennen, denn ihr Ausdruck liegt bereits fest, bevor sich die Kulturen entwickelten. Doch was sehen wir darüber hinaus?

    "Die Paradoxie ist hier, dass sich das Gesicht sehr wenig verändert hat über sehr lange Zeiträume, jedenfalls in seiner lebendigen Praxis. Es verändert sich bei jedem einzelnen Menschen natürlich sehr stark, aber dass die Bilder jeweils die gesellschaftlichen Konven-tionen übernehmen. Die Bilder werden ja dazu produziert, um sich ein Bild davon zu ma-chen, wie man das Leben versteht. Die Geschichte der Abbildungen des Gesicht, der Me-dien des Gesichts, ist so abenteuerlich vielfältig, wenn man allein in der westlichen Kul-tur bleibt, dass man im Grunde kaum glauben kann, dass das Gesicht diesen Wandel nicht mitgemacht hat, sondern nur in seinen Abbildungen."

    Das Gesicht ist der Ort, an dem sich die Emotionen abbilden, die wiederum überformt werden von Konventionen, von gesellschaftlichen Rollen, ja sogar von Moden. Es zeigt etwas, und es versteckt etwas. Es passt sich der Rolle an, die wir zu spielen gedenken. Wenn man, wie Hans Belting, dieser Dialektik auf der Spur ist, dann beginnen die Unter-schiede zwischen Gesicht und Maske zu verschwimmen.

    "Ich mache ja die kühne Behauptung, andere Kulturen haben Masken, die Europäer haben dafür das Portrait. Das ist sozusagen eine Gegentheorie gegen die meisten Darstellungen des Portraits, nämlich besonders ähnlich, lebensähnlich zu sein, ein individuelles Gesicht wiederzugeben. Mir war wichtig, diesen starren Dualismus, hier gibt es das Gesicht, dort ist die Maske, das eine ist echt, das andere ist falsch, das eine ist authentisch, das andere lügnerisch, in Frage zu stellen. Und damit zu zeigen, dass auch das eine kulturelle Option ist, die eingeübt worden ist, vor allem in der frühen Neuzeit, in der Zeit der höfischen Gesellschaft."

    Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Physiognomie des Portraitierten wird man dem Portrait nicht absprechen können. Doch zugleich ist die Rolle, die er spielt, die Situation, in der das Bild entsteht, immer mit im Bild. Besonders die Künstler, die sich selbst portraitiert haben, mussten dies immer wieder schmerzlich erfahren.

    "Die Maler, die sich selbst malen, haben das immer mit dem Bewusstsein getan, im Grunde das Selbst zu verfehlen, d.h. nie an den Kern des Selbst im Bild zu stoßen, sondern ein anderes Ding, eine Oberfläche abzubilden. Sie haben versucht, aus diesem Konflikt heraus, neue kühne Lösungen für das Portrait zu schaffen."

    Die Geschichte des Selbstportraits ist voller Versuche, das Gesicht hinter der Maske des Portraits wiederzufinden. Auch, indem man selber Masken ausprobiert und, wie es z. B. Rembrandt getan hat, zum Schauspieler seiner selbst wird. Diese Zweifel haben sich im 20. Jahrhundert, bei Künstlern wie Francis Bacon oder Arnulf Rainer, zur Attacke auf die Gattung Portrait selbst radikalisiert.

    "Ich glaube, bei den Versuchen das Portrait zu zerstören, ging es immer wieder darum, hinter das Portrait zurückzukommen, hinter dem Portrait wieder das Gesicht zu finden, also ein Lebendiges zu suchen, das im Portrait eher erstarrt ist. Also diese problematische Beziehung zwischen Abbildung und Vorbild, die wir da immer wieder erleben. Ich glaube, dass man immer wieder das Gesicht aufgegeben hat, im Grunde hat man aber nur eine Abbildung aufgegeben, eine Abbildungsform, eine Konvention aufgegeben."

    Die Aufgabe des Gesichts. Im 20.Jahrhundert war sie auch damit verbunden, dass man das Ich, die Individualität selbst, in Frage gestellt hat. Die Zweifel an der Lesbarkeit des Gesichts sind jedoch älter. Belting stellt dar, wie nach dem Scheitern der Physiognomik eines Lavater, der noch glaubte, in Gesichtern lesen zu können, die Individualität an anderer Stelle gesucht wurde. Zunächst in der Schädelkunde, die keine brauchbaren Ergebnisse hervorbrachte, dann in der Hirnforschung, für die das Gesicht keine Rolle mehr spielt. Dennoch bleibt das Gesicht präsent und die von ihm konstatierte abenteuerliche Vielfalt seiner Abbildungen präsentiert und analysiert Hans Belting eindrucksvoll. Seine besondere Sympathie gilt dabei Nam June Paik, der die Dialektik von Portrait und Maske ironisch ins Bild setzt.

    "Es gibt keine wichtige Arbeit von mir, in der nicht Paik vorkommt. Ich habe in zwei-mal in diesem Buch eingebracht. Einmal mit den Illustrierten-Darstellungen von Marylin Monroe, die auf jedem Titelblatt, auf jeder Zeitung anders aussieht und trotzdem immer Marylin Monroe ist. Auf der anderen Seite hat mir sehr gefallen eine Arbeit aus den sechziger Jahren, wo er immer wieder versucht, mit den Händen sein Gesicht zu zeigen oder es mit den Händen wie in einer Maske zu verbergen. Das hat er dann nach zwanzig Jahren in einem Bronzeportrait gemacht, die einzige Portraitskulptur, die ich kenne, die die Hände vorm Gesicht hat. Dann hat er sich wieder mit diesem Portrait, dieser Maske vor das Video gesetzt und ist quasi dreimal in dieser Installation, in dieser Performance vertreten. Einmal im Film von Ramsbott, einmal mit dem Bronzeportrait und einmal selber. Aber was heißt selber? Das ist ja auch wieder nur ein Foto. D.h. er ist dreimal nicht da."

    Eine Geschichte des Gesichts. Im Nachwort beschreibt Hans Belting auch seine Zweifel, ob dieses maßlose Thema überhaupt zwischen zwei Buchdeckel zu fassen sei. Es ist allumfassend und allgegenwärtig. Keine politische Partei, keine Werbekampagne kommt ohne ein Gesicht aus, das sie repräsentiert. Nach der Lektüre dieses Buches wird man die Klischees besser erkennen und kritischer betrachten, die damit verbunden sind. In einem Epilog widmet sich Belting der digitalen Bildwelt, die Abbildungen von Gesichtern generieren kann, die nicht mehr an lebendige Träger gebunden sind. Ist die enge Verknüpfung von Gesicht und Maske damit aufgehoben?

    "In den Abbildungen ja, aber das Gesicht wird davon eigentlich nicht tangiert. Das ist ja die Ironie der ganzen Sache. Man kann noch so viele digitale Phantasieprodukte ma-chen. Die Krise tritt erst ein, wenn man Gesichter selber programmieren würde, was durchaus vorstellbar ist durch Genmanipulation oder Gesichter chirurgisch zu bearbeiten, dass sie eigentlich ganz andere darstellen. Aber das sind Dinge, die nicht mit der digitalen Bildwelt zusammenhängen, sondern eher mit dem Eingriff in die Natur. Das sind dann die wirklich gravierenden Dinge, aber die digitale Bildwelt… Man kann das auch anders sehen. Sie hat sich die Freiheit geschenkt von der Abbildung von Gesichtern. Indem man die Gesichter selber formt nach seinem Belieben hat man den Referenten verabschiedet und meint trotzdem Gesichter."

    Buchinfos:
    Hans Belting: "Faces. Eine Geschichte des Gesichts"
    Verlag C.H. Beck, gebunden, 343 Seiten mit 134 Abbildungen, 29,95 Euro, ISBN-13: 978-3406644306