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Der Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt

Das Internet ist zwar schon seit Jahren eine wichtige Plattform für chinesische Regierungskritiker - doch erst seitdem Mikrobloggs wie Weibo zu einem Massenphänomen geworden sind, hat es massiv an Einfluss gewonnen. Doch auch die Regierung nutzt die Blogs inzwischen gezielt für ihre Zwecke.

Von Silke Ballweg | 06.01.2012
    Eine ganz alltägliche U-Bahnfahrt in Peking. Wie so oft ist es voll im Waggon, alle Sitzplätze sind besetzt, viele Fahrgäste stehen dicht gedrängt zwischen den Sitzreihen. Einige lesen Zeitung, andere plaudern mit Freunden und Kollegen. Dazwischen eine junge Frau im roten Mantel, blass geschminkt, die Augenbrauen akkurat nachgezogen, Sie blickt konzentriert auf ihr Handy, das für sie längst viel mehr ist als ein Telefon:

    "Ich bin Schauspielerin, und ich lese im Internet Mikroblogs, ich lese vor allem Nachrichten und Informationen rund um meine Arbeit. Wer welchen Filmen dreht, was es für Jobs gibt. Mich interessiert, was meine Kollegen darüber schreiben, welche Erfahrungen sie machen."

    Ein paar Meter weiter sitzt der 24 Jahre alte Xi Ming Hui. Auch er nutzt die Fahrt und liest auf seinem Smartphone kurze Nachrichten – auch "Mikroblogs" genannt – im Internet.

    "Ich lese Mikroblogs bei fast jeder Bahnfahrt. Die lese ich mittlerweile viel häufiger als Zeitung. Manchmal schreibe ich auch selbst oder ich leite interessante Nachrichten an andere weiter. Zeitungen sind ja kontrolliert, da stehen oft nicht so spannende Sachen drin, aber bei Weibo finde ich viele verschiedene Meinungen und Ansichten, das finde ich spannender."

    Rund 500 Millionen Chinesen nutzen mittlerweile das Internet. Etwa die Hälfte davon, also 250 Millionen, sind bei Weibo registriert. Weibo ist Chinesisch und bedeutet Mikroblog. Mehrere chinesische Internetunternehmen bieten Weibo an, also die Möglichkeit, im Internet Kurznachrichten zu schreiben und zu lesen.

    Weibo funktioniert wie das amerikanische Vorbild Twitter: Man kann per Handy oder übers Internet Mitteilungen in einer Länge von maximal 140 Zeichen verschicken – twittern, wie es heißt. Weil die chinesische Regierung Twitter nicht kontrollieren kann, hat sie den amerikanischen Dienst schon vor längerer Zeit gesperrt und stattdessen Weibo ins Leben gerufen. Ihre Server stehen innerhalb Chinas – und damit im Einflussbereich der Regierung.

    Im vergangenen Jahr hat jedoch ein regelrechter Weibo-Boom eingesetzt: 2011 ist die Zahl der Neuanmeldungen um mehr als 200 Prozent gestiegen – und die der Mikroblogs geradezu explodiert: Ein Boom, der die Zensur zunehmend an ihre Grenzen führt.

    "Sehr viele Intellektuelle und auch viele unabhängige Denker wie Ai Weiwei benutzen Weibo."

    Sagt dieser Blogger und Internetexperte, der seinen echten Namen lieber nicht nennen will. Wir nennen ihn Xu.

    "Sehr viele öffentliche Debatten nehmen bei Weibo ihren Anfang."

    Das Internet mit seinen im Prinzip unbegrenzten Informationen ist in China ein heiß umkämpfter Ort. Die Frage, wie man es zensieren kann, beschäftigt Chinas Machthaber schon seit seiner Einführung. 1998 wurde eigens das Ministerium für Informationsindustrie errichtet, um die Inhalte im Netz zu kontrollieren. Wichtige, weil beliebte Webseiten erhalten regelmäßig Direktiven, welche Informationen zu verbreiten sind und welche nicht. Eine ganze Reihe von Hompages sind komplett gesperrt, darunter die von Amnesty International, Facebook, oder eben Twitter Zusätzlich filtert eine Computersoftware heikle Begriffe. Ausdrücke wie "Massaker am Platz des Himmlischen Friedens" werden von dieser Software erkannt und gar nicht erst online gestellt, beziehungsweise im Nachhinein gelöscht.

    Weibo stellt die Regierung nun vor eine neue Herausforderung: Es höhlt die Zensurmechanismen des chinesischen Internet aus – das macht das Phänomen so spannend. Wer bei Weibo registriert ist, kann Nachrichten innerhalb weniger Sekunden auf seinem Konto veröffentlichen. Andere Nutzer können diese Nachrichten dann lesen. Man kann bei Weibo auch gezielt die Nachrichten anderer Nutzer abonnieren, dann erhält man jede Meldung, die sie verschicken.

    Weibo ist also ein Medium, mit dessen Hilfe sich jeder unkompliziert mit anderen vernetzen kann. Ein paar Tasten auf dem Handy oder auf der Tastatur gedrückt – schon ist der Kontakt mit einem beliebigen Menschen hergestellt. Genau das mache die Mikroblogs so beliebt, sagt Chen Tong. Er ist Chefredakteur des chinesischen Onlineportals Sina.com, dem größten Mikroblog-Anbieter.

    "Weibo ist eine gute Plattform, um Informationen und Nachrichten auszutauschen und weiterzuverbreiten. Und die Transparenz ist auch wichtig, die Nachrichten kommen ja direkt von den Menschen, und es ist eben auch so interessant, weil man seine Meinung sagen kann."

    Jeden Tag werden bei Weibo rund 80 Millionen Nachrichten verschickt. Bei vielen geht es um alltägliche Informationen für Freunde und Bekannte. . Aber immer öfter werden auch aktuelle Ereignisse heiß diskutiert. Dann machen Millionen Chinesen bei Weibo ihrem Ärger Luft und schreiben zum Teil ganz unverblümt, was sie denken. Michael Anti ist einer der international bekanntesten chinesischen Blogger. Weibo verändere China, sagt er:

    "Die Menschen lernen zum ersten Mal, was es bedeutet, wenn Informationen nicht zensiert sind. Deswegen ist Weibo so wichtig, Weibo verändert das Denken der Chinesen, es stößt die Leute nach vorne, dahin, wo sie mehr Informationsfreiheit, mehr Medienfreiheit wollen."

    Was das bedeutet, hat sich in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit mehreren Ereignissen gezeigt: Etwa, als im Sommer zwei Hochgeschwindigkeitszüge im Süden Chinas aufeinanderprallten. Mindestens 40 Menschen starben bei dem Unfall, Dutzende wurden schwer verletzt. In China entbrannte daraufhin eine Diskussion über die Ursachen des Unglücks.

    Die staatlich gelenkten Medien durften diesen Unmut nur in einem gewissen Rahmen abbilden. Bei Weibo aber entlud sich der ungefilterte Volkszorn: China verkaufe seine Seele, schimpften dort viele, weil es nur noch höher schneller weiter wolle. Für die rasante wirtschaftliche und technologische Entwicklung nehme die Regierung mittlerweile schon Tote und Verletzte in Kauf.

    "Innerhalb von fünf Tagen schrieben zehn Millionen Chinesen zu dem Thema, plötzlich erkannten auch die Behörden die ungeheure Bedeutung von Weibo."

    erzählt der Blogger Michael Anti. Das Internet ist zwar schon seit Jahren eine wichtige Plattform für Regierungskritiker – doch erst seitdem Weibo zu einem echten Massenphänomen geworden ist, hat es einen solchen Einfluss gewonnen.

    Auch der chinesische Künstler Ai Weiwei, der seit Jahren den Machtanspruch der chinesischen Regierung kritisiert, nutzt die Mikroblogs. Er hält Weibo vor allem mit Blick auf Chinas junge Generation für wichtig:

    "Es erzieht eine ganze Generation. Die jungen Leute wissen nichts über Politik, sie wissen nicht, was während der Kulturrevolution passiert ist, sie wissen kaum etwas über die jüngere Geschichte. Aber bei Weibo werden sie plötzlich zensiert und kontrolliert, wegen eines einzigen Satzes verschwindet vielleicht ihr ganzes Weibo-Konto. Das macht sie wütend. Und so fangen einige schließlich an, aktiv zu werden."
    Zu denen, die aktiv geworden sind, gehört der 38-jährige Wu Gan: Der stämmige Chinese mit Glatzkopf und Brille ist ein chinesischer Blogger, seit fast vier Jahren verbringt der ehemalige Angestellte einen Großteil seiner Zeit online. Unter seinem Bloggernamen, der übersetzt in etwa "besonders vulgärer Metzger" bedeutet, macht Wu Gan im Internet auf Missstände aufmerksam und deckt immer wieder Fälle von Korruption auf.

    "Das Internet hat zwei wichtige Aufgaben. Zum einen macht es meine Stimme hörbar, es verschafft mir Gehör. Und dann ist es eine Waffe. Mit der kann ich mich einerseits verteidigen. Aber ich kann damit auch Druck auf die Behörden und auf Politiker ausüben."

    Der "Metzger" hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach in Konfliktfälle zwischen Bürgern und Obrigkeit eingemischt. Etwa im Mai 2009: Eine junge Frau hatte einen Beamten erstochen – nach eigener Aussage, um sich vor einer Vergewaltigung zu schützen. Die Polizei wies sie jedoch nach der Tat in eine Psychiatrie ein. Der "Metzger" las im Internet von diesem Fall - und nahm Kontakt mit den Eltern der jungen Frau auf:

    "Ich habe ihnen Hilfe angeboten und vorgeschlagen, in Peking einen Anwalt zu besorgen. Und dann bin ich mit den Eltern ins Krankenhaus gefahren und wir haben mit der Krankenhausleitung gesprochen. Die Eltern hatten ihr Kind bis dahin nicht sehen dürfen."

    Wu Gan dokumentierte bei dieser Aktion jeden Schritt im Internet. Er schrieb, wohin er wann ging, wen er warum traf und postete Fotos, etwa von dem Krankenhaus, in dem das Mädchen lag. Der Blogger machte sein Handeln übers Internet ganz bewusst transparent. Zum einen, um sich selbst zu schützen, denn so war immer bekannt, wo er sich gerade aufhielt. Zum anderen aber auch, um die Leser an die Geschichte zu binden. Denn der "Metzger" besaß in der Auseinandersetzung mit den Behörden nur deshalb Macht, weil eine kritische Öffentlichkeit übers Netz genau beobachtete, was passierte.

    "Ich versuche, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen und wenn es geht, auch klassische Medien einzuschalten. Denn je mehr Leute zuschauen, desto schwieriger wird es für die Regierung. Aber das heißt natürlich auch: Es wird dadurch für die Betroffenen besser."

    Tatsächlich verfolgten immer mehr Leser die Angelegenheit um das Mädchen und das Krankenhaus im Internet. Der Blog des "Metzgers" wurde innerhalb weniger Tage mehrere Millionen Male angeklickt. Schließlich berichteten auch die Zeitungen darüber.

    Die Behörden gerieten wegen der öffentlichen Kritik unter massiven Druck: Und so erlaubte die Krankenhausleitung schließlich, dass die Eltern ihre Tochter sehen durften. Das Mädchen selbst kam einige Wochen später vor Gericht: Dort wurde sie zwar schuldig gesprochen, blieb aber straffrei. Ohne das Internet, ohne Wu Gangs Intervention wäre die Sache für die junge Frau vermutlich anders verlaufen. Das Netz ist für den "Metzger" unverzichtbar geworden:

    "Ohne das Internet wäre das alles nicht möglich. Denn nur über das Netz kann ich Unterstützer finden, Sponsoren und Freiwillige mobilisieren. Und überhaupt: Ohne das Internet könnte ich auf die Fälle von Korruption ja gar nicht aufmerksam machen."

    Ortswechsel: Im Pekinger Galerienviertel 798 (Seven Nine Eight) im Nordosten der chinesischen Hauptstadt sitzt ein Gitarrist sitzt auf einem Klapphocker, vor sich zum Verkauf ein Stapel Musik-CDs. Das ausgedehnte, ehemalige Fabrikgelände ist zu einem Publikumsmagneten geworden. In den ehemaligen Werkshallen haben Dutzende Galerien eröffnet. Tausende Besucher kommen täglich, um sich hier zeitgenössische chinesische Kunst anzuschauen. Deswegen haben auch die sogenannten "Gao-Brüder" hier vor Jahren ein Atelier angemietet. Doch die beiden Künstler müssen die Türen zu ihrem Studio verschlossen halten. Ihre Kunst ist der Regierung ein Dorn im Auge, sie ist zu politisch. In China dürfen sie sie nicht zeigen. Wenn die Brüder sich in öffentliche Debatten einmischen wollen, nutzen sie Weibo. Aber auch da läuft nicht immer alles glatt, erzählt der jüngere der beiden, Gao Qiang.

    "Unsere Blogs werden immer wieder geschlossen, deswegen haben wir schon mehrere Konten angemeldet. Am Anfang war unser Weibo-Name Gao Brüder, dann Gao Brüder Kunst, Gao Brüder Atelier und dann haben wir uns auch englische Namen gegeben. Aber wir werden immer wieder gesperrt."

    Für die beiden Künstler ist Weibo weit mehr als eine Informationsquelle: Sie ist eine Plattform zur Aufklärung. Die beiden sind aber überzeugt, dass das Phänomen Weibo auch der Regierung nutzt:

    "China ist derzeit wie eine Art Dampfdrucktopf. Es herrscht unglaublich viel Druck im Land. Und Weibo ist wie ein Ventil, aus dem Druck entweichen kann. Die Leute schreiben sich bei Weibo ihren Ärger von der Seele, und dann machen sie weiter wie vorher und halten alles aus. Aber das soll die Bedeutung von Weibo gar nicht schmälern, Weibo ist wichtig, weil immer mehr Leute ihre Meinung ausdrücken."

    Die Regierung nutzt Weibo mittlerweile auch ganz gezielt für ihre Zwecke: Rund 20.000 Accounts gehören offiziellen Angaben zufolge Behörden und öffentlichen Institutionen, die auf diesem Wege über ihre Arbeit informieren. Darüber hinaus soll es aber auch staatlich bestellte Autoren geben die sich quasi "under cover" an heiklen Diskussionen beteiligen und sie mit den entsprechenden Argumenten in die offizielle Argumentationslinie lenken sollen.

    Dennoch ist Weibo zu einer der wichtigsten Quelle für unabhängige Journalisten geworden: Li Hongwei, Redakteur bei der englischsprachigen Tageszeitung Global Times warnt zwar davor, jeder Meldung bei Weibo ungeprüft Glauben zu schenken. Aber einen Arbeitstag ohne Mikroblogs kann er sich gar nicht mehr vorstellen:

    "Jeden Morgen, vor der ersten Konferenz, informiere ich mich bei Weibo, ich schau nach, was los ist und welche Themen diskutiert werden. Weibo ist einfach das schnellste Nachrichten-Medium, viel schneller als Radio oder Fernsehen."

    Die chinesische Regierung lässt nichts unversucht, um Weibo zu zensieren. Erst vor Kurzem hat sie erneut die Kontrollen verschärft. Nutzer müssen sich jetzt mit ihrem echten Namen anmelden – zuvor war auch ein Fantasiename erlaubt gewesen. Darüber hinaus übe die Regierung auch Druck auf die Mikroblog-Anbieter aus, erklärt Blogger Michael Anti: Dieser bringe diese Unternehmen von ganz alleine dazu, ungewollte Informationen zu löschen.

    "Die Regierung legt die rote Linie fest, die nicht überschritten werden darf, und Weibo richtet sich dann danach, denn das Unternehmen weiß: Die Regierung kann Weibo jederzeit die Lizenz entziehen, und dann sind sie raus aus dem Business."

    Rein rechtlich stimmt jeder Weibo-User der Zensur sogar zu. Denn bei der ersten Registrierung unterzeichnet er einen Vertrag, in dem er sich dazu verpflichtet, keine Staatsgeheimnisse preiszugeben oder keinen Umsturz herbeizuführen. Andernfalls habe das Unternehmen das Recht, die Nachricht wieder zu löschen. Was im konkreten Alltag dann jedoch genau unter Gummibegriffe wie "Staatsgeheimnis" oder "Umsturz" fällt, das legen die Mitarbeiter von Weibo fest, sagt Sina-Chefredakteur Chen Tong. Ausführlich will er sich zu dem Thema nicht äußern. Er sagt nur soviel:

    "Wir entscheiden, was ein sensibles Thema ist. Aber manchmal ruft die Regierung auch mit speziellen Wünschen an. Aber das passiert eher selten."

    Ein ganzes Team ist bei Weibo damit beschäftigt, rund um die Uhr Blogs zu lesen und unliebsame Informationen zu löschen. Doch bei aktuellen Ereignissen hinkt die Zensur hinterher, denn die Cyber-Polizisten müssen ja erst einmal von einer brisanten Information bei Weibo Wind bekommen, bevor sie sie löschen können. Und bei rund 80 Millionen Kurznachrichten täglich ist es eigentlich so gut wie unmöglich, den Überblick und damit die Kontrolle zu behalten. In der ebenso blitzschnellen wie kurzlebigen Internet-Welt stößt jegliche Zensur schnell an Grenzen.

    Und so wurde Weibo kürzlich sogar zu einem Medium politischer Mobilisierung. Als nämlich Chinesen kürzlich dazu aufriefen, dem Künstler Ai Weiwei im Streit mit den Steuerbehörden Geld zu leihen, verbreitete sich diese Meldung über das Internet innerhalb kürzester Zeit, erzählt der Blogger und Internetexperte Xu: Die Zensoren seien schlicht zu langsam gewesen. Bevor sie entdeckten, dass die Aufrufe bei Weibo kursierten, hatten Zehntausende sie schon gelesen.

    "Die Aufrufe, Geld zu spenden, die standen ursprünglich bei Twitter. Aber einige Chinesen haben die Nachricht zu Weibo, also auf die chinesischen Mikroblog-Seiten weitergeleitet und so haben schließlich 30.000 Leute Ai Weiwei Geld geliehen. Dabei ging es nicht nur darum, Geld zu verleihen, die ganze Aktion war eher ein Akt der Bürgerbewegung. Die Leute, die Geld spendeten, haben ihre Stimme erhoben und sich gegen die Regierung gestellt. Sie haben ihre Meinung kundgetan. Das war schon fast ein historisches Ereignis."

    Weibo und das Internet liefern den Chinesen neue Freiheiten, aber grenzenlos sind die keinesfalls. Big Brother liest mit - so drückt es Michael Anti aus. Die Regierung wisse ganz genau, wer sich für heikle Themen interessiere und wer nicht.

    "Die Regierung sieht, ob Du eine politisch problematische Person bist, nämlich dann, wenn Du bei Weibo politisch problematische User abonnierst. Wenn Du vor allem Anwälte und Aktivisten abonnierst, dann kann die Regierung erkennen, dass Du Dich politisch interessiert und vielleicht irgendwann aufmüpfig wirst. Du hinterlässt bei Weibo ein Profil, und anhand dessen kann man erkennen, ob Du dem System gefährlich werden kannst"

    Dennoch befindet sich die chinesische Regierung in einer Art Zwickmühle. Denn wenn sie zu viel zensiert und die Seiten zu streng kontrolliert, überspringen Chinesen mit Spezialsoftware die Firewall und gehen ins unkontrollierte, internationale Netz. Etwa zu Twitter. Und dann hat die Regierung überhaupt keine über Kontrolle mehr über das Surfverhalten der Internetnutzer. Wie wichtig die ist, hat sich für die chinesischen Machthaber einmal mehr bei den Revolutionen im arabischen Raum gezeigt:

    "Bei den Umwälzungen in Tunesien, da sprachen wir von einer Facebook-Revolution, das stimmt. Aber entscheidend dafür war, dass der Server von Facebook in den USA steht. Die tunesische Regierung hatte keinen Zugriff auf diesen Server, sie wusste nicht, wer sich mit wem vernetzte, wer Deine Freunde sind. Aber hier in China ist das anders. Der Server und die Daten der Chinesen sind hier. Und im Zweifelsfall kann man Dich schnell finden."

    Blogger und Zensoren liefern sich im chinesischen Internet eine Art Katz- und Maus-Spiel, sagt Blogger Xu:

    "Und dieses Spiel gewinnt die Maus. In China gibt es heute schon 500 Millionen Internet-User. In ein paar Jahren werden es 800 Millionen sein. Aber wie viele Leute arbeiten als Zensor bei der Webseite? Selbst wenn es ein paar zehntausend sind, ist das doch eigentlich ein Witz. Es reicht einfach nicht. Außerdem schreitet die technische Entwicklung immer weiter voran, die Regierung kann nicht alles kontrollieren."

    Ist die Internetplattform Weibo also eine Revolution für die chinesische Gesellschaft? Diese Einschätzung geht Blogger Michael Anti zu weit. Denn Aufrufe zu Demonstrationen, Versuche, eine politische Veränderung herbeizuführen – die würden von der Regierung schnell und kompromisslos unterdrückt:

    "Das Phänomen Weibo dreht sich um Information und Zensur. Von politischen Kampagnen oder zivilgesellschaftlichen Bewegungen handelt es aber nicht. Weibo bedeutet: Informationsfreiheit: Ja! Aber politische Veränderung: Das bedeutet es nicht."
    Weibos, der chinesische Mikroblogdienst. Wie bei Twitter ist die Zeichenlänge begrenzt.
    Weibo, der chinesische Mikroblogdienst. Wie bei Twitter ist die Zeichenlänge begrenzt. (Screenshot Weibos)
    Der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei vor seinem Haus in Peking
    Nach Aufrufen über Mikroblogs liehen rund 30.000 Chinesen dem Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei Geld für den Streit gegen die Steuerbehörden. (picture alliance / dpa - Kyodo)