Donnerstag, 25. April 2024

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Der Osten als Vorreiter

Der Dresdner Zwinger an einem sommerlichen Montagabend im August. Rund 4.000 Menschen machen sich auf den Weg durch die Stadt.

Von Yvonne Unger | 18.11.2004
    (Mann) Randstad da vorne – da sollte ich für 4,15 Euro auf Montage gehen als Maler für 4,15 Euro.

    (Frau) ... Gerecht ist das nicht mehr. Im Osten sicher noch etwas extremer, aber ich denke schon, dass es systembedingt ist – letztlich für ganz Deutschland.
    (Mann) Dazu kann ich sagen, dass ich mir selbst einen Job gesucht hab im Weinberg an der Mosel.
    Die Arbeit ist sehr schwer und ich verdiene dort 5 Euro die Stunde - brutto. Das wird nicht honoriert. ...


    Während die Montagsdemonstrierer an den Straßenlokalen der Dresdner Altstadt vorüberziehen, lassen sich hier Touristen aus Rheinland-Pfalz sächsisches Spezialitäten schmecken.

    Umfrage Touristen

    Wir haben im Griechenlandurlaub kennengelernt einen Computerfachmann aus Leipzig, der hat uns gesagt, was er verdient, da war ich ein bisschen schockiert, das war genau die Hälfte von dem, was ein Bekannter von mir verdient, der dasselbe macht, die gleiche Branche. Das war mir nicht bewusst.

    Kaum jemandem ist bewusst, dass der Lohn West schon lange nicht mehr das Maß für das Einkommen Ost ist. Im Gegenteil: Jetzt passt sich der Westen dem Osten an. Der flexible Arbeitsmarkt in Ostdeutschland und die Konkurrenz in Osteuropa setzen Westdeutschland unter Druck. Künftig wird man auch hier für weniger Geld länger arbeiten müssen. Davon ist Arbeitsmarktexperte Martin Werding vom Münchner Ifo-Institut überzeugt:

    Die Löhne im Westen müssen runter gehen – und der Abstand der ostdeutschen Löhne zu den unseren ist heute im Durchschnitt so 30 / 40 Prozent – ungefähr soweit müssten wir wahrscheinlich gehen, um die Wettbewerbsfähigkeit wieder voll herzustellen. Gleichzeitig müssen aber die Löhne im Osten auch noch ein bisschen weiter sinken.

    Denn im Durchschnitt sei dort die Produktivität niedriger als im Westen – allerdings müsse man berücksichtigen, dass Produktivität nach vielen verschiedenen Kriterien bestimmt werde.

    Als bei der Wiedervereinigung den ostdeutschen Arbeitern an das westdeutsche Niveau – bis ´96 war geplant – war die Idee im Grunde, Niedriglohnkonkurrenz im eigenen Land zu vermeiden – und was wir uns dadurch eingehandelt haben, ist ein viel zu geringes Maß an Investitionen in Ostdeutschland und letzten Endes haben wir die Niedriglohnkonkurrenz durch die EU-Erweiterung trotzdem unmittelbar vor der Haustür – und müssen uns genau diesem Konkurrenzdruck stellen, den wir eigentlich vor 13 Jahren schon hätten aufnehmen sollen.


    Dieser Konkurrenzdruck wird in Ostdeutschland längst spürbar. Bei durchschnittlich 20 Prozent Arbeitslosigkeit nehmen ostdeutsche Arbeiter einiges in Kauf, was die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung anbelangt. So wie der Maler Bernd Rose aus Erfurt. Seit 25 Jahren ist er im Maler- und Mauergeschäft. Weil es immer schwieriger wurde, eine Anstellung zu finden, arbeitet er Kilometer von zu Hause entfernt – für einen niedrigen Lohn bei Leihfirmen.

    Die Regierung verlangt ja von uns, dass wir flexibel sind und ich tue das – zwar nicht mit Hurra, aber ich nehme das auf mich und vielleicht kann man übers Leihgeschäft in die Firma hineinschlüpfen, für die man arbeiten tut, dann ist man auch bereit – ich sag mal als "Ossi" – für weniger zu arbeiten – und das verstehen manche oder viele nicht in den alten Bundesländern. Die sagen: Für das Geld würde ich nicht arbeiten.

    Jetzt zum Beispiel, wo ich am Bodensee gearbeitet habe, habe ich den Leuten gesagt, für was ich gearbeitet habe, die haben mich ganz entsetzt angeguckt: Da gabs auch einen Kollegen, der hat gesagt: Um Gottes Willen – ich würde das nie machen, was Du da machst – über 500 km fahren zur Arbeit..... Die Arbeit kommt nicht zu mir. Ich muss zur Arbeit.


    Einmal musste er besonders schlechte Bedingungen hinnehmen;

    Das war ein kleiner Reinfall, weil ich dort im Bauhauptgewerbe eingesetzt wurde. Die Baustelle war in Hofheim am Taunus. Dort wurde ein Achtgeschosser Y-Bau saniert. Da hab ich als Maurer gearbeitet, habe Fenster eingeputzt für einen Stundenlohn von 7,67 Euro plus 15 Euro Auslöse – mit der Begründung, die Unterkunft wird bezahlt. Unterkunft war gleich Baustelle. Die Firma vom Bauhauptgewerbe hat in dem Haus eine Wohnung angemietet, wo ich auf einem Feldbett geschlafen habe.

    Auf der Lohnabrechnung war für Bernd Rose ein Stundenlohn von 6,50 Euro ausgewiesen. Ein bisschen wenig dachte er sich, denn er arbeitete auf einer Baustelle im Westen und deshalb stand ihm auch der Mindestlohn für gelernte Arbeiter in Westdeutschland zu. Nach Auskunft der Gewerkschaft IG Bau sind das 10,53 Euro pro Stunde.

    Die schlechte Bezahlung von Bernd Rose ist in den Augen von Herbert Buscher illegal. Der Arbeitsmarktexperte vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle an der Saale – kurz IWH – sagt, im Baugewerbe gilt das Entsendegesetz – und das schreibt Mindestlöhne vor, die zwischen 9,80 und 11 Euro liegen können, darunter darf keine Arbeit angeboten werden:

    Selbst wenn man noch sagt, okay, wegen der Zumutbarkeit 30 Prozent unter Tarif, aber es ist noch nicht geltendes Recht, würde man bei maximal 7 Euro liegen, also 4,70 oder 4,80 Euro sind einfach sittenwidrig. Dagegen kann man sich beschweren. Allerdings man muss auch den Mut dazu haben. Wenn es schon Beispiele gibt, die zu wesentlich niedrigen Löhnen arbeiten, kommt der Druck auf bestehende Löhne, nicht zu steigen, sondern zu sinken. Das dürfte auch auf dem westdeutschen Bau wesentlich stärker passieren als es zurzeit der Fall ist.

    Im Osten zumindest stoßen Abweichungen von den Tarifverträgen längst nicht mehr auf Ablehnung bei den Arbeitnehmern. Sie stellen sich auf ihren Betrieb und die Anforderungen des Arbeitgebers ein. So wie die Beschäftigten der Walzengießerei in Coswig bei Dresden:

    Wir sind hier im Osten und deswegen ist es besser, wenn wir ein bisschen mehr Arbeit haben als zu wenig. Aber wenn wir viel zu tun haben, warum sollen wir da eher Heim gehen und wir schaffen unsere Arbeit nicht, das heißt, wir erfüllen unseren Soll nicht und das ist natürlich nicht gut für die Firma. Wir müssen irgendwo konkurrenzfähig bleiben. Wenn wir Plus haben, kriegen wir unser Geld, d.h. das ist so einen für uns, mehr zu machen und der Firma zu helfen.

    Derzeit produzieren hier 180 Menschen zum Beispiel Werkzeuge für Stahl- und Walzwerke, Schienen- und Spundböden für die Bauindustrie – vor gut 10 Jahren allerdings steckte das Werk mit der über 100jährigen Tradition in der Krise. Bis 2001 war das Unternehmen tarifgebunden, doch Geschäftsführer Wilfried Pfaffe fand die Tarifvereinbarungen teilweise zu starr. Schließlich führte er flexible Arbeitszeiten ein:

    Ich habe natürlich Interesse, die Gewinne zu erzielen – zu maximieren, aber das darf nicht dahin gehen, dass man das ausnutzt und Vereinbarungen trifft, die eigentlich schlechter sind als sie unbedingt notwendig wären. Wir haben also eine Möglichkeit mehr zu arbeiten in einem gewissen Zeitraum und das dann wieder abzusetzen – über Arbeitszeitkonten. Wir arbeiten vom Grundsatz bei uns nach der 38-Stunden-Woche - wie sie in dem Tarifgebiet hier vereinbart ist, haben wir dann auch die Möglichkeit über den so genannten Beschäftigungssicherungsvertrag bis 33 Stunden die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich zu reduzieren und dann haben wir auch noch eine sog. Crash-Klausel - andere sagen Existenzsicherungsklausel. Das würde bedeuten, dass wir die Arbeitszeit von 38 auf 40 Stunden je Mitarbeiter erhöhen ohne Lohnausgleich. Und natürlich flexible Sonderzahlungen. Die werden gegen Null gefahren.

    Durch diese Maßnahmen hat sich die Lage in den vergangenen drei Jahren stabilisiert. So dass Wilfried Pfaffe allein in diesem Jahr 10 neue Mitarbeiter einstellen konnte. Jedes Jahr werden außerdem 10 Lehrlinge ausgebildet. Das Verhältnis zwischen Wilfried Pfaffe und den Beschäftigten gilt als entspannt – obwohl man vom Tarifvertrag abgewichen ist.

    Weniger Lohn für mehr Arbeit – das ist im Osten leichter durchzusetzen, sagt Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Diesen Standortvorteil gegenüber Westdeutschland wolle niemand leichtfertig aufs Spiel setzen.

    Die Lohnstückkosten haben sich deutlich verbessert und sind günstiger als im Westen. Nun kann man sagen, VW und Porsche – auch der Chemieindustrie – ist nicht unproduktiver als im Westen. In der Industrie ist die Produktivität nur noch geringfügig unter der Westdeutschen.

    Allerdings würden die Löhne nicht ganz auf ostdeutsches Niveau sinken, prognostiziert Martin Werding vom ifo-Institut in München. Das wiederum bliebe ein Nachteil für den Westen und den müsste er gegenüber dem Osten dann durch eine höhere Produktivität wettmachen. Dabei seien aber neue Rezepte gefragt.

    In Westdeutschland haben wir eine sehr hohe Produktivität dadurch erreicht, dass wir die Löhne hoch gehalten haben und dann letzten Endes kurzfristige Produktivitätsgewinne durch Entlassungen erzielt haben. Das ist natürlich nicht das, was wir aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wollen, sondern wir müssen die Arbeitsbedingungen so fixieren, dass wir tendenziell Vollbeschäftigung haben und dabei Lohnstückkosten erreichen, die konkurrenzfähig sind.

    Um das zu erreichen, genügten längere Arbeitszeiten bei gleichbleibendem Einkommen nicht:

    Wenn wir die letzten Einigungen uns angucken, dann war es zum Beispiel bei der Produktion von Mobiltelefonen, über die bei Siemens verhandelt wurde, nicht ausreichend, einfach nur eine einkommensneutrale Arbeitszeitverlängerung zu machen, sondern es müssten wirklich Einkommenseinbußen über die Streichung von Zulagen und so, vereinbart werden. Was Ähnliches gilt, wenn ich das richtig verstehe, bei Opel und bei Volkswagen.

    In vielen ostdeutschen Betrieben dagegen ist der Kostendruck schon jetzt so hoch, dass viele Arbeitgeber Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld gestrichen haben.

    Wie zum Beispiel Erwin Scheibler - Chef der gleichnamigen Halbstädter Reinigungsfirma. Er beschäftigt 110 Leute. Im ersten Halbjahr musste er ein Dutzend Mitarbeiter entlassen, denn nach sieben Jahren er verlor er zu Jahresbeginn den Auftrag, die örtliche Arbeitsagentur zu reinigen. Die nämlich vergab den Auftrag an den billigeren Anbieter "Clean-up" aus Merseburg. Die Firma Scheibler konnte mit den Dumpingpreisen nicht mithalten, doch weil die Vergabepraxis der Bundesagentur für Arbeit in der Öffentlichkeit Aufsehen erregte, kündigte sie den Vertrag mit "Clean-up" zu Ende September. Im Oktober hat Erwin Scheibler den Auftrag für ein halbes Jahr zurück gewonnen und muss in diesem Jahr entgegen aller Befürchtungen niemanden mehr entlassen. Trotzdem ist die Lage angespannt, sagt er:

    Ich habe schon wieder drei Kündigungen von Unternehmen bekommen, die nicht mehr können. Die Kommune hat ja kein Geld und es wird ausgeschrieben – nur die Billigsten, Billigsten, Billigsten kriegen es. Ich muss auch sagen, ich habe bis voriges Jahr Weihnachts- und Urlaubsgeld gezahlt, kann ich aber nicht mehr aus wirtschaftlichen Gründen, weil die Preise dermaßen im Keller sind, wir haben keine Gewinne mehr – kaum noch.


    Die Beschäftigten verzichten lieber aufs Weihnachtsgeld als auf den Job – auch Carola Erhardt. Sie ist seit Mai im Putz-Team Scheibler. Für sie ist es völlig normal, auf die Sonderleistungen zu verzichten:

    Habe ich auch in den anderen Firmen nicht bekommen – nö, zahlt ja so gut wie gar keiner mehr heute.


    Allenfalls Prämien bekommen die Arbeitnehmer in vielen ostdeutschen Unternehmen – vorausgesetzt, sie sind wirtschaftlich gesund, sagt Wirtschaftswissenschaftler Herbert Buscher aus Halle:

    Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, das ist nicht der Standard, der hier im Osten gezahlt wird. Wenn man viel Glück hat und arbeitet in einem wirtschaftlich gesunden Unternehmen, kann man eine Prämie bekommen. Aber im Großen und Ganzen ist das nicht die Regel und das ist auch die Situation, die in den kommenden Jahren auf Westdeutschland zukommen wird.

    Ähnliches meint Arbeitsmarktexperte Martin Werding aus München:

    Wo immer hier rechtliche Spielräume bestehen, solche Zulagen zu streichen – denke ich - ist der Druck enorm groß, dass das auch in naher Zukunft passiert. Es ist halt nicht immer möglich – also Weihnachtsgeld, wenn es wirklich im Tarifvertrag geregelt ist – wenn es Einzelvertraglich festgehalten ist – da kann man nicht viel machen. Aber es gibt natürlich viele andere Zulagen, die jetzt schon bewusst schon seit Jahren immer mit dem Zusatz nur gezahlt werden, dass es eine freiwillige Leistung ist, die jederzeit auch aufgekündigt werden kann. Wir kommen in Situationen, wo Arbeitgeber das tun müssen.

    Jobs ohne Zulagen – das ist nicht das Einzige, was in Zukunft droht. Bei einem weiterhin angespannten Arbeitsmarkt wird es auch immer mehr Menschen geben, die Arbeit unterhalb der eigenen Qualifikation annehmen. Der Maler Bernd Rose kennt das. Seiner Lebensgefährtin blieb keine andere Wahl:

    Sie war fast 6 Jahre arbeitslos, hat zwischenzeitlich eine Umschulung gemacht als Textilverkäuferin, aber selbst in der Branche werden nur junge Frauen eingestellt und hat jetzt seit über zwei Jahren eine Anstellung als Gebäudereinigerin hier in Erfurt. Das ist ´ne vernünftige Firma. Sie bekommt ihren Tariflohn. Sie fühlt sich das wohl, hat gute Reinigungsobjekte. – Ausbildung: Sie hat mal gelernt Buchbinderin.

    Von der Buchbinderin zur Reinigungskraft – ein ostdeutsches Frauenschicksal, sagt Wirtschaftswissenschaftler Herbert Buscher aus Halle:

    Es sind sehr viele Frauen, die Gebäudereinigung machen, die früher durchaus hoch qualifizierte Tätigkeiten hatten, Ingenieurinnen waren, Chemikerinnen, gelernte Berufe im Metallbereich, in der Chemie hatten, die dann im Rahmen der Neustrukturierung der Wirtschaft zum Teil als Frauen diskriminiert wurden, weil sie eher Männerdomänen besetzt hatten, aber nicht arbeitslos werden wollten und jetzt auf solche Tätigkeiten angewiesen sind, um etwas hinzuzuverdienen. Aber auch im Westen wird es passieren, dass Arbeitslosengeld II beziehen, doch deutliche Abstriche machen müssen, was die Zumutbarkeit angeht und da kann es natürlich auch passieren, dass man für weniger Geld arbeiten muss – größere Entfernungen bewältigen muss – und Arbeiten annehmen muss, die deutlich unter der Qualifikation liegen, die man erworben hat.

    Die Menschen in der DDR seien gut ausgebildet gewesen, aber nun gebe nicht mehr genügend Stellen. Weil sich das so bald auch nicht ändern werde, müssten sich die Leute eben irgendeine Arbeit suchen. So ähnlich werde es auch im Westen kommen, sagt Arbeitsmarktexperte Martin Werding vom Münchner Ifo-Institut, denn gerade gut qualifizierte Leute könnten sich künftig nicht mehr auf Arbeitslosenhilfe ausruhen:

    Das wird im Übergang auf jeden Fall bedeuten, dass qualifizierte Leute in zumutbarer Beschäftigung für gering Qualifizierte gedrängt werden. Das kann man richtig oder falsch finden. Es bewirkt auf jeden Fall einen Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt, der dann ja vielleicht auch ein Wiederaufschließen zu den formal vorhandenen Qualifikationen erlaubt.

    Herbert Buscher vom IWH ist allerdings skeptisch, denn die Chance, in den ursprünglichen Job zurückzukehren, sinke mit jedem weiteren Jahr in einer Arbeit unterhalb der eigenen Qualifikation:

    Man verliert nicht nur die formale Qualifikation, man verliert auch den Anschluss an das aktuelle Wissen und praktisch ist es aussichtslos, insbesondere wenn man 45 oder 50 Jahre alt ist, wird man in den alten Beruf kaum noch zurück kommen.

    Dabei muss das nicht zwangsläufig so sein. Vieles hängt davon ab, wie Arbeitnehmer, Betriebe und die Gesellschaft vorübergehende Jobs unter der eigenen Qualifikation bewerten. Martin Werding vom Ifo-Institut weiß, dass das in anderen Ländern kein Makel ist:

    Das ist in anderen Ländern ganz anders. Also in den USA ist eine relativ hohe Fluktuation auch zwischen Jobs verschiedener Qualifikationsniveaus möglich, weil man eben nicht lebenslang gebranntmarkt ist, wenn man mal kurze Zeit gesagt hat – ganz egal, was ich arbeite – ich arbeite jetzt erst mal, um meinen Lebensunterhalt zu decken, was man in den USA auch muss ohne entsprechende Absicherung durch Sozialleistungen. Wir werden auch in dem Bereich umdenken müssen und zu wünschen wäre den Betroffenen qualifizierten Arbeitskräften, die jetzt über Zumutbarkeitsregeln irgendeine Arbeit annehmen müssen, dass dieser Umdenkungsprozess – dass der tatsächlich einsetzt, sonst werden sie den Makel nicht mehr los.

    Umdenken müssen vor allem westdeutsche Arbeitnehmer auch bei der Mobilität. Nach Auskunft des Institut für Wirtschaftsforschung in Halle fehlen im Osten doppelt so viele Arbeitsplätze wie im Westen. Der Arbeitsmarktexperte vom IWH sagt:

    Das ist noch nicht in Köpfen deutscher Arbeitnehmer drin, dass man auch ins Ausland gehen kann, vielfach Sprachprobleme. Wenn man zurück sieht. Ende der 50iger Jahre/Anfang 60iger – also Italiener, Jugoslawien damals, Türken sind ja alle nach Deutschland gegangen. Das haben sie ja nicht gemacht, weil das Land so schön ist, sondern weil sie hier Arbeit gesucht haben.

    Die Ostdeutschen seien weitaus umzugsfreudiger als die Westdeutschen, sagt Martin Werding vom ifo-Institut:

    Wenn man einfach nur zählt, wie viele arbeitsfähige Personen in den letzten 10 / 12 Jahren von Ostdeutschland nach Westdeutschland gekommen sind und natürlich auch wegen der Arbeitsmarktsituation kaum Bewegung in umgekehrter Richtung stattgefinden, wie gering aber auch die Mobilität innerhalb Westdeutschlands ist, bei sehr unterschiedlichen Arbeitslosenquoten und Arbeitsmarktsituationen, dann kann man nüchtern nur sagen, die Ostdeutschen sind mobiler.


    Dabei suchen die Ostdeutschen nicht nur in Westdeutschland ihr Glück. Längst sind sie bereit, Arbeit auch außerhalb Deutschlands zu suchen. Hilfe erhalten sie von Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Arbeitslose direkt ins Ausland zu vermitteln. Solche Agenturen sind in Westdeutschland eher unbekannt. In Ostdeutschland ist das anders. Im Europajobcenter in Magdeburg zum Beispiel gibt es für Arbeitssuchende im Ausland viele Alternativen:

    Eine Chance auch für diesen 43Jährigen aus Magdeburg. Noch ist er selbständig bei schlechter Auftragslage. Deshalb will er dorthin gehen, wo die Arbeit ist – ins europäische Ausland:

    Ich bin gelernter Architekt und seit einigen Jahren auch selbständig tätig – hier in Sachsen-Anhalt. Auch in Anbetracht der Diskussion um Hartz IV bin ich eher der Meinung, dass es in der Geschichte schon immer so war, dass man dahin geht, wo die Arbeit ist. Vielleicht sehe ich da momentan eher so ein, zwei Jahre, die ich mich nicht unbedingt dort binden würden und vielleicht auch nach dieser Zeit eine neue Möglichkeit hier in der Heimat meiner Kinder zu schaffen, aber ich kann mir durchaus vorstellen auch Fuß zu fassen, wenn ich dort langfristig Arbeit finde und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass im europäischen Ausland, deutsche arbeitswillige, freundliche Menschen auch willkommen sind und eine neue Heimat finden können.

    Wenn es auch im Westen weniger Arbeit gibt, werden die Menschen hier wohl ebenso denken müssen. Für Martin Werding vom Münchner ifo-Institut ist klar: Der Westen passt sich dem Osten an:

    Wenn mit einer Angleichung der Arbeitsmarktsituation gemeint ist – die Angleichung die Arbeitsbedingungen, die Löhne, Arbeitszeiten sich in eine Richtung bewergen müssen, wo sie heute in Ostdeutschland sind, dann sehe ich so eine Annäherung voraus. Und am Ende gibt es da bei auch eine Chance. Es gibt die Chance, tatsächlich wieder mehr Beschäftigung und Wachstum in Deutschland zu haben – und diese Chance sollten wir nutzen, obwohl der Weg schmerzhaft ist.