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Der Osten steht Kopf

Anfang nächsten Jahres feiert einer der Großen der deutschen Nachkriegs-Malerei 70. Geburtstag: Georg Baselitz. Schon jetzt ehrt die Ausstellung "Die Russenbilder" in den Hamburger Deichtorhallen den Künstler.

Von Carsten Probst |
    Immer wenn bei künstlerischen Darbietungen die Rede davon ist, diese hier sei eine ganz besonders persönliche Sache für den Künstler, lohnt es sich, noch einmal genau hinzuschauen. Mehrfach hat Georg Baselitz im Vorfeld dieser Hamburger Präsentation seiner "Russenbilder" betont, wie sehr er gleichsam von Kindesbeinen an von der realistischen Malerei der Sowjetunion geprägt worden sei. In der Schule, im Studium, bis hin zu den politischen Ansagen Walther Ulbrichts war der sozialistische Realismus Moskauer Prägung verbindlich für alles, was in der Kunst der DDR während der fünfziger Jahre geschaffen wurde.

    Es waren die Bilder, über die ich die Malerei kennenlernte, sagt Baselitz von sich selbst. Und Robert Fleck, künstlerischer Leiter der Deichtorhallen, unterstreicht das noch, indem er ausruft, hier, in Hamburg, sei ein ungewohnt junger Baselitz zu sehen, obwohl dieser doch in wenigen Wochen seinen siebzigsten Geburtstag feiere.

    Dass Baselitz sich seit zehn Jahren so ausgiebig mit dem Erbe seiner ältesten Vergangenheit befasst, könnte man für einen demonstrativen Scherz halten, einen selbstgezüchteten Running Gag, mit dem er sich auf seine alten Tage noch einmal über die Vergangenheitsbewältigung im Nachwendedeutschland lustig machen. Aber die "Russenbilder" sind kein Scherz. Seit 1998 in vier Serien entstanden, haben sie auch gar nicht mehr die kraftvoll-provozierende Energie der Gemälde der sechziger und siebziger Jahre, sondern wirken eher mild-ironisch. Trotz ihrer Grossformate von oft 2 mal 2,50 Metern mutet ihre Malweise leicht, beinah flüchtig an.

    Wie schon bei seiner Münchener "Remix"-Ausstellung vergangenes Jahr, für die er seine Hauptwerke der sechziger und siebziger Jahre noch einmal neu gemalt hatte, trägt Baselitz auch bei der Rückkehr in seine Jugend ganz buchstäblich dünner auf. Keine dicken, schlammigen Farbmassen mehr mit dreckigen Kontrasten, die mit viel Arbeitergetue grosspurig auf der Leinwand verrührt werden: Dafür fehle ihm inzwischen die Kondition, beteuert der Wahl-Bayer. Stattdessen seit etwa zehn Jahren lichte, dünnflüssige und sehr helle Aufstriche, die eher an Tusche und Aquarell erinnern und allesamt mit sehr graziler, leichter Hand hingesetzt werden. Da wird viel mit dem Pinsel getupft, blumige Porträts, pop-art-mäßige Raster, dazu die Bedienung des Retro-Kultes um die verflossenen Herrschaftszeichen der sozialistischen Kultur, von der auch ein Neo Rauch und ein Norbert Bisky ganz gut leben - hat ein Baselitz das wirklich nötig?

    Es scheint so. Baselitz’ persönlicher Grund für diese Bilder liegt in seinen Stasi-Akten, wie er sagt. Als er diese Mitte der neunziger Jahre durchgeblättert und dabei gesehen habe, von wie vielen Menschen er schon damals, als Zwanzigjähriger bespitzelt wurde, darunter natürlich von Mitschülern und sogar Modellen, habe er gespürt, dass er sich mit dieser Vergangenheit beschäftigen müsse und dass er Schuldgefühle empfinde gegenüber jenen, die damals nicht, wie er, nach West-Berlin gegangen sind. So malt er, mehr oder weniger skizzenhaft, wie gewohnt kopfüber oder quer, die Motive der Propagandakunst, immer wieder Lenin, Politbüroporträts, Arbeiter- und Soldatenszenen, Porträts von jungen Mädchen aus sowjetischen Volksstämmen, denen er keck die Trachten vom blanken Busen zieht, weil eben damals nackte Haut verboten war.

    Auch Stalin taucht auf, weil er nun mal dazugehört, obwohl Baselitz ihn anfangs gar nicht malen wollte. Und doch erzeugen diese Bilder nicht mehr als teilnahmslose Gefälligkeit. Viel zu sehr schwimmt der alte Meister im heutigen Mainstream mit, und das mag in der Tat das zweite sehr persönliche Motiv des in die Jahre gekommen Malers sein: die Sorge, als Künstler des 20. und nicht mehr den 21. Jahrhunderts zu gelten. Die Deichtorhallen unterstützen ihn in diesem Bemühen mit größtmöglicher Fürsorge. Die Ausstellung ist wunderbar luftig gehängt, ohne rechte Winkel, mit schräg zueinander gestellten schmalen Bildwänden, fast wie ein überdimensionales Stelenfeld. Soviel Freundlichkeit sollte dem alten Haudegen aber einmal zu denken geben.