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Der Papst der Luftströmungen

Theodore von Kármán zählt zu den wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte von Luft- und Raumfahrt. Er gilt als Vater der Aerodynamik. Am 7. Mai 1963 starb er in Aachen, wo er vor dem Zweiten Weltkrieg auch schon gewirkt hatte, bevor er als Jude in die USA auswanderte.

Von Frank Grotelüschen | 07.05.2013
    Gleich wird die Maschine landen. Und manchem stellt sich beim Blick aus dem Fenster eine bange Frage: Wie kann sich so ein hundert Tonnen schwerer Jet überhaupt in der Luft halten? Die Antwort darauf haben wir nicht allein den bekannten Pionieren der Luftfahrt zu verdanken, Otto Lilienthal oder den Gebrüdern Wright. Ein weniger prominenter Wissenschaftler hat mindestens ebenso viel dazu beigetragen, dass heute Flugzeuge von Kontinent zu Kontinent fliegen und Raketen ins All: Der aus Ungarn stammende, erst in Deutschland, dann in den USA wirkende Theodore von Kármán gilt als Wegbereiter der modernen Aerodynamik.

    "Er ist sicherlich ein Genie gewesen. Das kann man nicht erziehen, das kann man nicht lehren. Das muss man haben."

    So sah es Egon Krause, einer von Kármáns Nachfolgern als Leiter des Aerodynamischen Instituts an der RWTH Aachen.

    "Von seiner Sorte hat es wahrscheinlich sehr wenige Menschen gegeben, die die Technik so gefördert haben wie er."

    Geboren wird Theodore von Kármán 1881 in Budapest als Spross einer angesehenen jüdischen Familie. An der Technischen Universität studiert er Ingenieurswissenschaften, um 1906 nach Göttingen überzusiedeln, damals eines der wichtigsten Zentren der Physik. Hier lehrt Ludwig Prandtl, einer der Pioniere der Strömungslehre. Prandtl wird zu Kármáns Doktorvater. Damit entdeckt der junge Ungar das Feld, das ihn berühmt machen soll – die Aerodynamik.

    "Ich habe meistens entweder Rechnungen gemacht, Berechnungen, theoretisch. Oder Experimente geführt."

    Wobei von Kármán nicht als genialer Experimentator gilt: Viele Versuche überlässt er lieber seinen Assistenten. Gemeinsam mit Prandtl arbeitet er an den Plänen für einen Zeppelin, konstruiert einen Windkanal und entwickelt maßgebliche mathematische Grundlagen für die Luftfahrt. 1911 folgt der Durchbruch: Von Kármán entdeckt eines der wichtigsten Phänomene der Aerodynamik – die Wirbelstraßen, bald Kármánsche Wirbelstraßen genannt. Damit lässt sich berechnen, wie sich störende Luftwirbel an Flugzeugtragflächen bilden und wie eine optimale Flügelform aussehen sollte. Eine Großtat, die von Kármán 1913 den Ruf an die Königlich Rheinisch-Westphälische Polytechnische Schule zu Aachen einbringt, die heutige RWTH.

    Theodore von Kármán: "Ich kam in Aachen an an einem Mittwoch – Aschermittwoch. Und zu meiner großen Überraschung habe ich die Hochschule von Lehrern und Studenten verlassen gefunden. So habe ich meine Aktivität im Rheinland an dem herkömmlichen Fischessen am Nachmittag begonnen!"

    Von Kármán, ein durchaus geselliger Zeitgenosse, mag die Stadt. Fast 20 Jahre bleibt er in Aachen, arbeitet mit Hugo Junkers am Ganzmetallflugzeug, entwickelt neue Flügelprofile. Dennoch baut er sich ein Standbein in den USA auf und übernimmt 1929 die Leitung des Luftfahrtlabors am Californa Institute of Technology. 1933, als die Nazis an die Macht kommen, emigriert er aufgrund seiner jüdischen Wurzeln endgültig in die Staaten. Dort wird er, wie sich Egon Krause erinnert, zu einem der wichtigsten Manager der amerikanischen Luft- und Raumfahrt.

    "Er hat es eben verstanden, die Leute tatsächlich in den Bann zu zwingen, dass sie auch das gemacht haben, was er vorgeschlagen hat. Daran muss man seinen großen Einfluss auch sehen. Er verstand es, mit Menschen umzugehen."

    In Kalifornien baut von Kármán das Jet Propulsion Laboratory auf, heute ein wichtiges Zentrum der NASA. Er berät die US-Airforce und ruft die Luftfahrtforschungseinrichtung der NATO ins Leben.

    "Also, meine Wirkung war hauptsächlich in dem Gebiete vom Überschallflug. Und dann habe ich Raketen angefangen."

    1942 gründet von Kármán die Aerojet General Corporation, einen Hersteller für Raketentriebwerke. Von den kühnen Visionen der bemannten Raumfahrt aber, von kommerziellen Flügen zu Mond und Mars, hält er Anfang der 60er-Jahre nur wenig.

    "Worüber ich im Zweifel bin: ob der Weltraumflug wirklich eine neue Industrie wird. Ich glaube, ein sehr wichtiger Punkt ist die Kommunikation. Ich bin überzeugt, dass Satelliten benutzt werden, um die Kommunikation zu verbessern. Telefon und Telegraf wird ganz anders aussehen in einigen Jahren."

    Womit er mehr als Recht behalten soll.

    Am 7. Mai 1963, ein paar Tage vor seinem 82. Geburtstag, stirbt Theodore von Kármán – nicht in den USA, sondern während eines Kuraufenthalts in seiner alten Heimat Aachen.