Die Analyse des Papstes ist eindeutig, aber sie ist ein-deutig: Wenn die Menschen nur wieder mehr an Gott glauben würden, käme die aus den Fugen geratene Welt zurück aufs richtige Gleis und die Gesellschaft wieder auf den rechten Weg. Dahin finden zu helfen, hat der Papst sein neues Buch über Jesus von Nazareth geschrieben. Angefangen hat es der Kardinal Joseph Ratzinger am Schreibtisch der Glaubenskongregation, fertiggestellt hat er es im päpstlichen Palast als Benedikt XVI. Diese Besonderheit hebt Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hervor:
"In der Tat liegt hier das Überraschende, dass der Papst selbst nicht nur Katechesen und Predigten über Jesus Christus, die er ständig hält, in Buchform zusammenstellt, sondern dass er ein umfangreiches Werk in mehr oder weniger systematischer Gestalt schreibt und eigens als Buch veröffentlicht."
Natürlich liegt es am Autor, wenn ein theologischer Wälzer von über 400 Seiten die Bestsellerlisten stürmt. 250.000 beträgt die Startauflage allein für die deutsche Ausgabe, Übersetzungen in mehr als 30 Sprachen sind vorgesehen. Das Buch ist die Summe eines fünf, sechs Jahrzehnte währenden theologischen Forschens, aber es ist kein eigentlich wissenschaftliches Werk. In geschliffener Sprache will Ratzinger-Benedikt auch theologische Laien interessieren. Zutreffend charakterisiert Kardinal Lehmann den Tenor:
"Der Papst hat ein sehr umsichtiges und bedächtiges, abgewogenes und feinsinniges, ausgesprochen stilles und nüchtern begeisterndes Buch geschrieben, das viele auf den Weg Jesu mitnehmen möchte und gewiss auch mitnehmen wird. Wer sich darauf einlässt, wird spüren: Das Christentum ist nicht zuerst ein dogmatisches-ethisches System von Glaubenssätzen und Moralvorschriften, sondern eine konkrete Person, die uns in die Nachfolge einlädt."
Ratzinger-Benedikt führt Leserinnen und Leser in das Neue Testament der Bibel, in diesem ersten Band "von der Taufe im Jordan bis zu seiner Verklärung". Der Papst will also auch noch einen zweiten Band folgen lassen. Mit seiner Auslegung der Evangelien, die manche überraschenden Aspekte herausarbeitet, will der Autor zeigen, wer dieser Jesus von Nazareth zu seinen menschlichen Lebzeiten war und wer er für die Christen bis heute ist. So schreibt Ratzinger:
"Jesus ist kein Mythos, er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, steht ganz real in der Geschichte. Wir können die Orte nachgehen, die er gegangen ist. Wir können durch die Zeugen seine Worte hören. Er ist gestorben, und er ist auferstanden."
Doch die Evangelien sind keine historischen Schriften, die nachzeichnen, was gewesen ist. Es sind Texte der Verkündigung aus der Frühzeit der Kirche, die den historischen Jesus als den Christus des Glaubens erweisen wollen. Ihre Entstehung ein, zwei Generationen nach den Lebzeiten Jesu, die Form ihrer Darstellung und der zeitbedingte Kontext, in dem sie verfasst wurden, erfordern akribische Untersuchungen. Darum bemühen sich die Theologie seit den ersten Jahrhunderten und die moderne, historisch-kritische Bibelwissenschaft seit gut hundert Jahren, und sie sind beileibe noch nicht zu letztgültigen Auslegungen gekommen. Da legt sich Ratzinger die Messlatte sehr hoch, wenn er erläutert, er wolle den Versuch machen,
"einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den 'historischen Jesus' im eigentlichen Sinn darzustellen. Ich bin überzeugt und hoffe, auch die Leser können sehen, dass diese Gestalt viel logischer und auch historisch betrachtet viel verständlicher ist als die Rekonstruktionen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten konfrontiert wurden."
Dafür nimmt der Professor auf dem Petrusthron ausdrücklich nicht die päpstliche Autorität in Anspruch, ja er lädt sogar gegebenenfalls zum Widerspruch ein. Sein als Theologe nicht minder renommierter Kollege Kardinal Lehmann meint, dass sich daran die Auseinandersetzung um das Papstbuch entzündet:
"Wie Joseph Ratzinger-Benedikt XVI. versucht und wie weit es ihm gelingt, die historisch-kritische Methode mit ihren Ergebnissen zu respektieren, gleichzeitig aber doch über sie hinauszugehen, dies wird ganz gewiss die wissenschaftliche Diskussion der nächsten Monate beschäftigen."
Ratzinger will mit seiner, wie er die Methode nennt, "kanonischen Exegese" die Einheit der gott-menschlichen Person Jesu von Nazareth gewahrt wissen. Dagegen habe die historisch-kritische Bibelauslegung zumindest in ihren extremen Vertretern den historischen Jesus und den Christus des Glaubens so voneinander getrennt, dass sie nichts mehr miteinander zu tun hätten. Dieser Vorwurf an die moderne Bibelwissenschaft durchzieht das ganze Buch.
Doch er ist gegenüber ernstzunehmenden Neutestamentlern ungerechtfertigt. Die kritische Bibelwissenschaft sucht in den überlieferten Texten nach Anhaltspunkten, wie Jesus sich selbst verstanden hat, ob und wie er sich seiner göttlichen Herkunft bewusst war, was er in seiner Predigt wirklich gesagt hat, was er etwa an Wundern in seiner Lebenszeit tatsächlich gewirkt hat. Diese Auslegung der Evangelien nimmt Jesus als historischen Menschen ausgesprochen ernst, um ihn nicht unter dem Christus des Glaubens verschwinden zu lassen. Und sie steht damit auf dem Boden der dogmatischen Lehre, dass Jesus Christus nicht nur uneingeschränkt Gottessohn ist, sondern ebenso uneingeschränkt Mensch war. Ratzinger dagegen deutet den historischen Jesus immer zugleich als Christus des Glaubens. So versteht er etwa das geschichtliche Ereignis der Taufe Jesu im Jordan nicht als Berufungsgeschichte, sondern als Vorausschau seiner Auferstehung oder die wunderbare Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana als einen Vorgriff auf das "Geheimnis des Kreuzes als seiner Verherrlichung". Kann aber, so müsste eine Grundfrage an das Buch lauten, der Tod Jesu am Kreuz wirklich als Erlösung geglaubt werden, wenn der Nazarener ihn nicht als Mensch erlitten hat, sondern wenn er als Gott schon im voraus um seine Auferstehung wusste?
So eindimensional, wie Ratzinger die Bedeutung des Jesus von Nazareth für die Gegenwart darstellt, so ein-deutig in Schwarz und Weiß interpretiert er immer wieder die Gott vergessende moderne Gesellschaft. Aber auch in Bezug auf die katholische Kirche, die sich als Sachwalter des wirklichen historischen Jesus versteht, bleibt der Autor manche Antwort schuldig. Gern würde der Leser etwa erfahren, wie Ratzinger die Rolle der Frauen in Jesu Gefolge deutet. Sie sei zwar wesentlich, aber grundlegend anders als die Aufgabe der Apostel und männlichen Jünger, stellt der Autor fest, ohne dies inhaltlich auszuführen und den historischen Kontext aufzuzeigen. Der Papst geriete vielleicht allzu nah an die Frage heran, ob die Kirche zu Recht Frauen bis heute das geistliche Amt verwehrt.
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI: Jesus von Nazareth. Band I: Von der Taufe bis zur Verklärung
Herder-Verlag, Freiburg 2007
448 Seiten, 24 Euro
"In der Tat liegt hier das Überraschende, dass der Papst selbst nicht nur Katechesen und Predigten über Jesus Christus, die er ständig hält, in Buchform zusammenstellt, sondern dass er ein umfangreiches Werk in mehr oder weniger systematischer Gestalt schreibt und eigens als Buch veröffentlicht."
Natürlich liegt es am Autor, wenn ein theologischer Wälzer von über 400 Seiten die Bestsellerlisten stürmt. 250.000 beträgt die Startauflage allein für die deutsche Ausgabe, Übersetzungen in mehr als 30 Sprachen sind vorgesehen. Das Buch ist die Summe eines fünf, sechs Jahrzehnte währenden theologischen Forschens, aber es ist kein eigentlich wissenschaftliches Werk. In geschliffener Sprache will Ratzinger-Benedikt auch theologische Laien interessieren. Zutreffend charakterisiert Kardinal Lehmann den Tenor:
"Der Papst hat ein sehr umsichtiges und bedächtiges, abgewogenes und feinsinniges, ausgesprochen stilles und nüchtern begeisterndes Buch geschrieben, das viele auf den Weg Jesu mitnehmen möchte und gewiss auch mitnehmen wird. Wer sich darauf einlässt, wird spüren: Das Christentum ist nicht zuerst ein dogmatisches-ethisches System von Glaubenssätzen und Moralvorschriften, sondern eine konkrete Person, die uns in die Nachfolge einlädt."
Ratzinger-Benedikt führt Leserinnen und Leser in das Neue Testament der Bibel, in diesem ersten Band "von der Taufe im Jordan bis zu seiner Verklärung". Der Papst will also auch noch einen zweiten Band folgen lassen. Mit seiner Auslegung der Evangelien, die manche überraschenden Aspekte herausarbeitet, will der Autor zeigen, wer dieser Jesus von Nazareth zu seinen menschlichen Lebzeiten war und wer er für die Christen bis heute ist. So schreibt Ratzinger:
"Jesus ist kein Mythos, er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, steht ganz real in der Geschichte. Wir können die Orte nachgehen, die er gegangen ist. Wir können durch die Zeugen seine Worte hören. Er ist gestorben, und er ist auferstanden."
Doch die Evangelien sind keine historischen Schriften, die nachzeichnen, was gewesen ist. Es sind Texte der Verkündigung aus der Frühzeit der Kirche, die den historischen Jesus als den Christus des Glaubens erweisen wollen. Ihre Entstehung ein, zwei Generationen nach den Lebzeiten Jesu, die Form ihrer Darstellung und der zeitbedingte Kontext, in dem sie verfasst wurden, erfordern akribische Untersuchungen. Darum bemühen sich die Theologie seit den ersten Jahrhunderten und die moderne, historisch-kritische Bibelwissenschaft seit gut hundert Jahren, und sie sind beileibe noch nicht zu letztgültigen Auslegungen gekommen. Da legt sich Ratzinger die Messlatte sehr hoch, wenn er erläutert, er wolle den Versuch machen,
"einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den 'historischen Jesus' im eigentlichen Sinn darzustellen. Ich bin überzeugt und hoffe, auch die Leser können sehen, dass diese Gestalt viel logischer und auch historisch betrachtet viel verständlicher ist als die Rekonstruktionen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten konfrontiert wurden."
Dafür nimmt der Professor auf dem Petrusthron ausdrücklich nicht die päpstliche Autorität in Anspruch, ja er lädt sogar gegebenenfalls zum Widerspruch ein. Sein als Theologe nicht minder renommierter Kollege Kardinal Lehmann meint, dass sich daran die Auseinandersetzung um das Papstbuch entzündet:
"Wie Joseph Ratzinger-Benedikt XVI. versucht und wie weit es ihm gelingt, die historisch-kritische Methode mit ihren Ergebnissen zu respektieren, gleichzeitig aber doch über sie hinauszugehen, dies wird ganz gewiss die wissenschaftliche Diskussion der nächsten Monate beschäftigen."
Ratzinger will mit seiner, wie er die Methode nennt, "kanonischen Exegese" die Einheit der gott-menschlichen Person Jesu von Nazareth gewahrt wissen. Dagegen habe die historisch-kritische Bibelauslegung zumindest in ihren extremen Vertretern den historischen Jesus und den Christus des Glaubens so voneinander getrennt, dass sie nichts mehr miteinander zu tun hätten. Dieser Vorwurf an die moderne Bibelwissenschaft durchzieht das ganze Buch.
Doch er ist gegenüber ernstzunehmenden Neutestamentlern ungerechtfertigt. Die kritische Bibelwissenschaft sucht in den überlieferten Texten nach Anhaltspunkten, wie Jesus sich selbst verstanden hat, ob und wie er sich seiner göttlichen Herkunft bewusst war, was er in seiner Predigt wirklich gesagt hat, was er etwa an Wundern in seiner Lebenszeit tatsächlich gewirkt hat. Diese Auslegung der Evangelien nimmt Jesus als historischen Menschen ausgesprochen ernst, um ihn nicht unter dem Christus des Glaubens verschwinden zu lassen. Und sie steht damit auf dem Boden der dogmatischen Lehre, dass Jesus Christus nicht nur uneingeschränkt Gottessohn ist, sondern ebenso uneingeschränkt Mensch war. Ratzinger dagegen deutet den historischen Jesus immer zugleich als Christus des Glaubens. So versteht er etwa das geschichtliche Ereignis der Taufe Jesu im Jordan nicht als Berufungsgeschichte, sondern als Vorausschau seiner Auferstehung oder die wunderbare Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana als einen Vorgriff auf das "Geheimnis des Kreuzes als seiner Verherrlichung". Kann aber, so müsste eine Grundfrage an das Buch lauten, der Tod Jesu am Kreuz wirklich als Erlösung geglaubt werden, wenn der Nazarener ihn nicht als Mensch erlitten hat, sondern wenn er als Gott schon im voraus um seine Auferstehung wusste?
So eindimensional, wie Ratzinger die Bedeutung des Jesus von Nazareth für die Gegenwart darstellt, so ein-deutig in Schwarz und Weiß interpretiert er immer wieder die Gott vergessende moderne Gesellschaft. Aber auch in Bezug auf die katholische Kirche, die sich als Sachwalter des wirklichen historischen Jesus versteht, bleibt der Autor manche Antwort schuldig. Gern würde der Leser etwa erfahren, wie Ratzinger die Rolle der Frauen in Jesu Gefolge deutet. Sie sei zwar wesentlich, aber grundlegend anders als die Aufgabe der Apostel und männlichen Jünger, stellt der Autor fest, ohne dies inhaltlich auszuführen und den historischen Kontext aufzuzeigen. Der Papst geriete vielleicht allzu nah an die Frage heran, ob die Kirche zu Recht Frauen bis heute das geistliche Amt verwehrt.
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI: Jesus von Nazareth. Band I: Von der Taufe bis zur Verklärung
Herder-Verlag, Freiburg 2007
448 Seiten, 24 Euro