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Der paradoxe Umgang mit der Tierwelt

Antoine F. Goetschel und Hal Herzog thematisieren in ihren Büchern das Missverhältnis zwischen Mensch und Tier. Doch während der Anwalt Goetschel auf das Ziel des einklagbaren Tierschutzes zuschreibt, geht es dem Verhaltensforscher Herzog um ein besseres Verständnis unserer widersprüchlichen Beziehungen zur Tierwelt.

Von Catrin Stövesand | 06.08.2012
    Zwei Bücher mit ähnlichen Fragestellungen, aber völlig unterschiedlichen Herangehensweisen. Während der Anwalt Antoine F. Goetschel klar auf ein Ziel zuschreibt – die Verbesserung des Tierschutzes, des einklagbaren Tierschutzes, geht es dem Verhaltensforscher Hal Herzog hingegen vornehmlich um ein besseres Verständnis unserer widersprüchlichen Beziehungen zur Tierwelt.

    Damit skizziert Herzog in seinem Buch zugleich die Aufgabe des von ihm mitbegründeten Wissenschaftszweiges, der Anthrozoologie, also der Erforschung von Mensch-Tier-Beziehungen. Die eher populärwissenschaftlich gehaltene – und die juristisch pragmatische Aufarbeitung des Komplexes Mensch-Tier-Beziehung lesen sich in Teilen ähnlich.

    Der Schweizer Goetschel wie der US-Amerikaner Herzog befasst sich mit der Frage, warum wir manche Tierarten als Mitbewohner akzeptieren, andere lediglich als Fleischlieferanten betrachten oder wieder andere als Mitgeschöpfe vollkommen ablehnen. Oder damit, was unser Umgang mit Tieren über unseren Umgang mit Mitmenschen aussagt.

    Auch thematisieren beide mögliche Rechtfertigungen für Tierversuche und die Sinnhaftigkeit tiergestützter Therapien. Also: Ist es etwa zu verantworten, Delfine in Gefangenschaft zu halten, weil sie vielleicht, wenn auch nicht erwiesenermaßen, Hilfe im Umgang mit behinderten Kindern leisten können?

    Beiden, Goetschel wie Herzog, geht es also um Fragen der Ethik. Der Verhaltenforscher Herzog zeigt die individuellen wie die kulturellen Unterschiede auf, wenn es um die angenommene Wertigkeit einer Gattung geht. Was der eine niedlich oder nützlich nennt, ist für den anderen eklig oder schädlich. Der Autor beleuchtet auch die Paradoxien im Alltag der Haustierhalter und lässt hier kaum ein Konfliktpotenzial aus. Wie kann ich mich als Tierfreund verstehen, wenn ich mein Tier - beispielsweise eine Katze - andere Tiere töten lasse oder es mit dem Fleisch anderer Tiere füttere? Sein Buch – gespickt mit Anekdoten und Forschungsergebnissen – macht deutlich, dass auf unsere Moral oft kein Verlass ist. Sie ist widersprüchlich und kann leicht in sich zusammenfallen. Als besonders drastisches Beispiel führt Herzog die Tierschutzbemühungen der Nationalsozialisten an.

    Im Jahr 1933 erließ die deutsche Regierung das umfassendste Tierschutzgesetz der Welt. Es war nur das erste in einer ganzen Reihe. Ab 1942 durften die Juden keine Haustiere mehr halten. Es ist eine der großen Ironien der Geschichte, dass die Nazis die Vorschriften des humanen Schlachtens befolgten, als Tausende von jüdischen Haustieren eingeschläfert wurden. Ihre Besitzer wurden in Vernichtungslager gepfercht und umgebracht.

    Herzog versucht zu ergründen, worauf unsere Ethik in den Beziehungen zu Tieren basiert. Als Vertreter der Anthrozoologie, auch bekannt als Human-Animal Studies, bedient er sich der Methoden und Erkenntnisse verschiedener etablierter Wissenschaften wie der Psychologie, der Biologie oder auch der Philosophie. Herzog schreibt durchgehend in der Ich-Form, das wirkt manchmal etwas zu persönlich. Dann und wann scheint er zudem in seinem übergroßen Repertoire an Geschichten und Fakten den roten Faden zu verlieren. Allerdings schafft er es mit diesem Klein-Klein an Anekdoten auch, bildhaft und ausführlichst die Paradoxien im Mensch-Tier-Verhältnis vor Augen zu führen. Da enttäuscht es ein wenig, dass Herzog am Ende seiner Ausführungen angesichts all der gefundenen Widersprüche die Hände in den Schoß legt.

    Als ich anfing, mich mit den Interaktionen zwischen Mensch und Tier zu beschäftigen, störten mich die eklatanten moralischen Widersprüche – Vegetarier, die verlegen zugeben, dass sie Fleisch essen; Kampfhahnzüchter, die behaupten, ihre Tiere zu lieben. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gelangt, dass diese Widersprüche nicht anomal sind und auch nichts mit Scheinheiligkeit oder Heuchelei zu tun haben. Sie sind unvermeidlich.

    Der Tierschützer und Anwalt Antoine F. Goetschel präsentiert hingegen vor allem Zahlen und Fakten, um die Missstände im Umgang mit Tieren aufzuzeigen. Schonungslos schildert er Details zu den Methoden der Massentierhaltung und der Versuchslabore. Goetschel argumentiert nüchtern und zieht Thesen von Philosophen oder Theologen heran, um seine Forderungen nach ethischen Grundsätzen für Tierschutzgesetze zu untermauern. Auch eine hochindustrialisierte Gesellschaft könne sich tiergerecht verhalten, postuliert der Autor. Drei Jahre lang war er Tieranwalt im Kanton Zürich, hat dort also die Interessen misshandelter Tiere vor Gericht vertreten. Zentraler Begriff in seinem Buch wie in seinem Wirken ist die "Würde" der Tiere. Goetschel war daran beteiligt, dass die Schweiz 1992 die "Würde der Kreatur" in ihr Grundgesetz aufgenommen hat.

    Von nun an sollte das Tier in seinem Selbstzweck geschützt, seine Mitgeschöpflichkeit und sein Eigenwert anerkannt werden. Das bedeutet: Tiere dürfen nicht überwiegend für Zwecke der Menschen verwendet werden. Und absolut neuartig war: Die individuellen Interessen der Tiere an Leben, Selbsterhaltung und artgemäßer Selbstentfaltung sind damit ebenfalls anerkannt.

    Für Goetschel ermöglicht der Begriff der Würde nicht nur, Fragen der Nutztierhaltung oder der Schlachtung zu behandeln, sondern auch die der Haustierhaltung – Stichwort Vermenschlichung. Maßstab für den Umgang mit Tieren soll also stets die Frage sein: Wird die Würde der Kreatur angegriffen oder gewahrt. Wird ein Tier instrumentalisiert oder dient es seinem Selbstzweck? Und in dieser Konsequenz fordert Goetschel auch, der Mensch möge seine vermeintliche Überlegenheit innerhalb der Gemeinschaft lebendiger Wesen, die scharfe Trennlinie zwischen ihm und dem Tier noch einmal überdenken:

    Es könnte sich dann zeigen, dass eine etwas bescheidenere Vorstellung von uns selbst und eine etwas höhere Meinung von unseren Mitgeschöpfen und der ihnen innewohnenden Würde angebracht wären. Und womöglich müsste diese Voraussetzung erfüllt sein, damit sich die Verhältnisse ändern.

    Abschließend erläutert Goetschel seine konkreten Vorstellungen für verbesserte Tierschutzgesetze. Analog zu seiner früheren Tätigkeit als Tieranwalt fordert er ein Klagerecht für Tierschützer – das heißt ein Vertretungsrecht, um die Interessen von Tieren durchsetzen und Verstöße auch tatsächlich bestrafen zu können. Der Jurist weist darauf hin, dass solche Vorhaben in Deutschland schon lange geplant sind, aber auf Eis liegen. Er kritisiert die neue EU-Tierschutzrichtlinie, die im Herbst auch in Deutschland umgesetzt werden soll, und die eben hier einige bestehende Regelungen etwa in Sachen Tierversuche aufweichen könnte.

    Goetschel liefert mit seinem Buch eine prägnante Bestandsaufnahme und leitet daraus Forderungen nach neuen Gesetzen auf ethischen Grundlagen ab. Sein Postulat, dass moderne Gesetze den Selbstzweck des Tieres wahren müssen, ist ein stimmiger Schlusspunkt in seiner Argumentation.

    Der Verhaltensforscher Herzog kann zwar mit der ausführlicheren Bestandaufnahme aufwarten, überlässt die Schlussfolgerungen aber dem Leser. Sein Werk empfiehlt sich als detailreiche, wenn auch populärwissenschaftliche Ergänzungslektüre zum tatsächlich politischen Buch des Juristen Goetschel.


    Antoine Goetschel: Tiere klagen an
    Scherz Verlag
    272 Seiten, 19.99 Euro
    ISBN: 978-3-651-00002-5

    Hal Herzog: Wir streicheln und wir essen sie: Unser paradoxes Verhältnis zu Tieren
    Carl Hanser Verlag
    320 Seiten 19,90 Euro
    ISBN: 978-3-446-42922-2