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Der Parcival

Ein Studierzimmer. Am Tisch sitzt ein einsamer Mann und schreibt, als draußen jemand klopft. Doch niemand öffnet auf das "Herein". Und auch als der Schreiber ein zweites Mal ruft, klopft es nur wieder. Da reißt ihm die Geduld: "Wer draussen steh' und sei's der Erzfeind selbst, - in Gottes Namen: Herein!" Da erst öffnet sich die Tür. Fast so, als habe man die Szene Faust und Mephisto im Studierzimmer vor sich. Nur die Vorzeichen haben gewechselt. Denn der Hereintretende ist nicht der Erzfeind, sondern ein guter Geist; der Geist des Wolfram von Eschenbach. Von ihm ermutigt, beginnt nun "Meister Friedrich", der Schreiber, seine Nachdichtung des "Parcival". Der Dichter, der sich hier in Meister Friedrich ein alter ego geschaffen hat, ist Friedrich de la Motte Fouqué. Penibel verzeichnet er den Beginn seiner Arbeit am "Parcival": den 17. August 1831, abends um 7 Uhr. Im April 1832 beendet er das Werk. In den immer wieder eingeschobenen Meistergesprächen berichtet Meister Friedrich noch Meister Wolfram, wie er vom Tod Goethes am 22. April 1832 erfahren hat. Doch obgleich Fouqué seinen "Parcival", ebenso wie Goethe den "Faust", als poetischen Höhepunkt ansah, war seine literarische Karriere bereits zuende. Der einstige Erfolgsautor war bereits in seinen letzten Lebenjahren einsam und vergessen. Von Fouqués mehr als 20 Romanen und Novellenbüchern und noch einmal so vielen Dramen blieb einzig die "Undine". Und vielleicht auch nur deshalb, weil E.T.A. Hoffmann 1816 das romanische Kunstmärchen vertonte.

Sebastian Günther |
    Schon mit dem Ende der Befreiungskriege, an denen Fouqué kurzzeitig teilgenommen hatte, schwand sein Ruhm. Verständnislos schaute das Junge Deutschland auf den romantischen Don Quichotte, der seine Stoffe weiter aus dem nordischen Sagenkreis nimmt und Ritterromane schreibt. Glaubensfest und königstreu gibt sich der preußische Hugenotte - und das nicht nur auf literarischem Gebiet. Kein Wunder, daß ihm der Vormärz dann kalt ins Gesicht bläst. So spricht Ludwig Börne in einer Rezension von der "herzinnigen, fettgesalbten, demütigen und wehmütigen Sprache Fouqués, düsternd wie das Licht, das durch gemalte Kirchenfenster fällt, aller Lebensfrische entbehrend, und Grabessehnsucht erweckend."

    Bald findet Fouqué nicht einmal dann einen Verleger, wenn er den Druck selbst bezahlt. Als 1845, zwei Jahre nach seinem Tod, Albert Lortzing noch einmal die "Undine" vertonte, erinnerte sich schon niemand mehr an den Dichter.

    So zweifelhaft sein anfänglicher Ruhm war, so ungerecht ist diese Mißachtung. Arno Schmidt, Anwalt der vergessenen Dichter, wurde mit seiner großen Fouqué-Biographie von 1958 zum Geburtshelfer einer kleinen Renaissance. Als Günter de Bruyn 1980 die Buchreihe "Der Märkische Dichtergarten" mit Fouqué eröffnete, wurde er auch dort wieder bekannt, wo er sein Leben lang gelebt hatte: in Berlin und Brandenburg.

    Seit 1989 erscheint nun im OLMS-Verlag eine auf 27 Bände angelegte Werkausgabe, zumeist als Nachdruck. Band sechs, "Der Parcival" bildet hierin eine Ausnahme. Sein Herausgeber, Tilman Spreckelsen erklärt dazu: "Fouqué hat die erste deutsche Nachdichtung des ‘Parzival’ des Wolfram von Eschenbach geschrieben, die bis heute unveröffentlicht geblieben ist. Als er den ‘Parcival’ geschrieben hat, war er völlig isoliert, sowohl biographisch, als auch literarisch. Ich weiß nicht, ob er überhaupt versucht hat, das Manuskript irgendwo unterzubringen."

    Resignation bestimmt dann auch die beiden Grundthemen seines "Parcival": Tod und Gott, die Erlösung von dem irdischen Übel und die Suche nach dem Heil. Die mittelalterliche Welt um Artus und die Ritter der Tafelrunde wird für Fouqué zu einer Gegenwelt. Parcivals Suche nach dem Gral zu einer Suche nach Gott. Wo Wolfram mit einem weinenden, aber auch einem lachenden Auge auf seinen "tumben Toren" schaut, wird Fouqué larmoyant, die Sinnsuche - bei Wolfram durchaus ambivalent - gerät ihm nur allzu oft zur Bigotterie.

    Fast 600 Jahre nach Wolfram von Eschenbach und über 170 Jahre nachdem Fouqué seine Nachdichtung geschrieben hatte, erscheint nun ein zweifach verspäteter Ritterroman? "Die Qualität von Fouqués 'Parcival' ist eben gerade, daß er keinen Ritterroman schreibt", so Tilman Spreckelsen. "Er bricht mit verkrusteter Ritterromantik."

    Zweifellos ist Fouqué der "romantischen Universalpoesie" treu geblieben. Nach den Worten seines Jugendfreundes August Wilhelm Schlegel sollte die Literatur die "Zerstückelung des Lebens" überwinden. Die Grenze zwischen Volkspoesie und hoher Kunst verschwindet in Fouqués "Pacival". Ein idealisiertes Mittelalter diente als Vorbild und lieferte den Stoff. Die Form dagegen verschreibt sich ganz und gar der Moderne. In diesem Sinne schließt Meister Friedrich einen Pakt mit Meister Wolfram:

    "Meister Friedrich: ‘Da laßt uns denn einen Vertrag mitsammen schließen, Meister Wolfram. Alles - : Menschen, Thaten, Schicksale, - was groß und tief und ernst, oder heiter und kindlich und lieblich in Deine und meine Seele hereingefallen ist, - da wollen wir uns getreu daranhalten, wie an innig theure Verwandte und Herzens-Freunde und liebe Gestaltungen sonst. Was eben just von Aussen mit hereinschneien mag, - da mögen die Paß-Aussteller und Visitatoren der Literatur dafür sorgen, es in nothwendige Ordnung zu bringen.’

    Meister Wolfram: ‘Solche Leute gab es noch nicht zu meiner Zeit.’"

    Die Antwort Meister Wolframs bezeichnet zugleich seine Rolle: Er ist selbst so etwas wie ein "tumber Tor", an dem 600 Jahre spurlos vorübergegangen sind und der an den Idealen des Mittelalters festhält. So hat sich Fouqué nicht nur in Meister Friedrich ein alter ego geschaffen, das dem Weltschmerz nur allzu oft freien Lauf läßt, sondern auch in Meister Wolfram spiegelt sich der Autor. Mit wackeren Durchhalteparolen bewegt die Figur ihren Schöpfer zum unverdrossenen Weiterschreiben. Fouqué, der Trostsuchende und Verlassene, hat sich so seinen Beichtvater selbst geschaffen. Er ist der Manisch-Depressive und zugleich sein Therapeut. Und so tragen die Gespräche der beiden Meister nicht nur literatur- und zeitkritische Züge, sondern auch Züge eines Tagebuches. Doch das ist längst nicht der einzige Unterschied der Nachdichtung Fouqués zu Wolframs"Parcival".

    Diese Formenvielfalt und Experimentierfreudigkeit zeichnet das ganze Werk aus. So sehr der Mensch Fouqué auch an konservativer Verstopfung litt, so groß ist doch sein Anteil an dem literarischen Modernisierungsschub, den die Romantik ausgelöst hat. Ein häufiger Wechsel der Erzählperspektive, das Gespräch der Meister im Buch, über das Buch, die einmontierten Zitate kurz: die technischen Raffinessen, die nicht nur der moderne Leser, sondern mittlerweile auch ein breites Kinopublikum schätzt - all dies hat in der Romantik seinen Anfang und in Fouqués "Parcival" einen gelungenen Ausdruck gefunden. Richard Wagner wußte diese Qualitäten zu schätzen und zu nutzen. Noch auf dem Totenbett hatte er in einem Band von Fouqué gelesen. Sein "Ring der Nibelungen" macht deutliche Anleihen bei Fouqués "Held des Nordens". Ob er auch von dessen "Parcival" wußte, oder vielleicht sogar das Manuskript kannte, als er 1882 seine Tondichtung schrieb, bleibt jedoch Spekulation.