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Der Picasso Südamerikas

Während bei uns der Skiurlaub ansteht, schwitzt man auf der anderen Seite der Welt am Strand. Und kein Ort in Südamerika zieht so viele Reiche und Schöne an wie das Städtchen Punta del Este in Uruguay. Für die Kultur Interessierten darf dabei ein Besuch bei Carlos Paéz Vilaró nicht fehlen, der sich hier ein Fantasiehaus gebaut hat.

Von Anne Herrberg | 02.01.2012
    Der 87-jährige Carlos Paéz Vilaró lebt in seinem Haus an der uruguayischen Atlantikküste.
    Der 87-jährige Carlos Paéz Vilaró lebt in seinem Haus an der uruguayischen Atlantikküste. (Jan-Martin Altgeld)
    "Hallo Sonne! Einen neuen Tag besuchst Du uns auf deinem langen Weg seit dem Beginn unseres Lebens."

    "Die Sonne ist mein längster Freund. Jeden Tag begrüßt sie mich von den Bergen und verabschiedet sich im Meer, deswegen habe ich ihr eine Hommage geschrieben. Mein Name ist Carlos Paéz Vilaró und Casapueblo ist mein Haus. Wie die Vögel, die ihr Nest bauen, habe ich es selbst errichtet. Es ist das Resultat eines Künstlers abseits der Traditionen, der sich in die Fluten warf, ohne zu wissen, ob er schwimmen kann."

    Carlos Paéz Vilaró liebt den poetischen Ausdruck. Und sein Haus gibt Zeugnis davon. Wie ein aus Sand gekleckstes Schlösschen sitzt Casapueblo auf den schroffen Klippen. Die weiß getünchten Mauern strahlen unter blauem Himmel. Dutzende Türmchen, Torbogen und Terrassen recken sich dem offenen Meer entgegen.

    "Casapueblo ist eine Oase der Ruhe, abseits des ganzen touristischen Trubels von Punta del Este. Und dazu ist man hier bei einem der bekanntesten Künstler Uruguays zu Gast."

    700 US-Dollar pro Nacht lässt sich der argentinische Gast eine Suite im angebauten Luxushotel kosten, mit Spa und Gourmet-Restaurant. Das hauseigene Museum mit Kunstshop lockt dazu zahlreiche Tagesbesucher – Casapueblo vermarktet sich hervorragend.

    Im Privattrakt, wo der inzwischen 87-jährige Vilaró lebt und arbeitet, hört man nur die Möwen schreien. Bronzestatuen stehen hier neben Fantasieskulpturen, Bottichen mit Farben und Pinseln, an den Wänden lehnen großflächige, expressionistische Ölbilder. Das farbenfrohe Chaos eines Unermüdlichen.

    "Jeden Tag fühle ich mich ein bisschen jünger, nicht mehr arbeiten zu könne, wäre mein Untergang. Denn Leben ist Farbe! Jede Farbe hat ja ihren Charakter, ich habe das mal aufgeschrieben."

    "Ich sehe die Geltungssucht in einem bläulich schimmernden Grau, die Aristokratie in einem Violett, die Armut in einem fahlen Ocker, das schamhaft schrille Geschrei im Feuerroten, die Nostalgie im kolonialen Blau. Ich sehe im Weiß die Beklemmung, Farbe zu werden, und im Schwarz die Dunkelheit. Im Rosenrot die aufkeimende Liebe und im Grün, das Leben."

    Angefangen hat alles im grauen Beton der Industrieviertel von Buenos Aires. Der junge Carlos Paéz Vilaró findet Arbeit in einer Druckerei, ist fasziniert von den bunten Karikatur-Drucken und greift schließlich selbst zum Pinsel.

    "Das Nachtleben der großen Stadt zog mich an, die Menschen, ihre Konflikte...Wegen einer Krankheit musste ich dann zurück und vermisste all das. Bis mir eines Tages ein afrikanischer Karnevalszug in Montevideo über den Weg lief. Diese Trommeln, diese Stimmen, die afrikanischen Wurzeln Uruguays – da wurde mir klar: Das ist es, das ist mein Ding."

    Die Farben, die Bässe, das Ausdrucksstarke ziehen ihn an, und ziehen ihn irgendwann weiter. Nach Afrika, ausgerechnet in den 60er-Jahren, den Jahren der dortigen Revolutionen:

    "Ich war mittendrin, ein bisschen naiv, und malte. Als ich den Präsidentenpalast vom Kongo zeichnete, wurde meine Erschießung angeordnet. Ich konnte mich retten – aber Afrika bleibt immer in meine Adern gebrannt. Mit Gunther Sachs dreht ich dort den Film "Batouk", der auf den Filmfestspielen 1967 in Cannes gezeigt wurde. Er war ein enger Freund, mit dem ich fantastische Momente teilen konnte."

    Vilaró trifft auf seinen Reisen mit den bedeutendsten Künstlern der Zeit zusammen: Jean Cocteau, Salvador Dali, Giorgio de Chiricco, Andy Warhol – jedem von ihnen ist eine Ecke, ein Gang, ein Zimmer von Casapueblo gewidmet, jeder stand ein bisschen Pate beim Werk des uruguayischen Lebenskünstlers. Vilaró zeigt auf eine Reihe dickbäuchiger Gipsfiguren:

    "Pablo Picasso hat mein Leben geprägt, wie kein zweiter. Er hat mir die Bildhauerei gezeigt. Ich hatte immer das Glück, dass alles, was ich anfasste, irgendwie funktionierte. Nur einmal fühlte ich mich unendlich ohnmächtig: Als ich dachte, meinen Sohn verloren zu haben. Aber das Glück wollte es, dass sie sich selbst fanden!"

    Carlitos, Vilarós Sohn, ist einer der 16 Überlebenden eines tragischen Flugzeugabsturzes, 1972. 70 Tage harrten die Männer in der Eiseskälte der chilenischen Anden aus, ihre Geschichte wurde in dem Film "Alive" mit John Malkovich verfilmt.

    "Sonne, manchmal verdunkeln Wolken deinen Glanz, aber dennoch wissen wir, deine Kraft wirkt auch im Verborgenen"

    Es ist Abend geworden. Nebenan füllt sich die große Terrasse von Casapueblo mit Touristen, sie bestellen Milchkaffee und Sandwiches, rücken die Stühle zurecht, in Erwartung der "Zeremonie für die Sonne". Meine allabendliche poetische Messe, sagt Vilaró mit einem Augenzwinkern – dann ertönt seine Stimme von Band.

    "Adios Sonne! Morgen erwarte ich dich wieder. Casapueblo ist dein Haus, deswegen nennen sie es das Haus der Sonne, der Sonne meines Lebens als Künstler, der Sonne meiner Einsamkeit. Ich fühle mich wie einen Sonnenmillionär, ich bewahre sie auf in der Schatzkiste des Horizonts."

    So begleitet Vilaró seinen engen Freund jeden Abend bei dessen scharlachroter Wanderung ins Meer.