Langsam stapft der alte Mann durchs trockene Laub. Friedlich liegt die "Staatsfarm von Déli" in dem tschadischen Dorf in der Sonne. Nur die mächtigen Blattdächer der Mangobäume tauchen einige der verstreut liegenden, weiß gekalkten Wirtschaftsgebäude in tiefen Schatten. Es ist sehr still, kaum eine Menschenseele zu sehen.
Die Idylle war vor fast 25 Jahren ein Ort des Grauens. Mbaïnadjibe Laokoura sucht nach Massengräbern, in denen die Opfer des Massakers damals, im "schwarzen September" 1984, schnell verscharrt wurden.
"Über 1000 Leute, die für die Rebellenkommandos gekämpft hatten, waren gekommen, um, wie vereinbart, in die Regierungsarmee überzutreten."
Rund 15.000 Oppositionelle hatten in Guerillatrupps im Süden des Tschad gegen das Regime des Staatschefs Hissène Habré gekämpft. Aber beide Seiten hatten in Verhandlungen einem Ende der Kämpfe zugestimmt.
"Die hier versammelten Männer wollten die Waffen niederlegen und erwarteten, dass die Regierungsarmee ihnen neue Uniformen und Sold geben würde. Stattdessen kamen Offiziere der Armee in ihren gepanzerten Wagen herangefahren. Wir standen vor dem Bürogebäude. Ein Soldat herrschte den Personalchef der Farm an: "Gehen Sie dort rüber." Und er antwortete: "Wir sind nur Angestellte der Farm hier." Aber da hatten sie schon das Feuer auf uns eröffnet. Ich bin ins Gebäude gerannt, ins Labor geflüchtet, durch das Fenster ins Freie gesprungen und dann weiter zum Fluss und dort ins Wasser gesprungen. Ich hielt nur meine Nase hin und wieder aus dem Wasser, um zu atmen."
Mbaïnadjibe Laokoura konnte sich retten, aber über 700 andere Tschader wurden brutal niedergeschossen. Noch heute sind die Einschusslöcher in Bäumen und in einem stillgelegten Wassertank zu sehen.
Die tschadische Menschenrechtsanwältin Jaqueline Moudeïna hat als erste im Jahr 2000 den Hergang des Massakers anhand von Zeugenaussagen rekonstruiert. Nichts deutet äußerlich auf die Massengräber hin. Aber der alte Dorfbewohner erkundet das Gelände wie mit einem siebten Sinn, zeigt hier hin und dort hin.
"Hier hat zweifellos ein Massaker stattgefunden, weil alle Zeugen in ihren Aussagen übereinstimmen, was den Zeitpunkt und den Hergang betrifft. Ein Ermittlungsrichter könnte die Leichen exhumieren lassen, die kann man nicht verbergen. Die Gebeine sind noch dort in der Erde, die sind Beweis genug für das Massaker von Déli."
Die "Säuberungsaktionen" des Machthabers Hissène Habré waren "gründlich": 1985 war der aufständische Süden "befriedet".
Der in Frankreich ausgebildete Hissène Habré hatte sich 1982 mit Hilfe des CIA und Frankreichs an die Macht geputscht - als Gegenspieler gegen den "Schurken" Muammar Gaddafi im nördlichen Nachbarstaat Libyen. Während seiner achtjährigen Terrorherrschaft wurden Tausende Oppositionelle ohne Gerichtsverfahren hingerichtet; in den Gefängnissen des Sicherheitsdienstes wurden Zigtausende zu Tode gefoltert, lebendig verbrannt, vergiftet oder dem Hungertod überlassen. Menschen "verschwanden", Regimeflüchtlinge wurden sogar außer Landes verfolgt und getötet.
Insgesamt werden Habré 40.000 politische Morde, 200.000 Fälle von Folter und viele weitere Menschenrechtsvergehen zur Last gelegt. 1990 wurde Habré von seinem Generalstabschef, Idriss Déby, gestürzt. Der "Pinochet Afrikas" floh in den Senegal und lebt seitdem dort unter Hausarrest, zumindest offiziell.
Ende der neunziger Jahre, als die chilenische Justiz endlich gegen den Ex-Diktator Augusto Pinochet ermittelte, erhoben Menschenrechtler auch im Tschad Anklage gegen Habré:
"Angeregt durch das Vorgehen gegen Pinochet haben wir die große US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kontaktiert und um Hilfe gebeten. Die kümmerten sich auch um die Akte Pinochet. Und wir erhielten sofort eine positive Antwort: Man würde uns beistehen."
Es entstand ein breites Bündnis internationaler Menschenrechtsorganisationen, die den Fall Habré zum Präzedenzfall auf dem Kontinent machen wollten. Doch das dauerte länger als gedacht. Nachdem Habré zunächst in seinem Exil im Senegal wegen gesetzlicher Hürden nicht vor Gericht kam, wurde 2002 die belgische Justiz tätig. Ein nach den Ruanda-Massakern beschlossenes Gesetz machte dies möglich. Der zuständige belgische Ermittlungsrichter reiste in den Tschad. Jaqueline Moudeina:
"Dieser Richter hat hier im Tschad vor Ort ermittelt. Er hat Opfer und auch Täter interviewt, hat sogar Opfer mit ihren Peinigern konfrontiert. Und die Ergebnisse dieser Ermittlungen wurden nach Jahren harter Arbeit nach Belgien geschickt, und ein belgisches Gericht hat Hissène Habré dann der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Kriegsverbrechen und des Völkermordes beschuldigt und erließ einen internationalen Haftbefehl."
Aber der Senegal lieferte den Tschader Ex-Staatschef nicht aus. Erst nach einer Aufforderung der Afrikanischen Union im Juli 2006, versprach der senegalesische Präsident Wade, Habré "im Namen Afrikas" anzuklagen. Aber der Prozessbeginn wurde verschleppt. Erst nach der Zusage finanzieller Hilfen der EU für das Verfahren hat das senegalesische Parlament Ende Juli dieses Jahres die letzte gesetzliche Hürde beseitigt. Doch Menschenrechtler zweifeln, dass der Prozess nun zügig beginnt. Jaqueline Moudeïna, die bis heute selbst unter den schweren Folgen eines Attentats durch die Schergen des Habré Nachfolgers Déby leidet:
"Wir können im Senegal nicht den politischen Willen erkennen, diesen Fall ab zu urteilen. In Afrika haben sich die Staatschefs wie in einem Syndikat zusammengeschlossen. Wir können annehmen, dass dieses Syndikat sich auch gegen eine Verurteilung Habrés einsetzt. Der Ex-Diktator hat damals große Summen außer Landes geschafft, Geld, das er im Senegal investiert hat. Also gibt es auch ökonomische Interessen Habré zu schützen. Sie gehören zu den wichtigsten Hindernissen für den Prozess."
Vor einer Woche hat ein tschadisches Strafgericht innerhalb einer Stunde den Ex-Diktator - völlig überraschend - in Abwesenheit wegen "Verletzung der Verfassungsordnung und der Sicherheit des Tschad" zum Tode verurteilt. Zusammen mit elf Anführern von Rebellengruppen, die das Regime Déby in diesem Jahr stürzen wollten. Menschenrechtsorganisationen sind der Ansicht, dass mit diesem Schuldspruch ein sorgfältiger Prozess und die Aufarbeitung der Diktatur im Senegal verhindert werden soll. Schließlich müsste auch der gegenwärtige Staatschef Déby als ehemaliger Chef von Habrés Armee mit unangenehmen Enthüllungen rechnen.
Die Menschenrechtsorganisationen erinnern an die Opfer des Hissène Habrés, die seit 18 Jahren auf Gerechtigkeit warten. Wie in Déli.
"Die Menschen hier haben wirklich Angst. Das System der Repression im Tschad hat sich nicht geändert. Sie ist immer noch sehr stark. Darum würden die Leute schon gerne sprechen, sind aber sehr zurückhaltend."
Durchaus zu Recht. Der Fotograf, der Jaqueline bei ihrem letzten Besuch in Déli begleitete, war sicher, Geheimpolizisten in einem Auto auf der Farm gesehen zu haben.
Die Idylle war vor fast 25 Jahren ein Ort des Grauens. Mbaïnadjibe Laokoura sucht nach Massengräbern, in denen die Opfer des Massakers damals, im "schwarzen September" 1984, schnell verscharrt wurden.
"Über 1000 Leute, die für die Rebellenkommandos gekämpft hatten, waren gekommen, um, wie vereinbart, in die Regierungsarmee überzutreten."
Rund 15.000 Oppositionelle hatten in Guerillatrupps im Süden des Tschad gegen das Regime des Staatschefs Hissène Habré gekämpft. Aber beide Seiten hatten in Verhandlungen einem Ende der Kämpfe zugestimmt.
"Die hier versammelten Männer wollten die Waffen niederlegen und erwarteten, dass die Regierungsarmee ihnen neue Uniformen und Sold geben würde. Stattdessen kamen Offiziere der Armee in ihren gepanzerten Wagen herangefahren. Wir standen vor dem Bürogebäude. Ein Soldat herrschte den Personalchef der Farm an: "Gehen Sie dort rüber." Und er antwortete: "Wir sind nur Angestellte der Farm hier." Aber da hatten sie schon das Feuer auf uns eröffnet. Ich bin ins Gebäude gerannt, ins Labor geflüchtet, durch das Fenster ins Freie gesprungen und dann weiter zum Fluss und dort ins Wasser gesprungen. Ich hielt nur meine Nase hin und wieder aus dem Wasser, um zu atmen."
Mbaïnadjibe Laokoura konnte sich retten, aber über 700 andere Tschader wurden brutal niedergeschossen. Noch heute sind die Einschusslöcher in Bäumen und in einem stillgelegten Wassertank zu sehen.
Die tschadische Menschenrechtsanwältin Jaqueline Moudeïna hat als erste im Jahr 2000 den Hergang des Massakers anhand von Zeugenaussagen rekonstruiert. Nichts deutet äußerlich auf die Massengräber hin. Aber der alte Dorfbewohner erkundet das Gelände wie mit einem siebten Sinn, zeigt hier hin und dort hin.
"Hier hat zweifellos ein Massaker stattgefunden, weil alle Zeugen in ihren Aussagen übereinstimmen, was den Zeitpunkt und den Hergang betrifft. Ein Ermittlungsrichter könnte die Leichen exhumieren lassen, die kann man nicht verbergen. Die Gebeine sind noch dort in der Erde, die sind Beweis genug für das Massaker von Déli."
Die "Säuberungsaktionen" des Machthabers Hissène Habré waren "gründlich": 1985 war der aufständische Süden "befriedet".
Der in Frankreich ausgebildete Hissène Habré hatte sich 1982 mit Hilfe des CIA und Frankreichs an die Macht geputscht - als Gegenspieler gegen den "Schurken" Muammar Gaddafi im nördlichen Nachbarstaat Libyen. Während seiner achtjährigen Terrorherrschaft wurden Tausende Oppositionelle ohne Gerichtsverfahren hingerichtet; in den Gefängnissen des Sicherheitsdienstes wurden Zigtausende zu Tode gefoltert, lebendig verbrannt, vergiftet oder dem Hungertod überlassen. Menschen "verschwanden", Regimeflüchtlinge wurden sogar außer Landes verfolgt und getötet.
Insgesamt werden Habré 40.000 politische Morde, 200.000 Fälle von Folter und viele weitere Menschenrechtsvergehen zur Last gelegt. 1990 wurde Habré von seinem Generalstabschef, Idriss Déby, gestürzt. Der "Pinochet Afrikas" floh in den Senegal und lebt seitdem dort unter Hausarrest, zumindest offiziell.
Ende der neunziger Jahre, als die chilenische Justiz endlich gegen den Ex-Diktator Augusto Pinochet ermittelte, erhoben Menschenrechtler auch im Tschad Anklage gegen Habré:
"Angeregt durch das Vorgehen gegen Pinochet haben wir die große US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kontaktiert und um Hilfe gebeten. Die kümmerten sich auch um die Akte Pinochet. Und wir erhielten sofort eine positive Antwort: Man würde uns beistehen."
Es entstand ein breites Bündnis internationaler Menschenrechtsorganisationen, die den Fall Habré zum Präzedenzfall auf dem Kontinent machen wollten. Doch das dauerte länger als gedacht. Nachdem Habré zunächst in seinem Exil im Senegal wegen gesetzlicher Hürden nicht vor Gericht kam, wurde 2002 die belgische Justiz tätig. Ein nach den Ruanda-Massakern beschlossenes Gesetz machte dies möglich. Der zuständige belgische Ermittlungsrichter reiste in den Tschad. Jaqueline Moudeina:
"Dieser Richter hat hier im Tschad vor Ort ermittelt. Er hat Opfer und auch Täter interviewt, hat sogar Opfer mit ihren Peinigern konfrontiert. Und die Ergebnisse dieser Ermittlungen wurden nach Jahren harter Arbeit nach Belgien geschickt, und ein belgisches Gericht hat Hissène Habré dann der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Kriegsverbrechen und des Völkermordes beschuldigt und erließ einen internationalen Haftbefehl."
Aber der Senegal lieferte den Tschader Ex-Staatschef nicht aus. Erst nach einer Aufforderung der Afrikanischen Union im Juli 2006, versprach der senegalesische Präsident Wade, Habré "im Namen Afrikas" anzuklagen. Aber der Prozessbeginn wurde verschleppt. Erst nach der Zusage finanzieller Hilfen der EU für das Verfahren hat das senegalesische Parlament Ende Juli dieses Jahres die letzte gesetzliche Hürde beseitigt. Doch Menschenrechtler zweifeln, dass der Prozess nun zügig beginnt. Jaqueline Moudeïna, die bis heute selbst unter den schweren Folgen eines Attentats durch die Schergen des Habré Nachfolgers Déby leidet:
"Wir können im Senegal nicht den politischen Willen erkennen, diesen Fall ab zu urteilen. In Afrika haben sich die Staatschefs wie in einem Syndikat zusammengeschlossen. Wir können annehmen, dass dieses Syndikat sich auch gegen eine Verurteilung Habrés einsetzt. Der Ex-Diktator hat damals große Summen außer Landes geschafft, Geld, das er im Senegal investiert hat. Also gibt es auch ökonomische Interessen Habré zu schützen. Sie gehören zu den wichtigsten Hindernissen für den Prozess."
Vor einer Woche hat ein tschadisches Strafgericht innerhalb einer Stunde den Ex-Diktator - völlig überraschend - in Abwesenheit wegen "Verletzung der Verfassungsordnung und der Sicherheit des Tschad" zum Tode verurteilt. Zusammen mit elf Anführern von Rebellengruppen, die das Regime Déby in diesem Jahr stürzen wollten. Menschenrechtsorganisationen sind der Ansicht, dass mit diesem Schuldspruch ein sorgfältiger Prozess und die Aufarbeitung der Diktatur im Senegal verhindert werden soll. Schließlich müsste auch der gegenwärtige Staatschef Déby als ehemaliger Chef von Habrés Armee mit unangenehmen Enthüllungen rechnen.
Die Menschenrechtsorganisationen erinnern an die Opfer des Hissène Habrés, die seit 18 Jahren auf Gerechtigkeit warten. Wie in Déli.
"Die Menschen hier haben wirklich Angst. Das System der Repression im Tschad hat sich nicht geändert. Sie ist immer noch sehr stark. Darum würden die Leute schon gerne sprechen, sind aber sehr zurückhaltend."
Durchaus zu Recht. Der Fotograf, der Jaqueline bei ihrem letzten Besuch in Déli begleitete, war sicher, Geheimpolizisten in einem Auto auf der Farm gesehen zu haben.