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Der politische Picasso

Die Ausstellungsmacher in Liverpool versprechen eine neue Sicht auf Picasso - einen Blick auf den politischen Künstler und seine Beziehungen zur Friedenbewegung. Doch kann man die Kunst Picassos wirklich wörtlich nehmen?

Von Hans Pietsch | 04.06.2010
    Eine graue Katze beäugt neugierig einen roten Hummer, der neben Fischen und anderen Krustentieren auf einem Tisch liegt. Ein gefundenes Fressen, scheint sie zu denken, doch wie den Panzer knacken?

    Picassos Stillleben "Katze und Hummer" entstand im Oktober 1962. Drei Jahre später kehrte der Maler zu dem Thema zurück, betitelte es jetzt aber "Hummer und Katze": der nun blaue Hummer ist zum Angriff übergegangen, seine Scheren bedrohen die buckelnde Katze, ihre Haare stehen zu Berge, sie faucht mit gefletschten Zähnen.

    Zwei Stillleben, ironisch, spielerisch. Schenkt man jedoch der Ausstellung in Liverpool Glauben, malte Picasso hier die Kubakrise. Denn im Oktober 1962 hielt die Welt in Atem an: Würde es zum Atomkrieg kommen, würden die beiden Supermächte die Erde zerstören? Abgesehen davon, dass unklar bleibt, welches der beiden Tiere die USA, welches die Sowjetunion ist – kann man Picasso wirklich so wörtlich nehmen?

    Wir wissen, dass der Spanier glühender Republikaner war, den Faschismus hasste. Freiheit, so sein Galerist Kahnweiler, ist ihm das höchste Gut. Mit einem an "Guernica", diesen leidenschaftlichen Aufschrei gegen Krieg und Unterdrückung erinnernden Werk beginnt die Schau. "Das Beinhaus" von 1944/45: übereinandergeschichtete Körper, verzerrte Gliedmaßen, in einer häuslichen Umgebung. Die Grisaille-Technik beschwört Wochenschauen und Pressefotos herauf, das Foto einer von Falangisten in ihrer Küche ermordeten republikanischen Familie diente ihm als Vorlage.

    Wir wissen auch, dass er Kommunist war. 1944 trat er der französischen KP bei und blieb ihr bis zu seinem Tod im Jahr 1973 treu. Weder Stalins Terror – er zeichnete den Diktator als jungen Mann für die kommunistische Zeitschrift "Lettres Litteraires" und schickte ihm einen fröhlichen Geburtstagsgruß mit schäumendem Sektglas – weder Stalin noch der Ungarnaufstand noch der Prager Frühling ließen ihn wanken. Eine Einmischung in seine Kunst verbat er sich jedoch: Ich belehre die Sowjets nicht in Sachen Wirtschaftspolitik, warum sollten sie mir vorschreiben, wie ich male? Großzügig stiftete er Geld, eine Million Francs für einen Bergarbeiterstreik, der Scheck ist in der Schau zu bewundern. War er einer der "nützlichen Idioten", wie Lenin sympathisierende Intellektuelle abschätzig nannte?

    Im Zentrum der Schau die berühmte Friedenstaube, die sich der Dichter Louis Aragon 1948 als Emblem für eine von ihm organisierte Friedenskonferenz aussuchte. Sie ging um die Welt: auf Keramiktellern und Halstüchern, auf Plakaten und Lithografien. Da wurde Kunst zum reinen Propagandamittel, der Künstler zum Handlanger. Agitprop muss, um effektiv zu sein, komplizierte Sachverhalte simplifizieren. Picassos Kunst handelt mit Anspielungen, Metaphern, Symbolen.

    In immer neuen Variationen führt er diese vor: Der geschlachtete, geköpfte Hahn steht für das besiegte Frankreich, der stolze Hahn mit bunten Federn für das befreite Land, die Eule für den Tod, wie auch die vielen Totenköpfe auf seinen Stillleben. In diesem ersten Teil der Ausstellung lassen sich Entdeckungen machen, Arbeiten voller emotionaler Kraft und visuellem Einfallsreichtum. Doch im zweiten Teil, nach der Friedenstaube, fällt sie in sich zusammen. Da werden den großen späten Serien, in denen er Altmeister aufarbeitete, willkürlich politische Inhalte übergestülpt: die Variationen von "Las Meninas" nach Velazquez sollen Francos Versuch darstellen, die spanische Monarchie neu aufzubauen; der "Raub der Sabinerinnen" nach Poussin und David erneut die Kubakrise; und die "Frauen von Algier" nach Delacroix den Algerienkrieg. Am ärgerlichsten vielleicht das "Frühstück im Freien" nach Manet, in dem er angeblich auf die sexuelle Revolution der 60-er Jahre aufsprang. Glücklicherweise halten sie den dogmatischen Ansturm der Kuratoren aus. Wie auch die Arbeiten des letzten Raums – große späte Aktdarstellungen und Selbstporträts, etwa als Rembrandt. Man kann Picasso also wirklich nicht zu wörtlich nehmen.

    Infos:
    Tate Liverpool - Picasso: Peace and Freedom