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Der "Portoparagraph"

Vor gut 30 Jahren stimmte der Bundestag für das "Gesetz zur Gleichbehandlung von Mann und Frau am Arbeitsplatz". Dieses erwies sich allerdings als unausgegoren und als lahmer Kompromiss.

Von Hanna Immich |
    Bundestagsdebatte im Juni vor 30 Jahren. Grundsätzlich ist man sich einig: Selbstverständlich wollen alle hier, dass Frauen gleichberechtigt sind – zumindest theoretisch: 476 männliche und 42 weibliche Bundestagsabgeordnete stimmen dafür - nur den Unternehmen soll das Ganze nicht allzu sehr wehtun.

    Das Bürgerliche Gesetzbuch wird durch den Paragraf 611a ergänzt, das "Gesetz zur Gleichbehandlung von Mann und Frau am Arbeitsplatz", in dem es fortan heißt:

    "Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses beim beruflichen Aufstieg bei einer Weisung oder Kündigung nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen."

    Klingt gut, doch alle Experten bezeichnen das Gesetz später als unausgegoren und lahmen Kompromiss. Auch die regierende SPD ist irgendwie unzufrieden – mehr sei derzeit aber einfach nicht drin. Die SPD-Abgeordnete Waltraud Steinhauer:

    ""Daher können wir hier nur in gewissen Maßen an betriebliches Wohlverhalten der Arbeitgeberseite appellieren aber auch an die Überwachung durch Betriebs- und Personalräte.""

    Ein hehrer Wunsch, der auch ein solcher bleiben soll. Enthält das neue Gesetz doch eher höfliche Aufforderungen als konkrete Verbote. Der damaligen CDU und FDP kommt das entgegen, denen die Interessen der Unternehmen offenbar näher liegen, als die der Frauen. Dieter Julius Kronenberg von der FDP:

    ""Weil wir das Vertrauen haben, dass der gute Wille der Arbeitgeber kontrolliert durch die Betriebsräte das gleiche Ergebnis erzielen wird und weil wir es einfach nicht lieben unnötig mit dem Knüppel zu drohen. Lassen sie den Arbeitgebern doch die Chance das zu praktizieren was der Gesetzgeber will zu praktizieren, ohne gleich mit der Strafe zu drohen.""

    Dem neuen Gesetz fehlt es schlicht an Biss und so geht der Paragraf 611a auch als "Portoparagraph" in die Geschichte ein: denn die schlimmste Strafe für ein Unternehmen, das eine Frau bei der Stellenvergabe benachteiligt: Porto und Briefumschlag für die Bewerbung zu ersetzen. Ein Verlust, den wohl jede Firma gut verschmerzen kann.

    Und auch der Punkt der Beweislastumkehr wird von vielen Seiten kritisiert. Konkret heißt das: Eine Frau muss zunächst glaubhaft belegen, dass sie diskriminiert wurde, bevor ein Unternehmen überhaupt angegangen werden kann. Das aber werden wohl die wenigsten betroffenen Frauen riskieren.Selbst die CDU–Abgeordnete Roswitha Verhülsdunk ist da skeptisch.

    ""Im Zweifelsfall würde es den beklagten Unternehmen vor Gericht sicher nicht an Beweismaterial gegen eine abgelehnte Bewerberin fehlen die sich dann auch bei guter Qualifikation auch vor dem Richter noch mangelnde Fähigkeiten bescheinigen lassen müssten.""

    Seit damals ist natürlich Einiges passiert. 1994 folgt das Zweite Gleichberechtigungsgesetz, das schmerzhaftere Sanktionen enthält. Und seit 2006 gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das EU-Richtlinien umsetzt und auch Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts verhindern soll.

    Auf dem Papier ist also alles klar – doch in der Praxis läuft noch längst nicht alles glatt.