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Der Präsident als sein eigener Historiker

Bill Clintons Autobiographie ist zwar erst ab Dienstag in den US-amerikanischen Buchläden zu haben, der Hype dröhnt aber schon seit Wochen, und seit heute auch bei uns in Deutschland. Geschätzte neun bis zehn Millionen Dollar hat der New Yorker Verlag Knopf dem Ex-Präsidenten als Vorschuss gezahlt, entsprechend will das Riesen-Werk vermarktet sein. BILD und Spiegel helfen mit Vorabdrucken. "Mein Leben" wird natürlich als sensationelle Lebensbeichte, als ein mitreißendes, emotionales, rührendes Buch verkauft, und natürlich lautet eine Frage, wie sehr die Berichte über die Autobiographie Clintons das Phänomen Clinton auch wieder verstellen.

Andrian Kreye im Gespräch |
    Karin Fischer: Zunächst aber die Frage an meinen Kollegen Andrian Kreye in New York, sind wir hier in Deutschland so fixiert auf den Skandal um Monica Lewinsky oder giert Amerika auch so nach pikanten Einzelheiten?

    Andrian Kreye: Das waren natürlich genau die Stellen des Buches, auf die Amerika gewartet hat. Angeblich erzählt er ja dann auch in dem Buch, dass das der schwerste Tag seiner Präsidentschaftsperiode war, als er Hillary Clinton diese Affäre gestehen musste. Das lenkt natürlich immer ein bisschen ab, diese ganzen Frauengeschichten haben damals die Republikaner benutzt, um von seinen politischen Erfolgen abzulenken und jetzt ist diese Monica Lewinsky-Geschichte für ihn natürlich eine gute Möglichkeit, um auch das Interesse dann vor allem auf diese Affäre zu richten und ein bisschen abzulenken, was da alles fehlen könnte in seiner Biographie.

    Fischer: Was fehlt denn alles?

    Kreye: Bei solchen Autobiographien ist immer das Problem, dass dem die Geschichte gehört, der sie aufschreibt und wenn er es ist, der die Geschichte gemacht hat, wird er sie sehr zu seinen Gunsten färben. Gerade bei Bill Clinton wurde relativ viel vergessen, es gibt ein paar Punkte. Er hat die Demokraten sehr weit nach rechts geschoben, die private Gefängnisindustrie aufgebaut und gleichzeitig den Drogenkrieg verschärft, um die Gefängnisse dann auch wirklich vollzumachen. Das hat dann auch dazu geführt, dass unter seiner Amtszeit der zweimillionste Gefangene in Haft genommen wurde und dass seither auch wirklich ein Viertel aller Häftlinge weltweit in amerikanischen Gefängnissen sitzen. Er war sehr scharf in punkto Todesstrafe, hat eine sehr harte Linie gegen den Irak gefahren, auch wenn er nicht direkt Krieg geführt hat, hat auch bombardieren lassen, die Intervention in Haiti durchgeführt, politisch auch sehr umstritten, seine Linie gegen Kuba war sehr hart...

    Fischer: Und spielt das alles keine Rolle in seinem Buch?

    Kreye: Relativ gering. Er erzählt darüber, aber er färbt es zu seinen Gunsten ein, stellt auch seine Probleme mit dem Terrorismus sehr zu seinen Gunsten dar. Aber das hat auch niemand anders erwartet, glaube ich.

    Fischer: Es ist ja kein Geheimnis, dass Clinton im Präsidentschaftswahlkampf den demokratischen Bewerber gleichzeitig unterstützt als auch ihn in den Schatten zu stellen droht. Kann Clinton denn als Präsident einer zumindest außenpolitisch fast friedlich zu nennenden Epoche zwischen kaltem Krieg und heißem Terrorkampf ein bisschen für Kerry mit glänzen oder hat er gegen den erst kürzlich verstorbenen Altpräsidenten Ronald Reagan schon verloren, der ja von den Republikanern derzeit in Stellung gebracht wird?

    Kreye: Das Problem liegt wohl eher bei Kerry, weil er in den Medien fast nicht stattfindet. Es wird sehr wenig über ihn berichtet, es gibt auch sehr wenig zu berichten über ihn. Er ist sehr farblos. Bill Clinton könnte ihn so überschatten, dass es ihm eher schadet als nutzt. Vor allem weil Bill Clinton eine Symbolfigur für die goldenen 90er-Jahre ist, nach denen sich hier dann doch auch alle sehnen; nach dem Wirtschaftsboom, nach den relativ ruhigen außenpolitischen Zeiten. Und die Brücke von Reagan zu Bush macht auch mehr Sinn, weil es da wirklich eine historische und politische Kontinuität gibt, mit der Bush sich wirklich berechtigterweise als Erben von Reagan darstellen kann.

    Fischer: So eine Autobiographie schient ja eine schlüssige Folge einer immer mehr medialisierten Welt zu sein, in Zukunft wird es vermutlich nicht mehr ohne gehen. Trotzdem könnte man ja die Frage stellen, ob und wie ein solches Buch nicht auch die offizielle Geschichtsschreibung beeinflusst, die traditionell ja etwas mehr Abstand und Zeit für Bewertungen braucht. Liefert zukünftig jeder amerikanische Präsident die Interpretation seiner Politik auf diese Weise selbst?

    Kreye: Das ist anzunehmen. George Bush hat ja auch schon Bücher geschrieben. Es macht natürlich Sinn, weil so eine Autobiographie immer größere Aufmerksamkeit in den Medien hervorrufen wird als eine historische Betrachtung. Und ernsthafte historische Betrachtungen, die natürlich erst viel später kommen können, haben es natürlich dann sehr schwer. Da ist dann der Hype vorbei um ein bestimmtes Thema und die sind meistens auch nicht so beworben wie eine Autobiographie oder eine Polemik gegen oder für einen Präsidenten.

    Fischer: Andrian Kreye über Bill Clintons Autobiographie und ihren geschichtspolitischen Mehrwert.