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Der Preis der Wahrheit

Die Ermordung der entführten Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa fügt sich nach Ansicht von Uwe Halbach, Kaukasusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, in ganze Reihe von Anschlägen auf Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in Russland ein.

Uwe Halbach im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Nach der Ermordung der entführten 50-jährigen Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa in Tschetschenien ist die Empörung im Westen groß. Nur darum kümmert sich die Kaukasus-Republik naturgemäß wenig. Ihr Leichnam wurde in der Nachbarrepublik Inguschetien gefunden. Ich habe Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik gefragt, Kaukasus-Spezialist: Wer war die Frau, die in Grosny verschleppt und ermordet wurde und offenbar der Regierung Kadyrov in Tschetschenien wichtig und gefährlich wurde?

    Uwe Halbach: Ja, sie wird zunehmend mit Anna Politkowskaja gleichgesetzt, weil auch sie in enger Verbindung mit ihren kritischen Hinweisen auf Tschetschenien, auf die Situation im Nordkaukasus, auf die dortigen Menschenrechtsverletzungen offenbar ermordet wurde. Wir haben in Russland eine Situation, dass hier eine ganze Reihe von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in den letzten Jahren Anschlägen, Mordanschlägen zum Opfer gefallen sind, und viele davon standen irgendwie in Verbindung mit der Situation im Nordkaukasus. Und das gilt eben auch ganz besonders für Natalja Estemirowa, eine Historikerin, die gerade in den letzten Wochen deutlich gemacht hat, dass die Regierungsversion, dass sich dort in Tschetschenien im Nordkaukasus ein Prozess der Normalisierung vollzieht, dass die nicht stimmt, dass weiterhin in Tschetschenien Menschen entführt werden, dass es weiterhin zahllose Gewaltaktionen in Tschetschenien gibt, von denen viele ausgehen von den offiziellen Staatsorganen.

    Köhler: Sie haben schon drauf hingewiesen, die Lehrerin und Historikerin deckte Verbrechen gegen Zivilisten auf, sie war vielleicht die prominenteste Menschenrechtsaktivistin, arbeitete für die Organisation Memorial. Sie schrieb für die regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" wie die im Oktober 2006 ermordete Journalistin Politkowskaja. Gibt es da so eine Art Muster, dass Aktivistinnen und Journalistinnen besonders gefährdet sind, besonders zum Opfer fallen?

    Halbach: Ja, besonders wenn sie auf die größten Schwachstellen in Russland hinweisen, und die liegen vor allem im Nordkaukasus. Der Nordkaukasus ist die mit Abstand instabilste Region Russlands, und es ist auch die Region, wo der Abstand Russlands zu irgendeiner Form von Rechtsstaatlichkeit am größten ist. Also jener Zustand, den Medwedew ja erreichen möchte für Russland, eine Form zivilisierter Staatlichkeit, eine Rechtsstaatlichkeit, davon ist man in dieser Region am weitesten entfernt. Und Leute, die darauf hinweisen, die auf die konkrete Situation in Tschetschenien, in Inguschetien, in Dagestan, in andern nordkaukasischen Republiken hinweisen, die - das kann man sagen - leben gefährlich. Die haben einmal Feinde in Moskau, die haben aber eben auch Feinde vor Ort, im Nordkaukasus. Und der Tod von Estemirowa steht ja in Verbindung mit Tschetschenien, sie ist offensichtlich in Grosny ermordet worden oder zumindest im Zusammenhang mit Tschetschenien ermordet worden, und es heißt, sie habe auch schon deutliche Warnungen bekommen von den dortigen Machthabern, von Ramzan Kadyrov und seiner Umgebung.

    Köhler: Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit werden offenbar mit Füßen getreten, daran ändern auch Lippenbekenntnisse des russischen Präsidenten Medwedew nichts, oder?

    Halbach: Ja offensichtlich. Medwedew hat ja ziemlich stark reagiert auf diesen Fall. Ganz anders, als Putin seinerzeit auf die Ermordung von Politkowskaja reagiert hat, dass er auch abgewiegelt hat, dass er gesagt hat, die Frau sei nicht so wichtig, wie man im Westen meint, hat Medwedew Empörung geäußert, hat die Sache an den Generalstaatsanwalt übergeben. Aber auch dieser Mechanismus garantiert in keiner Weise, dass der Fall wirklich aufgeklärt wird.

    Köhler: Aus Ihrer Kenntnis heraus, wie ist die - ich nenne es mal so - mediale Versorgung der Bevölkerung im Nordkaukasus und in Tschetschenien? Aus der Beobachtung der iranischen Wahl wissen wir, eine überwiegend junge Bevölkerung ist technischen Medien gegenüber sehr freundlich und affin, also die nutzen Internet und Handys und Laptops und was nicht alles. Ist das unausgeprägt in diesen Ländern, kann man darauf setzen, kann man daran Hoffnungen knüpfen? Wir lesen immer von Journalisten, die für Zeitungen schreiben, aber das ist ja heute nicht mehr alles alleine?

    Halbach: Also das ist im Nordkaukasus sicherlich wesentlich eingeschränkter, was den Zugang zu objektiven Informationen betrifft. Das ist also zum Beispiel daran zu ermessen, dass bei Wahlgängen im Nordkaukasus die Ergebnisse für die Partei "Einiges Russland" teilweise noch weit über dem Standard in Russland liegen. Das heißt, es werden also die herrschen Machteliten bestätigt in solchen Wahlen, und keiner kann das richtig überprüfen. Also der Zugang zu objektiver Information ist dort deutlich eingeschränkt. Und das gilt natürlich für die Informationslage in Russland im Großen und Ganzen auch, gerade das, was Tschetschenien betraf. Da wurde ja die gesamte russische Bevölkerung nicht wirklich objektiv aufgeklärt, weil in den staatsabhängigen Funkmedien - und die Bevölkerung erhält überwiegend ihre Informationen über die Funkmedien, nicht über die Printmedien - weil dort ganz einfach die Kreml-nahe Darstellung dieser Ereignisse dominierte und kein Platz war für eine kritische Berichterstattung à la Politkowskaja. Und das zeigt eben, dass Journalisten wie Politkowskaja und Menschenrechtsaktivisten wie Estemirowa dort in einem sehr sensitiven Bereich agiert haben.