Kofi Annan gilt heute als die Personifizierung der Vereinten Nationen - ohne ihn kann man sich die Weltorganisation kaum noch vorstellen, so sehr hat er ihr seinen Stempel aufgedrückt. "Die Vereinten Nationen sind zu einem Teil seines Lebens, sein Leben ist Teil der Organisation geworden", schreibt denn auch seine Biographin Friederike Bauer schon in der Einleitung. Umso mehr wundert man sich beim Lesen des Buches, dass das Leben dieses Mannes vor seiner Zeit als Generalsekretär offenbar weitgehend geradlinig und ohne herausragende Ereignisse verlief. Auf nur 82 Seiten beschreibt Bauer die ersten 48 Jahre seines Lebens als bruchlosen Aufstieg vom behüteten Kind einer wohlhabenden Adelsfamilie im kolonialen Ghana bis zur Wahl zum obersten Beamten der Vereinten Nationen. Sie zieht eine direkte Linie vom Aufwachsen in der afrikanischen Großfamilie hin zu Annans späterem Agieren als Chef der Weltorganisation.
In seiner Kindheit kommt Kofi bereits mit manchem in Berührung, was ihn, wie es scheint, unmerklich auf seine spätere Aufgabe bei den Vereinten Nationen vorbereitet. Der Versuch, Konflikte friedlich beizulegen durch festgelegte Mechanismen und Instanzen, ist nur ein Element davon. Annan lebt auch mit zahllosen und wechselnden Mitgliedern der Großfamilie zusammen; dabei lernt er mit unterschiedlichen Generationen und Temperamenten zurechtzukommen.
Annan selbst hat der Autorin gegenüber seine Kindheit in Afrika als die prägendste Zeit seines Lebens beschrieben. Genau deshalb ist es schade, dass Bauer die Jugendjahre des späteren Generalsekretärs so knapp und weitgehend farblos beschreibt. Annan selbst hat nur wenig preisgegeben. Und was sie aus Interviews mit Dritten und aus Büchern erfahren hat, geht kaum über bekannte Klischees hinaus. Ärgerlich wird dies dort, wo Bauer unreflektiert Begriffe wie "Stamm" und "Rasse" verwendet.
Spannend scheint das Leben Annans erst mit seinem Aufstieg in die Führung der Vereinten Nationen zu werden. Als Untergeneralsekretär ist er ab 1993 zuständig für die Friedensoperationen. In diese Zeit fällt 1994 der Völkermord in Ruanda. Im Vorfeld bat der Kommandeur der kleinen UN-Friedenstruppe um die Erlaubnis zum Eingreifen; Annans Sekretariat lehnte aus rechtlichen Gründen ab - und machte sich dadurch mitschuldig, urteilt Friederike Bauer. So sieht es auch Tobias Debiel vom Institut für Entwicklung und Frieden in Duisburg.
"Das war zum Teil vielleicht eine Art vorauseilender Gehorsam gegenüber dem UN-Sicherheitsrat, weil man schon vermutete, dass dort mächtige Länder - insbesondere die USA, aber auch Frankreich - einer Aufstockung der Truppen nicht zustimmen würden. Zugleich muss man sagen: Das war halt ein sehr formalistisches, bürokratisches Verfahren, was der Realität vor Ort überhaupt nicht gerecht wurde und Kofi Annan in Ruanda sicherlich einen sehr schlechten Ruf verschafft hat."
Diese Fakten erkennt auch Volker Weyel an, doch verurteilen will er Annan deshalb nicht. Weyel war mehr als 25 Jahre Chefredakteur der Fachzeitschrift "Vereinte Nationen". Er weist darauf hin, dass der damalige Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali immerhin versucht habe, mehrere Staaten für einen Truppeneinsatz zu gewinnen.
"Das Versagen in Sachen Ruanda war nicht das Versagen der Vereinten Nationen als Organisation. Es war das Versagen der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der Staaten, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrats sind, die es in der Tat in der Hand gehabt hätten, hier eine andere Rolle zu spielen als sie tatsächlich gespielt haben."
Friederike Bauer sieht hierin einen Grund dafür, dass später kein wichtiger UN-Mitgliedsstaat Annan sein Verhalten vorgeworfen hat. Annan selbst gab schließlich 1999 eigene Fehler zu. Ähnlich verhielt er sich angesichts der Massaker von Srebrenica, die ebenfalls in seine Zeit als Untergeneralsekretär fielen. Das Versagen der internationalen Gemeinschaft in beiden Fällen ließ Annan nicht wieder los, betont seine Biographin.
Ohne die katastrophalen Einsätze von Ruanda und Srebrenica kann man seinen weiteren Weg kaum verstehen. Sie bilden einerseits das Sprungbrett zum höchsten UN-Posten, weil die Amerikaner ihn als Partner bei den UN schätzen lernen. Andererseits gehen einige seiner späteren Handlungen als Generalsekretär direkt auf die Erfahrungen jener Jahre zurück, vom Kosovo über Osttimor bis zum Irak, von der Reform der Weltorganisation bis zu seinem Umgang mit dem Weltsicherheitsrat.
Die Amerikaner spielten in der Tat die Schlüsselrolle bei Annans Wahl zum Generalsekretär. Detailliert ruft Friederike Bauer noch einmal in Erinnerung, wie die USA seinem Vorgänger Boutros-Ghali die Wiederwahl vermasselten. Der Ägypter war ihnen zu eigenwillig. Folglich galt Annan zunächst als Mann der Amerikaner, erinnert sich der Journalist Volker Weyel.
"Er hat ein großes Maß an Selbstverleugnung, oder positiver ausgedrückt: Flexibilität, gezeigt, um mit den Amerikanern im Geschäft zu bleiben. Aber bei aller Geschmeidigkeit hat er sich nicht verbiegen lassen. Das bedeutete - und das war auch meine Prognose bei der Wahl von Kofi Annan -, dass er binnen eines halben Jahres natürlich irgendwo mit den Amerikanern zusammenrasseln würde. Und es haben sich in der Tat eine Reihe von Konflikten ergeben."
So ähnlich beschreibt es auch Annans Biographin. Insgesamt habe Annan ein gespaltenes Verhältnis zu dem Land, in dem er einst studiert hat. Zuneigung und Respekt hielten sich die Waage mit Widerwillen und Enttäuschung. Die größte Enttäuschung war für Annan sicherlich das einseitige Vorgehen der USA im Irak. Auch wenn der Generalsekretär zunächst auffällig schwieg, als die Amerikaner dort einmarschierten - später bezeichnete er den Krieg als eindeutig illegal. Mit den Schwerpunkten Friedenssicherung, Menschenrechte und Armutsbekämpfung hat Annan seine Amtszeit ganz besonders in den Dienst seines Heimatkontinents gestellt. Friederike Bauer arbeitet das in ihrem Buch klar heraus.
Annan ist ein untypischer und unbequemer Sohn Afrikas, zugleich ein prominenter und engagierter Fürsprecher des Kontinents. Die herrschenden Klassen nimmt er hart ins Gericht, härter, als jeder auf "political correctness" bedachte Politiker der westlichen Welt es je wagte.
Am Ende zieht Bauer ein gemischtes Bild seines bisherigen Wirkens. Annan habe innerhalb der UN viele Reformen umgesetzt und mit seiner beharrlichen diplomatischen Art manche Debatte vorangetrieben oder gar angestoßen, so auch die über die Millennium-Entwicklungsziele. Trotzdem:
Er hat nicht geschafft, was manchem seiner Vorgänger glückte: Durch irgendeine diplomatische Großtat in die Geschichte einzugehen (...). Am Engagement lag es nicht, das stellte der Generalsekretär, bei aller berechtigter Kritik im Einzelnen, wiederholt unter Beweis, die Gesamtumstände jedoch haben mehr anscheinend nicht zugelassen.
Eine abschließende Bewertung kann die Autorin nicht ziehen, denn Annan hat noch eineinhalb Jahre als Generalsekretär vor sich. Und noch ist nicht endgültig klar, wie beschädigt er aus der Korruptionsaffäre um die Ölgeschäfte mit Saddam Hussein hervorgeht, in die auch sein Sohn verwickelt ist. Insgesamt bietet Friederike Bauer einen umfassenden Überblick über das Leben Annans. Sie erläutert auch die - möglichen oder wahrscheinlichen - Motive für das Handeln des Generalsekretärs. Den Menschen Kofi Annan bringt sie uns leider nicht viel näher. Immerhin ist es der Autorin gelungen, Annans bisher weitgehend unbekannte erste Frau, die Nigerianerin Titi Alakija, ausfindig zu machen. Ihr konnte sie ein paar wenige neue Details über das gemeinsame Leben mit ihm entlocken. Annan selbst hat diese Ehe mit der Mutter seiner beiden Kinder bisher im Dunkeln gelassen. Dennoch: Das Bild, das wir nach dem Lesen des Buches von ihm haben, gleicht doch zu sehr dem, das er selbst über seine öffentlichen Auftritte vermittelt.
Friederike Bauer: Kofi Annan. Ein Leben.
S. Fischer Verlag
350 Seiten
19,90 Euro.
In seiner Kindheit kommt Kofi bereits mit manchem in Berührung, was ihn, wie es scheint, unmerklich auf seine spätere Aufgabe bei den Vereinten Nationen vorbereitet. Der Versuch, Konflikte friedlich beizulegen durch festgelegte Mechanismen und Instanzen, ist nur ein Element davon. Annan lebt auch mit zahllosen und wechselnden Mitgliedern der Großfamilie zusammen; dabei lernt er mit unterschiedlichen Generationen und Temperamenten zurechtzukommen.
Annan selbst hat der Autorin gegenüber seine Kindheit in Afrika als die prägendste Zeit seines Lebens beschrieben. Genau deshalb ist es schade, dass Bauer die Jugendjahre des späteren Generalsekretärs so knapp und weitgehend farblos beschreibt. Annan selbst hat nur wenig preisgegeben. Und was sie aus Interviews mit Dritten und aus Büchern erfahren hat, geht kaum über bekannte Klischees hinaus. Ärgerlich wird dies dort, wo Bauer unreflektiert Begriffe wie "Stamm" und "Rasse" verwendet.
Spannend scheint das Leben Annans erst mit seinem Aufstieg in die Führung der Vereinten Nationen zu werden. Als Untergeneralsekretär ist er ab 1993 zuständig für die Friedensoperationen. In diese Zeit fällt 1994 der Völkermord in Ruanda. Im Vorfeld bat der Kommandeur der kleinen UN-Friedenstruppe um die Erlaubnis zum Eingreifen; Annans Sekretariat lehnte aus rechtlichen Gründen ab - und machte sich dadurch mitschuldig, urteilt Friederike Bauer. So sieht es auch Tobias Debiel vom Institut für Entwicklung und Frieden in Duisburg.
"Das war zum Teil vielleicht eine Art vorauseilender Gehorsam gegenüber dem UN-Sicherheitsrat, weil man schon vermutete, dass dort mächtige Länder - insbesondere die USA, aber auch Frankreich - einer Aufstockung der Truppen nicht zustimmen würden. Zugleich muss man sagen: Das war halt ein sehr formalistisches, bürokratisches Verfahren, was der Realität vor Ort überhaupt nicht gerecht wurde und Kofi Annan in Ruanda sicherlich einen sehr schlechten Ruf verschafft hat."
Diese Fakten erkennt auch Volker Weyel an, doch verurteilen will er Annan deshalb nicht. Weyel war mehr als 25 Jahre Chefredakteur der Fachzeitschrift "Vereinte Nationen". Er weist darauf hin, dass der damalige Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali immerhin versucht habe, mehrere Staaten für einen Truppeneinsatz zu gewinnen.
"Das Versagen in Sachen Ruanda war nicht das Versagen der Vereinten Nationen als Organisation. Es war das Versagen der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der Staaten, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrats sind, die es in der Tat in der Hand gehabt hätten, hier eine andere Rolle zu spielen als sie tatsächlich gespielt haben."
Friederike Bauer sieht hierin einen Grund dafür, dass später kein wichtiger UN-Mitgliedsstaat Annan sein Verhalten vorgeworfen hat. Annan selbst gab schließlich 1999 eigene Fehler zu. Ähnlich verhielt er sich angesichts der Massaker von Srebrenica, die ebenfalls in seine Zeit als Untergeneralsekretär fielen. Das Versagen der internationalen Gemeinschaft in beiden Fällen ließ Annan nicht wieder los, betont seine Biographin.
Ohne die katastrophalen Einsätze von Ruanda und Srebrenica kann man seinen weiteren Weg kaum verstehen. Sie bilden einerseits das Sprungbrett zum höchsten UN-Posten, weil die Amerikaner ihn als Partner bei den UN schätzen lernen. Andererseits gehen einige seiner späteren Handlungen als Generalsekretär direkt auf die Erfahrungen jener Jahre zurück, vom Kosovo über Osttimor bis zum Irak, von der Reform der Weltorganisation bis zu seinem Umgang mit dem Weltsicherheitsrat.
Die Amerikaner spielten in der Tat die Schlüsselrolle bei Annans Wahl zum Generalsekretär. Detailliert ruft Friederike Bauer noch einmal in Erinnerung, wie die USA seinem Vorgänger Boutros-Ghali die Wiederwahl vermasselten. Der Ägypter war ihnen zu eigenwillig. Folglich galt Annan zunächst als Mann der Amerikaner, erinnert sich der Journalist Volker Weyel.
"Er hat ein großes Maß an Selbstverleugnung, oder positiver ausgedrückt: Flexibilität, gezeigt, um mit den Amerikanern im Geschäft zu bleiben. Aber bei aller Geschmeidigkeit hat er sich nicht verbiegen lassen. Das bedeutete - und das war auch meine Prognose bei der Wahl von Kofi Annan -, dass er binnen eines halben Jahres natürlich irgendwo mit den Amerikanern zusammenrasseln würde. Und es haben sich in der Tat eine Reihe von Konflikten ergeben."
So ähnlich beschreibt es auch Annans Biographin. Insgesamt habe Annan ein gespaltenes Verhältnis zu dem Land, in dem er einst studiert hat. Zuneigung und Respekt hielten sich die Waage mit Widerwillen und Enttäuschung. Die größte Enttäuschung war für Annan sicherlich das einseitige Vorgehen der USA im Irak. Auch wenn der Generalsekretär zunächst auffällig schwieg, als die Amerikaner dort einmarschierten - später bezeichnete er den Krieg als eindeutig illegal. Mit den Schwerpunkten Friedenssicherung, Menschenrechte und Armutsbekämpfung hat Annan seine Amtszeit ganz besonders in den Dienst seines Heimatkontinents gestellt. Friederike Bauer arbeitet das in ihrem Buch klar heraus.
Annan ist ein untypischer und unbequemer Sohn Afrikas, zugleich ein prominenter und engagierter Fürsprecher des Kontinents. Die herrschenden Klassen nimmt er hart ins Gericht, härter, als jeder auf "political correctness" bedachte Politiker der westlichen Welt es je wagte.
Am Ende zieht Bauer ein gemischtes Bild seines bisherigen Wirkens. Annan habe innerhalb der UN viele Reformen umgesetzt und mit seiner beharrlichen diplomatischen Art manche Debatte vorangetrieben oder gar angestoßen, so auch die über die Millennium-Entwicklungsziele. Trotzdem:
Er hat nicht geschafft, was manchem seiner Vorgänger glückte: Durch irgendeine diplomatische Großtat in die Geschichte einzugehen (...). Am Engagement lag es nicht, das stellte der Generalsekretär, bei aller berechtigter Kritik im Einzelnen, wiederholt unter Beweis, die Gesamtumstände jedoch haben mehr anscheinend nicht zugelassen.
Eine abschließende Bewertung kann die Autorin nicht ziehen, denn Annan hat noch eineinhalb Jahre als Generalsekretär vor sich. Und noch ist nicht endgültig klar, wie beschädigt er aus der Korruptionsaffäre um die Ölgeschäfte mit Saddam Hussein hervorgeht, in die auch sein Sohn verwickelt ist. Insgesamt bietet Friederike Bauer einen umfassenden Überblick über das Leben Annans. Sie erläutert auch die - möglichen oder wahrscheinlichen - Motive für das Handeln des Generalsekretärs. Den Menschen Kofi Annan bringt sie uns leider nicht viel näher. Immerhin ist es der Autorin gelungen, Annans bisher weitgehend unbekannte erste Frau, die Nigerianerin Titi Alakija, ausfindig zu machen. Ihr konnte sie ein paar wenige neue Details über das gemeinsame Leben mit ihm entlocken. Annan selbst hat diese Ehe mit der Mutter seiner beiden Kinder bisher im Dunkeln gelassen. Dennoch: Das Bild, das wir nach dem Lesen des Buches von ihm haben, gleicht doch zu sehr dem, das er selbst über seine öffentlichen Auftritte vermittelt.
Friederike Bauer: Kofi Annan. Ein Leben.
S. Fischer Verlag
350 Seiten
19,90 Euro.