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Der Privatmann und Politiker Hugo Chávez

Vielen Lateinamerikanern gilt Venezuelas Präsident Hugo Chávez als undogmatischer Modernisierer, als Linksliberaler, der im Bündnis mit Brasiliens Lula da Silva, Boliviens Evo Marales und natürlich mit Fidel Castro die US-amerikanische Hegemonie auf dem Subkontinent eindämmen könnte. In Washington sieht man das ganz anders. Rechtzeitig vor der im Dezember bevorstehenden Neuwahl ist jetzt eine Biographie des Hugo Chávez erschienen.

    "Aló Presidente", die sonntägliche Fernsehsendung des Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez. Er erzählt von einer Motorradfahrt, fachsimpelt über Baseball, wechselt über zum Domino-Spiel, amüsiert sich, singt ein Lied, wird wieder ernst und spricht über neue Projekte oder über Mr. Danger, wie er den US-Präsidenten Bush nennt.

    "Hugo Chávez hat keine Redenschreiber. ... Der Mestize aus den Llanos, der schon als Kadett die freie Rede liebte, lässt sich gerne vom Fluss der eigenen Ausführungen mitreißen."

    So Christoph Twickel in seiner Chávez-Biografie. Der Autor breitet auf fast dreihundertsechzig Seiten viele - auch private - Details aus dem Leben des ehemaligen Fallschirmjägers aus. Es entsteht das ziemlich komplette, sehr lebendige Bild eines 52-jährigen Politikers, der diesseits und jenseits des Atlantiks Aufsehen erregt.

    "Für ausländische Beobachter ist es der barocke Diskurs eines politischen Paradiesvogels aus einer fremden, tropischen Galaxie. Doch die Venezolaner lieben die Show."

    Die Opposition im eigenen Lande allerdings nicht. Sie sehnt sich zurück in die Zeit vor Chávez. 1958 war Venezuela nach einer Militärdiktatur zur Demokratie zurückgekehrt. Mit Einschränkungen allerdings. Im so genannten Pakt von Punto Fijo hatten sich ...

    " ... die sozialdemokratische Acción Democrática und die Christdemokraten der ... COPEI darauf verständigt, die Kommunisten von der Regierung auszuschließen, die Wahlsiege der jeweils anderen Partei zu akzeptieren und soziale Unzufriedenheiten im Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition zu kanalisieren."

    Doch die Parteieliten verwechselten eigene Vorteile mit dem Allgemeinwohl. Die Abermilliarden aus dem Ölgeschäft flossen vor allem in die Taschen einer kleinen Oberschicht. Groß waren Verschwendung, Misswirtschaft und Korruption.

    Der junge Chávez, der sich bereits mit 17 Jahren in die Militärakademie eingeschrieben hatte, nahm an konspirativen Treffen mit Offizieren, aber auch ehemaligen Guerrilleros teil. Sie setzten sich für einen zivil-militärischen Pakt ein und wollten die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zuschütten.

    1992 putschte Oberstleutnant Chávez mit gleich gesinnten Offizieren. Doch der Aufstand scheiterte und der rebellierende Offizier verschwand für zwei Jahre im Gefängnis. 1998 trat er als Präsidentschaftskandidat an. Zur allgemeinen Überraschung stimmten fast 60 Prozent für ihn. Der venezolanische Sozialwissenschaftler Edgardo Lander:

    "Vor allem während der Wahlkampagne erreichte Chávez einen Grad von Kommunikation mit breiten Bevölkerungsschichten, der absolut ungewöhnlich war. Das ist auf seine Fähigkeit zurückzuführen, denen eine Stimme zu geben, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen, abgelehnt, an den Rand gedrängt sind, sich aber in wachsendem Maße ihres Ausgeschlossenseins bewusst werden. Sie waren bis dahin ohne Stimme, Repräsentation und ohne Platz in der Gesellschaft. Plötzlich hörten sie eine Stimme, in der sie sich wieder erkannten."

    Eine Stimme, die sich im Gefängnis in das Werk des Befreiers Simon Bolivar vertieft hatte. Chávez bestand fortan auf der Aktualität Bolivars. Als Säulenheilige seiner Befreiungsideologie benannte er zudem Bolivars Lehrer, den Erziehungstheoretiker Simon Rodriguez und Ezequiel Zamora, der gegen die Großgrundbesitzer bereits im 19.Jahrhundert Front gemacht hatte. Diese drei Ikonen bilden für Chávez den "Baum der drei Wurzeln".

    "Der Baum der drei Wurzeln" ist kein Modell, das einer ideologiekritischen Überprüfung standhalten will. Die Bezugnahme auf das 19. Jahrhundert und seine Nationalhelden will Identität schaffen."

    Und Chávez selber hat hinzugefügt, dass der Baum keine Doktrin darstelle. Der Autodidakt zitiert auch gerne Marx, Mao Tse Tung, Che Guevara, die Bibel und den argentinischen Volkstribun Juan Peron. Und verwickelt sich dabei auch schon mal in Widersprüche.

    Eine hasserfüllte Opposition aus Politikern, Medien, Mittelklasse, Oberschicht, intellektueller Linker, Unternehmern, Generälen, Klerus, Erdöl-Elite, des Gewerkschaftsverbandes CTV und ihre Patrone in den USA setzt seit Jahren alles daran, den verachteten Emporkömmling und Fidel Castro-Freund von der Macht zu verdrängen: Umsturzversuch 2002, Rufmordkampagne, Sabotage des staatlichen Ölkonzerns und ein Abwahlreferendum - nichts ließen sie unversucht. Das alles ist sehr ausführlich und über weite Strecken sehr anschaulich und spannend bei Christoph Twickel geschildert.

    Dabei kommt leider die alternative Ökonomie zu kurz, die neben der wieder verstaatlichten Erdölindustrie ein wichtiger Eckpfeiler der anti-neoliberalen Politik des Hugo Chávez ist. Der auf Kooperativen basierenden solidarischen Wirtschaft gilt bei Twickel wie in den meisten Medien nur eine Randnotiz, doch ihr Erfolg oder Misserfolg wird mit darüber entscheiden, ob Chávez die venezolanische Gesellschaft verändern kann.

    "Misión Vuelvan Caras heißt das Programm, das ab 2004 den Wieder- und Neuaufbau lokaler Ökonomien in Gang bringen soll. Im ersten Jahr nach ihrer Gründung entstehen im ganzen Land 149 Zentren für endogene Entwicklung', die Ausbildungsinstitute, Ländereien, Werkstätten, Manufakturen, Community-Treffpunkte, Hospitäler und kommunale Medien in sich vereinen. Im Frühjahr 2005 vermeldet die Regierung, die Mission habe bereits 288 000 ausgebildet und in den Arbeitsmarkt integriert."

    Ob sich daraus der von Chávez viel zitierte Sozialismus des XXI. Jahrhunderts entwickeln wird, muss sich noch erweisen. Wie das meiste, was Hugo Chávez in die öffentliche Debatte wirft, so Twickel, habe auch der Sozialismus des 21. Jahrhunderts Baustellencharakter. Plattform dieser Baustelle soll die neue Bolivarianische Verfassung werden, und die, so der Sozialwissenschaftler Edgardo Lander, postuliere zwar eine neue Gesellschaft, sei aber keineswegs antikapitalistisch.

    "Das ist eine sozialdemokratische Plattform, eine Plattform für Rechte in einem Staat, der tief in die Wirtschaft eingreift, aber in eine grundsätzlich kapitalistisch ausgerichtete Wirtschaft. Privateigentum wird anerkannt und respektiert."

    Karl Ludolff Hübener über Christoph Twickel, "Hugo Chávez, Eine Biografie". Der Band ist in der Hamburger Edition Nautilus erschienen, umfasst 352 Seiten und kostet 19 Euro 90.