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Der Prophet Jesus im Islam

Michael Köhler: Anders als in Amerika oder Italien scheinen die Deutschen doch ein wenig mehr resistent zu sein gegen die Passionseuphorie des Kinofilms von Mel Gibson. Sie gehen also weniger ins Kino, fahren auch kaum noch nach Alicante. Dieses Jahr machen sie auch nicht mal die üblichen Blechprozessionen auf deutschen Autobahnen, um von der Beteiligung an Ostermärschen mal zu schweigen. Sie beten den Stern vielleicht mehr zu Hause an. Es schont die Umwelt und ist auch besinnlich, aber mit dem Ostergeschehen hat es wenig zu tun. Für die meisten ist Ostern nur noch ein paar freie Tage. Fragen wir also mal nach der Person Jesu, nach dem Menschen. Ich möchte das etwas anders tun, nämlich mit Stefan Wild, Islamwissenschaftler, Professor für semitische Sprachen. Die monotheistischen Religionen, Christentum, Judentum und Islam, sie erkennen ihn an, weisen ihm aber ganz verschiedene Aufgaben und Rollen zu. Der Islam kennt naturgemäß keine Christologie. Stefan Wild habe ich gefragt, welche Position gibt er Jesus von Nazareth?

Moderation: Michael Köhler |
    Stefan Wild: Also ich rede mal zuerst vom Jesus, wie er im Koran ist, das ist ja die wichtigste Quelle der islamischen Religion. Im Koran, was ja das Grund- und Zentraldokument muslimischen Glaubens ist, ist Jesus ein großer, sehr wichtiger und auch in gewisser Hinsicht privilegierter Prophet, aber er ist eben nur das. Er ist Mensch. Er ist in keiner Weise göttlich, sondern er ist reiner Mensch, Sprachrohr, mit einer Botschaft, die Gott durch ihn an die Menschen sendet. Außerdem bringt er, wie andere Propheten vor und nach ihm, ein Buch, und dieses Buch heißt Evangelium.

    Köhler: Aber ist er nicht doch ein wenig mehr. Jetzt muss ich schon quasi den Koran verteidigen. Maria wird nämlich als göttlich erwählt anerkannt, und auch Jesus wird als jungfräulich geboren anerkannt. Er ist also doch ein bisschen mehr, nämlich ein vorbildhafter Prophet.

    Wild: Ja, er ist ein besonderer Prophet. Aber auch der Koran lehnt ausdrücklich ab, dass er etwa göttliche Qualitäten hätte, aber er ist ein privilegierter Prophet.

    Köhler: Er wird nicht als Gottes Sohn anerkannt?

    Wild: Nein. Das wäre ganz schlimmes Heidentum. Das ist einer der Hauptunterschiede zwischen Christentum und Islam.

    Köhler: Damit fällt auch die Trinität raus.

    Wild: Damit fällt die Trinität weg und die Inkarnationslehre im Sinne der christlichen Erlösungslehre, dass hier Gott Mensch geworden ist. Das gibt es nicht.

    Köhler: Fasse ich also richtig für den Moment zusammen, Erstens Ablehnung des Gottessohnes, zweites Kennzeichen, die Auferstehung wird geleugnet, und hinzu kommt, dass der Erlösungsgedanke damit dann auch rausfliegt.

    Wild: Ja, den Erlösungsgedanken gibt es schon deswegen nicht, weil es in der islamischen Religion keine Erbsünde gibt. Die Erlösung hängt ja mit der Erbsündelehre zusammen, und da es keine Erbsünde gibt, wäre es auch nicht logisch, eine allgemeine Erlösung anzunehmen. Das fällt beides weg.

    Köhler: Das ist aber jetzt wichtig, weil damit wird doch geleugnet, dass der Mensch grundsätzlich erlösungsbedürftig ist.

    Wild: Ja, das ist ein großer Unterschied. Es hat den Fall Adams gegeben und seiner Frau, und dann gab es die Vertreibung aus dem Paradies, aber die Vorstellung einer Schuld, die man irgendwie vererben kann, die anwächst und die dann nur durch göttliches Einwirken im Sinne einer Erlösung getilgt wird, das gibt es im Islam nicht.

    Köhler: Wenn wir jetzt sozusagen eine kulturelle Latte anlegen würden, weil wir sprechen nicht im engeren Sinne in einer religionshistorischen Sendung, ist das ja richtig, weil die religiöse Schuldkultur dem Islam fremd ist, haben Sie gerade erklärt. Schuldkultur ist aber für uns, für das westliche Abendland aber doch kulturtreibend gewesen.

    Wild: Ja, das kann man sagen, dass der ganze Erlösungsgedanke, die Kreuzigung, alles, was damit zusammenhängt, für die Religion aber auch natürlich für die Kunst eins der produktivsten Elemente, die es überhaupt gibt in der christlichen Kultur, das gibt es alles im Islam nicht. Was es wohl gibt, ist die Pflicht, nach den Gesetzen Gottes zu leben, wie im Judentum. Aber eine Schuld, die sozusagen der Menschheit kollektiv aufgedrückt ist und die jeder, wie nun auch sein persönliches Schicksal sein mag, teilt, diese Vorstellung fehlt.

    Köhler: Wenn ich mich so umschaue an Ostern in Deutschland, sage ich jetzt mal etwas Spitzes, dann sind sehr viele Deutsche vielleicht, rein funktional gesehen, auch Moslems, denn sie bezweifeln die Dreifaltigkeit und den Sühnetod, nur sie beten nicht täglich und Kinder wollen sie offenbar auch keine mehr. Worauf ich hinaus will, wenn die Erbsünde geleugnet wird und der Mensch grundsätzlich nicht erlösungsbedürftig ist, folgt daraus doch ein unglaublich starker Gottesbegriff, oder?

    Wild: Also ich würde zunächst mal daraus schließen, dass das Verhältnis zur Welt ein anderer ist. Die Welt ist eben nicht primär ein Sündental und eine Stätte des Elends.

    Köhler: Aber Verderben gibt es trotzdem?

    Wild: Verderben gibt es trotzdem, und der einzelne Mensch ist auch aufgerufen, nach dem Willen Gottes zu leben und so in der Welt zu bestehen, dass er dann des Paradieses teilhaftig wird. Diesen Gedanken, den wir auch aus dem Christentum ganz gut kennen, gibt es ganz stark auch in der islamischen Religion und im Koran.

    Köhler: Das heißt, Jesus ist dann nur einer unter vielen?

    Wild: Jesus ist einer unter einigen, denn es gibt ja nicht viele Propheten von seinem Rang. Also die prophetische Sendung ist ganz unbestritten. Sie haben vorhin selber gesagt, zum Beispiel die Geburt aus der Jungfrau Maria wird im Koran ausdrücklich festgestellt. Er ist der einzige Prophet, für den das gilt. Aber er ist eben wirklich auch nur Prophet, und was ihn besonders auszeichnet im Koran, ist, dass er im Koran selbst sagt, dass er nicht mehr sei als ein Mensch. Das heißt, die Botschaft des Korans wendet sich damit an die Christen und sagt ihnen, der Stifter eurer Religion selbst sagt ja im Koran, dass er selbst, Christus selber nichts mehr ist als ein Prophet, nichts Göttliches.

    Köhler: Damit wird er auf die Rolle eines Botschafters oder Überbringers zurückgewiesen?

    Wild: Ja, es gibt nur für die islamische Religion Propheten. Was ganz am Ende der Welt ist, ob es sozusagen eine endzeitliche Machtfigur gibt, da gibt es verschiedene Vorstellungen von verschiedenen Theologen darüber. Aber die ganze Geschichte der Menschheit ist eigentlich eine Geschichte verschiedener Propheten. Die berühmtesten sind Abraham, dann Moses mit seinem Buch, der Thora, dann kommt Christus, Jesus, mit seinem Buch, des Evangeliums, und dann die abschließende und endgültige und letzte Offenbarung ist die dann durch den Propheten Mohammed im Koran, und dann schweigt Gott in der Geschichte.

    Köhler: Die Abwertung der Person führt zur Aufwertung der Schrift?

    Wild: Also Abwertung der Person, das kann man ja sozusagen nur aus christlicher Sicht sagen. Er ist ein besonders hervorgehobener Prophet, aber er ist eben nicht Gott.

    Köhler: Äußern sich die Suren in irgendeiner Weise besonders über den Charakter von Jesus von Nazareth?

    Wild: Also er ist ein großer Prophet, und damit verbindet man automatisch, dass er persönlich einen untadeligen Lebenswandel führt. Die Leute folgen ihm unwillig, nur wenig. In der islamischen Vorstellung ist es im Christentum so, dass die Christen ihre eigenen Bücher nicht zuverlässig genug überliefern, und dadurch kommt dann diese aus islamischer Perspektive irrtümliche Vorstellung zu Stande, dass Christus Gott sei. Das kann man nur dadurch erklären, dass die Christen sozusagen den Propheten Jesus nicht richtig verstanden oder nicht richtig überliefert haben. Also er ist ein ganz großer Prophet, aber das ist gerade der islamische Monotheismus, es wird radikal ausgeschlossen, dass dieser Mensch Jesus Gott ist. Das wird im Koran häufig gesagt, das ist einfach eine unmögliche Vorstellung für den Moslem.