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Der Quantensprung

Der Physiker Niels Bohr gilt mit seinen bahnbrechenden Arbeiten zur Theorie der Atome als einer der Väter der Quantenmechanik. Auch als stets diskussionsfreudiger Lehrer einer ganzen Generation von Atomphysikern ist er bekannt. Vor 125 Jahren wurde er in Kopenhagen geboren.

Von Kay Müllges | 07.10.2010
    Seinen Namen kennen viele noch aus dem Physikunterricht. Niels Bohr entwickelte im Jahr 1913 ein Atommodell, das auf elegante Weise erklärte, warum sich das einfachste aller Atome, der Wasserstoff, so verhielt, wie die Physiker der Zeit es beobachten konnten. In diesem Modell kreist das Elektron um den Atomkern wie ein Planet um die Sonne. Allerdings nicht auf einer unverrückbaren, immer gleichen Bahn, wie man bisher annahm, sondern auf verschiedenen Bahnen, zwischen denen es sozusagen hin und herspringt. Erst bei einem solchen sogenannten Quantensprung strahlt es Energie ab - eine Erkenntnis, die den jungen Physiker aus Dänemark mit einem Schlag berühmt machte. 1922 erhielt er dafür den Nobelpreis. Und das, obwohl man damals schon wusste, dass sein Modell eigentlich unzureichend war, erklärt Claus Kiefer, Professor für theoretische Physik an der Universität Köln.

    "Es hat für die komplizierteren Atome, eigentlich schon für das Helium, was ja zwei Protonen und zwei Elektronen hat, nicht mehr funktioniert. Und der Grund ist, dass es eben noch zu einfach war."

    Doch mit seinem Modell hatte Bohr die Physiker sozusagen auf die richtige Bahn gesetzt. Ausgehend von seinen Überlegungen entwickelten sie in den folgenden Jahren die Grundlagen der Quantenmechanik.

    Niels Bohr, geboren am 7. Oktober 1885 in Kopenhagen als Sohn des berühmten Medizinprofessors Christian Bohr, entdeckte schon früh sein Interesse an der Physik. Nach seiner Promotion in Kopenhagen wechselte er zu einem Studienaufenthalt nach Manchester. Dort entwickelte er sein Atommodell. 1916 wurde er Professor an der Universität Kopenhagen und warb zielstrebig für den Aufbau eines Instituts für theoretische Physik, das all die grundlegenden Probleme lösen sollte, die die Wissenschaftler damals beschäftigten. 1921 war es soweit: das Institut konnte seine Arbeit aufnehmen und wurde in den folgenden Jahren zum Mekka der Atomphysiker. Claus Kiefer:

    "Das war eine faszinierende Zeit, und man wird richtig neidisch als heutiger Physiker, dass man da nicht dabei war."

    Bohrs Institut war offen für junge Talente aus aller Welt. Diskutiert wurde nicht nur über Physik, sondern auch über die Phänomene des Alltags. Berühmt wurde zum Beispiel folgende Anekdote: Bohr hatte in einer Diskussion über Wildwestfilme die These vertreten, dass der Gute den finalen Schusswechsel deshalb immer gewinnt, weil er auf den Bösewicht nur reagieren und also nicht denken muss. Ein junger Russe wollte das experimentell überprüfen und kaufte zwei Plastikpistolen, eine für sich, eine für Bohr. Während sie dann über Physik diskutierten, versuchte er mehrmals seinen Professor abzuknallen. Doch Bohr zog immer schneller. Die offene und anregende Atmosphäre am Institut faszinierte alle, die dort arbeiteten. Der Vater der Wasserstoffbombe, Edward Teller, der als junger Mann bei Bohr studierte, erinnerte sich:

    "Bohr liebte Widersprüche. Er war genau derjenige, der die Wichtigkeit der Widersprüche in der Wissenschaft behauptete und ausnützte."

    In diesem Sinne formulierte er 1927 sein berühmtes Komplementaritätsprinzip: danach können widersprüchliche, sich gegenseitig ausschließende Beobachtungen dennoch gleichberechtigt sein und sich zu einem ganzheitlichen Bild zusammenfügen lassen.

    Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung Dänemarks wurde die Arbeit am Institut immer schwieriger. Als Bohr 1943 von seiner bevorstehenden Verhaftung durch die Nazis erfuhr, floh er auf abenteuerlichen Wegen über Schweden nach England. Hier erfuhr er vom "Manhattan-Project" zum Bau der ersten Atombombe. Kurz darauf ging er selbst nach Los Alamos und wirkte an den Forschungen mit. Gleichzeitig bemühte er sich, Roosevelt und Churchill in persönlichen Gesprächen davon zu überzeugen, die Bombe nach ihrem Bau nicht einzusetzen. Außerdem schlug er vor, die Russen über das Projekt zu informieren. Bis zu seinem Tod 1962 setzte sich Bohr beharrlich für einen verantwortungsvollen und friedlichen Umgang mit der Atomenergie ein. In einem Vortrag an der Universität Basel warnte er:

    "Wir haben gelernt, wie wir Energiequellen bekommen können, die von großer Hilfe sein dürften für die Verbesserung der Lebensbedingungen. Aber zur selben Zeit sind Zerstörungsmittel in die Hände der Menschen gekommen. Eine große Bedrohung unserer Zivilisation."