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"Der Rabe" in den eigenen vier Wänden

Heute beginnt erstmals im Barbican Centre in London eine umfassende Ausstellung zu Ehren des Erbauers Le Corbusier. "Ich bin ein Akrobat der Form, ich spiele mit Form”, schrieb er selbst. Für die Kulturwelt gilt Le Corbusier - "der Rabe" - bis heute als Universalgenie.

Von Hans Pietsch | 26.02.2009
    Als der Maler Fernand Léger 1921 Le Corbusier in Paris kennenlernte, was das für ihn ein denkwürdiges Ereignis. Auf einem Fahrrad bewegte sich eine merkwürdige Erscheinung auf ihn zu, ganz in Schwarz, "ein außerordentlich bewegliches Etwas”, so erinnerte er sich später, "mit Melone auf dem Kopf, mit Brille und im dunklen Anzug.” Dieses "bewegliche Etwas” glich eher einem angelsächsischen Geistlichen, so fand er, als dem Visionär, der die Architekten des 20. Jahrhunderts prägte.

    Die riesige schwarze Hornbrille wurde zu seinem Wahrzeichen, sie erscheint auf Fotos seiner frühen Häuser, als sei sie zufällig auf einem Tisch oder Kaminsims liegengelassen worden. Sie führte auch zur Abkürzung seines Namens zu "Corbu”, an das französische Wort für "der Rabe” erinnernd. Der Spitzname, der so gut zu dem scharfzüngigen, sarkastischen und streitsüchtigen Neuerer passte, blieb ihm bis zum Ende erhalten.

    Le Corbusier war ein wahres Universalgenie – Architekt, Maler, Bildhauer, Designer von Möbeln, Keramik und Büchern, Schriftsteller, Polemiker. Er selbst sah sich als "Plasticien”, als jemand, der sowohl Formen als auch Ideen modelliert. Die Ausstellung versucht, all diese verschiedenen Begabungen anschaulich zu machen, die er zu einer Synthese zu verschmelzen gedachte.

    Die Schau gliedert sich in drei Abteilungen, innerhalb derer sie sich auf Schlüsselkonzepte in seinem Werk konzentriert. "Kontext” untersucht, wie bestimmte Städte und Umfelder seine Arbeit prägten. Sein Geburtsort, das Schweizer Uhrmacherstädtchen La-Chaux-de-Fonds, etwa ist verbunden mit dem sogenannten "Style Sapin”, einer lokalen Lesart des Art Nouveau, dem seine ersten Bauten wie die Villa Fallet huldigten; in Paris entwickelte er seine puristische Architektur, die in den 20-er Jahren in schneeweißen Villen wie La Roche und Savoye gipfelten; Moskau stand für sozialen Wohnungsbau, aus dem dann die Idee der Unité d'Habitation wurde. In der Abteilung "Privat und öffentlich” untersucht die Schau unter anderem das Zusammenspiel von puristischer Architektur und Möbeldesign, und in "Gebaute Kunst” geht es um die Verschmelzung von Architektur, Malerei und Skulptur.

    Eine seiner dramatischsten Konstruktionen war das für die Brüsseler Weltausstellung 1958 entworfene Philips Pavillon. Ein zeltartiges Gebäude, dessen metallene Netzhaut mit Betonplatten verkleidet war. Hier experimentierte er zum ersten Mal damit, Baulasten zu hängen und nicht zu stützen. Das begehbare Modell ist von großer Theatralik und Leichtigkeit. Und seine zweifellos verrückteste, ebenfalls als Modell zu sehen, ist der "Plan Voisin” von 1925, der utopische Neubau von Paris, für den ganze Stadtteile dem Erdboden gleich gemacht werden sollten.

    "Ich bin ein Akrobat der Form, ich spiele mit Form”, schrieb er. Gerade sein monumentaler Spätstil verdeutlicht das. Schon in den 30er-Jahren hatte er sich ja organischen Formen zugewandt, nun, nach 1950, schuf er Bauten wie die Kappelle von Ronchamp und die Gebäude für das indische Chandigarh, deren fast magische plastische Formen heutige computergenerierte Architektur vorwegzunehmen scheinen.

    Dass die zusammen mit dem Vitra Museum in Weil am Rhein konzipierte Ausstellung im Barbican stattfindet, ist durchaus passend: Das Kulturzentrum ist Teil einer riesigen Wohnanlage in der Londoner City aus den 60er-Jahren, mit wie Skulpturen konzipierten Hochhäusern, mit Farben versetzten Wohnblocks und kleinen Einfamilienhäusern, alles in hellem Sichtbeton - eine Siedlung, die ganz den Geist Le Corbusiers atmet. Die meisten Londoner Hervorbringungen seiner unbedarften Epigonen, die diesen Geist ins Gegenteil verkehrten, und damit der Architektur zeitweilig einen schlechten Ruf verschafften, sind glücklicherweise schon längst abgerissen.

    Bis 24. Mai 2009: www.barbican.org.uk