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Der Rausch bleibt aus

Der Kampf gegen eine Suchtkrankheit kann über Ersatzsubstanzen wie Methadon laufen. Doch für Kokainsüchtige gibt es bislang keine passenden Substitutionsstoffe. Ein Forscherteam aus den USA arbeitet daher an einer Impfung gegen Kokain, die den Rausch verhindern und die Patienten so von der Droge loseisen soll.

Von Marieke Degen |
    Die Probanden kommen freiwillig in die Studienzentren, in Houston genauso wie in Philadelphia, New York und Cincinnati. Sie sind kokainabhängig, schon seit sechs oder sieben Jahren, und sie wollen sie unbedingt testen: die Impfung gegen Kokain.

    "Die meisten Patienten haben Druck von ihrer Familie oder von ihrem Arbeitgeber bekommen: Kokain ruiniert dein Leben! Du musst aufhören damit! Viele Patienten wollen auch wirklich selbst von der Droge loskommen. Sie haben es immer wieder versucht, aber nie geschafft."

    Thomas Kosten ist Psychiater am Baylor College of Medicine in Houston. Er hat den Impfstoff entwickelt. Menschen, die damit geimpft werden, bilden Antikörper gegen Kokain. Und diese Antikörper sorgen dafür, dass das Kokain nicht mehr im Gehirn wirken kann. Der Rausch bleibt aus. Das Belohnungssystem, quasi das Sucht-Zentrum im Gehirn, wird nicht aktiviert. Und das soll den Patienten dabei helfen, die Sucht loszuwerden.

    "Die Kokain-Antikörper sind ziemlich groß. Wenn der Patient Kokain nimmt, der Stoff also in die Blutbahn gerät, dann binden sich die Antikörper an das Kokain. Der Kokain-Antikörper-Komplex kann dann nicht mehr ins Gehirn eindringen und seine Wirkung entfalten. Das Kokain bleibt im Blut, wird abgebaut und über den Urin ausgeschieden."

    In den vergangenen Jahren haben die Forscher rund 400 Kokainsüchtige geimpft. Bei drei von vier Patienten schlägt die Impfung an. Sie bilden so viele Antikörper, dass auch höhere Kokaindosen keinerlei Wirkung haben. Die Impfung sei gut verträglich, sagen die Forscher. Auch Carl Hart von der New Yorker Columbia University kümmert sich um Drogensüchtige. Der Neurowissenschaftler ist von der Impfung sehr angetan. Denn bislang gibt es noch kein Medikament gegen Kokainsucht.

    "Ich bin froh, dass Wissenschaftler solche Ansätze verfolgen. Aber gerade die Süchtigen sind manchmal ein bisschen zu enthusiastisch, sie denken, dass man mit der Impfung die Kokainsucht heilen könnte. Und das kann man nicht. Eine Kokainsucht ist eine extrem komplexe Verhaltensstörung. Und die kann man nicht einfach mit einer Spritze lösen. Das ist naiv. Die Impfung ist kein Wundermittel."

    Die Impfung kann zwar den Kokain-Rausch verhindern. Aber das Verlangen nach Kokain, das Craving, bleibt. In den ersten Wochen ist es besonders schwer. Thomas Kosten sagt: Wenn die Probanden Kokain nehmen und merken, dass nichts passiert, dann lässt das Craving nach. Doch es hat auch schon Patienten gegeben, die vor lauter Verzweiflung die zehnfache Dosis Kokain genommen haben. Weil sie unbedingt high werden wollten. Zu einer Überdosis ist es nicht gekommen, den Patienten ist das Geld vorher ausgegangen. Trotzdem müsse man so etwas im Auge behalten, sagt Carl Hart.

    "Die Probanden können aber auch einfach auf andere Drogen umsteigen. Wenn sie gegen Kokain geimpft sind, können sie schließlich immer noch andere Drogen nehmen."

    Auch Thomas Kosten sagt:

    "Kokainsucht ist und bleibt noch eine Verhaltensstörung. Wir müssen das Verhalten der Patienten ändern. Wenn wir sie nur impfen würden, würden sie eines Tages einfach nicht mehr auftauchen."

    Deshalb sei es am besten, wenn die Patienten beides bekommen: Eine Verhaltenstherapie, in der sie lernen, mit ihrer Sucht umzugehen. Und die Impfung. Diese Kombination könnte den Patienten helfen, von der Droge loszukommen - aber nicht von heute auf morgen. Eine Verhaltenstherapie kann Jahre dauern. Und die Impfung hält nur ein paar Monate, sie muss immer wieder aufgefrischt werden.

    "Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn unsere Patienten zwei Jahre lang eine Verhaltenstherapie gemacht haben, parallel zur Impfung, dann sind sie mindestens fünf Jahre lang abstinent geblieben. Das ist das Ziel."

    Die Kokain-Impfung ist noch nicht zugelassen. Die Forscher müssen wahrscheinlich noch größere Studien machen, mit tausend Probanden. Und sie brauchen eine Pharmafirma, die die Impfung herstellen und verkaufen will. Bislang haben sie aber noch keine Firma gefunden. Thomas Kosten ist überzeugt, dass viele Süchtige die Impfung wollen. Die Wartelisten in den Studienzentren, sagt er, sind lang.