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Der reglementierte Acker

Im Juli beschloss der Europäische Gerichtshof, dass Europas Bauern auch Saatgut aus alten Pflanzensorten verkaufen dürfen, die amtlich nicht zugelassen sind. Tatsächlich aber blieb nach dem Urteil alles beim Alten. Denn der EuGH änderte nichts an der grundsätzlichen Zulassungspflicht für Gemüsesaatgut.

Von Claudia Heissenberg | 17.09.2012
    "Das Gewächshaus, in dem wir uns jetzt befinden, ist ausschließlich für Gurke, wir haben hier das globale Gurkenprogramm, das heißt wir züchten hier auch Sorten, die zum Beispiel in Spanien verkauft werden. Man kennt das ja bei uns im Supermarkt, die klassische Gurke ist die Schlangengurke, die längliche Gurke, in anderen südlicheren Ländern findet man mehr die kurze Gurke, die zum Beispiel ja in Spanien oder in den Vereinigten Staaten vermarktet wird."

    Ortstermin beim Saatguthersteller Nunhems, einem Tochterunternehmen von Bayer in der Nähe von Roermond, kurz hinter der niederländischen Grenze. Der ehemalige Familienbetrieb, 1915 von dem Kaufmann Hermann Meddens gegründet, ist heute der viertgrößte Saatguthersteller der Welt und vertreibt 2500 Saatgutsorten. Abgesehen vom globalen Gurkenprogramm ist Nunhems laut Pressesprecherin Claudia Steger auch in Sachen Möhren, Porree, Radieschen, Sellerie und Tomaten aktiv.

    "Bei der Tomate ist es so, da wissen wir schon relativ viel über die genetische Zusammensetzung, und in den Genen sind natürlich viele Eigenschaften der Pflanze schon im frühen Stadium verankert, wir wissen zum Beispiel, ob die Tomate später rund wird oder eher eine ovale Form hat, wir wissen viel über die Resistenzen, die in einer Pflanze enthalten sind, wir wissen welche Farbe, die Pflanze haben wird, also die Frucht letztendlich, ob sie ´ne rote, ´ne grüne oder eine gelbe Tomate wird, ... was die Krankheitsresistenzen angeht, haben wir bestimmte molekulare Marker, das heißt wir können von den jungen Kreuzungen Blätter entnehmen, die dann analysieren und sehen sofort welche Eigenschaften enthalten sind oder nicht."

    Es ist noch gar nicht so lange her – da säte der Bauer im Frühjahr und erntete im Herbst, und was er säte und erntete, war seins. Einen Teil der Ernte und des gewonnenen Saatguts verkaufte er auf dem Markt, den Rest behielt er fürs nächste Jahr. Mittlerweile aber darf längst nicht jede Tomaten- oder Gurkensorte einfach so vermehrt und in den Handel gebracht werden. Bevor das Saatgut auf den Markt kommt, wird es einer offiziellen Prüfung unterzogen. Das ist vom Gesetzgeber vorgeschrieben.

    "Die Zulassung von Pflanzensorten ist Voraussetzung für den gewerblichen Vertrieb von Saatgut landwirtschaftlicher Pflanzenarten und Gemüsearten. Gesetzliche Grundlage der Sortenzulassung ist das Saatgutverkehrsgesetz. Es dient dem Schutz des Verbrauchers und der Versorgung der Landwirtschaft und des Gartenbaus mit hochwertigem Saat- und Pflanzgut resistenter, qualitativ hochwertiger und leistungsfähiger Sorten",

    heißt es auf der Website des Bundessortenamtes.

    "Jetzt fragt man sich vielleicht, warum gibt es denn diese Regelungen? Und das hat einen ganz einfachen Grund, dem Saatgut sehen Sie seine Qualität und seine Leistungsfähigkeit von außen nicht an. Wenn Sie sich Saatgut anschauen, sieht das im Regelfall immer gut aus, und dass es vielleicht zu einer Sorte gehört, die krankheitsanfällig ist, die keine guten Erträge bringt, bei der Sie viel Düngemittel und Pflanzenschutz aufwenden müssen, das merken Sie erst, wenn Sie das Saatgut ausgesät haben. Dann ist es aber zu spät",

    erklärt Christoph Herrlinger, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Pflanzenzüchter, der 130 Saatgutzüchtungs- und Handelsunternehmen vertritt, darunter auch große Firmen wie Bayer, BASF und Monsanto.

    "Natürlich sagt jeder Konzern, sie haben nur Gutes im Sinn, sie wollen die Welt retten und die Menschheit sowieso, aber die verraten natürlich nicht oder sagen nicht dazu, dass in dem Zug, wie sie den Markt für ihre Sorten ausweiten, ganz viele bäuerliche Sorten verloren gehen",

    kritisiert hingegen Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgutsouveränität.

    "Und dann ist noch die Frage: Warum überhaupt sind Sorten verboten, die nicht zugelassen werden? Die Bauern, die industrielle Sorten möchten, können sie ja kaufen, die hindert ja keiner da dran. Aber die, die andere Sorten möchten, sollte der Gesetzgeber doch andere Sorten kaufen lassen",

    fordert Dr. Susanne Gura, Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt.

    "Die Leute, die zu uns kommen und unser Saatgut haben wollen, fragen niemals nach einer staatlichen Zulassung oder irgendeinem Stempel. Sie wollen unser Saatgut und unsere Beratung, und wenn sie das Gefühl haben, da stimmt was nicht, dann kaufen sie das nicht. Dann nehmen sie das nicht, 'kaufen', das versuche ich zu vermeiden das Wort, weil das bringt uns in die Bredouille, wir geben Saatgut gegen Spende ab. Das ist unser Ausweg aus dem ganzen Problem."

    "Es gibt sehr viele Missverständnisse, es gibt auch sehr viele Unkenntnisse über Landwirtschaft und speziell über den Saatgutbereich. Wenn Sie die Berichterstattung über das EuGH-Urteil ansehen, das war eine einzige Katastrophe, vermutlich durch Voreingenommenheit ist die ganze Berichterstattung praktisch komplett falsch gewesen",

    meint Richard Breum, Pressesprecher von Bayer Cropscience, mit einem Marktanteil von drei Prozent die Nummer sechs im weltweiten Saatgutgeschäft.

    "Europa-Gericht schützt alte Saatgutsorten. Klage von Großkonzern abgewiesen. Sieg für die Kleinbauern",

    titelte zum Beispiel die "Berliner Zeitung" am 13. Juli 2012.

    "Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag eine Bresche für den Handel und die Vermehrung von Pflanzensorten geschlagen und damit für ein Stück mehr Rechtssicherheit gesorgt. Europas Bauern dürfen Saatgut aus alten amtlich nicht zugelassenen Pflanzensorten herstellen und auch vermarkten."

    In anderen Medien war von einem Sieg Davids im Kampf gegen Goliath die Rede, von einem Befreiungsschlag für Ökobauern und einem Etappensieg für alte Saatgutsorten.

    Tatsächlich aber blieb nach dem Urteil alles beim Alten. Denn der Europäische Gerichtshof änderte nichts an der grundsätzlichen Zulassungspflicht für Gemüsesaatgut und dem Vermarktungsverbot für nicht offiziell zugelassene Sorten. Auch die bereits bestehende Ausnahmeregelung für alte Gemüsesorten wurde lediglich bestätigt.

    "Besonders traurig fand ich dann, dass kaum jemand das richtiggestellt hat. Das ist jetzt in allen Online-Archiven, in allen Zeitungen sind diese falschen Schlagzeilen, also eine typische Schlagzeile war, 'EuGH kippt Saatgutmonopol'. Zum einen gibt es in Europa kein Saatgutmonopol, das ist eine sehr mittelständische Züchtungslandschaft und zum anderen hat der EuGH die bestehende Gesetzgebung bestätigt, also falscher, faktisch falscher kann man eine Überschrift nicht machen."

    Die Vorgeschichte:

    2005 zieht das französische Saatguthandelsunternehmen Graines Baumaux gegen das bäuerliche Netzwerk Kokopelli vor Gericht. Der Grund: Die Initiative hat Saatgut von 461 Gemüsesorten im Angebot, die nicht in offiziellen Sortenkatalogen aufgeführt waren. Graines Baumaux verklagt Kokopelli wegen unlauteren Wettbewerbs auf 50.000 Euro Schadensersatz und fordert ein Vermarktungsverbot für nicht eingetragene Sorten.

    Der Hintergrund:

    Seit 1966 regelt das Saatgutverkehrsrecht in der Europäischen Union, welches Saatgut auf den Markt kommt. Mit der Begründung, nur qualitativ hochwertiges Saatgut zum Handel zuzulassen, um ausreichende Ernten zu sichern, wurden bestimmte Zulassungskriterien aufgestellt, die das Saatgut erfüllen muss. Dazu gehören zum Beispiel Mindestanforderungen an die Reinheit und Keimfähigkeit, Unterscheidbarkeit, Stabilität und Homogenität. Genau das ist für Susanne Gura und Andreas Riekeberg das Problem.

    "Diese Einheitlichkeit richtet sich nach den Bedürfnissen der Saatgutindustrie und der industriellen Landwirtschaft, es werden nur Sorten zugelassen, die diese Einheitlichkeit aufweisen und diese Sorten sind eben Sorten, die nur mit chemischen Krücken, sagen wir, die versprochene Leistung erbringen, während alte Sorten sind nicht einheitlich, und auch Sorten, die heutzutage vermehrt für den Biolandbau gezüchtet werden, sind nicht einheitlich und deswegen haben die keine Chancen zugelassen zu werden."

    "Es gab dann 2008, 2009, 2010 sogenannte Erhaltungssortenrichtlinien, weil man eben festgestellt hat, dass die klassische, sage ich mal, Saatgutgesetzgebung für den großen Markt der industrialisierten Landswirtschaft eben ganz einfach dazu führt, dass die Sortenvielfalt stark abnimmt, immer weiter abnimmt, man hat eine Nische geschaffen, aber diese Nische ist eigentlich noch viel zu klein und viel zu bürokratisch ausgestaltet, als dass das wirklich ein Vorteil für die Erhaltung bäuerlicher Sorten und Erhaltungssorten bieten würde."

    Zwar können Bauern und Züchter im Rahmen der Erhaltungsrichtlinie altes Saatgut auch ohne teure Prüfung beim Bundessortenamt anmelden und in Verkehr bringen, dürfen aber eine bestimmte Höchstmenge nicht überschreiten und müssen genauestens darüber Buch führen, wie viel Gramm Saatgut sie von welcher Sorte erzeugt haben.

    Da sich der Aufwand kaum lohnt, sind in den letzten Jahrzehnten weltweit viele alte Sorten von den Äckern und aus den Gärten verschwunden. Allein in den USA, so berichtete das Magazin "National Geographic" im August, werden rund 90 Prozent der historisch bekannten Obst- und Gemüsesorten nicht mehr angebaut. Auf den Philippinen gab es noch in den 60er-Jahren über 3000 verschiedene Reissorten. Heute sind es nur noch zwei. Und von den mehr als 7000 Apfelsorten, die im 19. Jahrhundert geerntet wurden, sind weniger als Hundert übrig geblieben. Christoph Herrlinger vom BDP sieht darin allerdings keine Gefahr:

    "Die alten Sorten sind vor langer Zeit gezüchtet worden und im Prinzip ist ihre Existenz auch dadurch gesichert, dass diese Sorten in den Genbanken eingelagert werden, so dass im Bedarfsfall darauf wieder zugegriffen werden kann, aber man hat gesagt, es ist sinnvoll, dieses Saatgut nicht nur in Genbanken deponiert zu haben, sondern es auch in gewissem Umfang richtig draußen in der Umwelt anzubauen. Und damit das möglich ist, hat man eben diese Ausnahmeregelung geschaffen und hat gesagt, in begrenztem Umfang wollen wir eben zulassen, dass das Saatgut auch vertrieben und regulär angebaut wird, aber, wie gesagt, nur in begrenztem Umfang, damit eben nicht das Grundprinzip, dass nur die leistungsfähige, ressourcenschonende und gesunde Sorte an den Landwirt kommen soll, unterlaufen wird."

    "Aber genau das ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit, noch nicht mal die halbe Wahrheit, sondern erheblich weniger. Es wird gemacht, und das ist auch richtig, aber in den Genbanken sind die Sorten sozusagen lebendig begraben. Die können sich nicht an die Veränderungen unserer Umwelt anpassen, jedes Jahr ändern sich die Schädlinge, die Krankheiten und die Pflanzen liegen eiskalt in der Genbank und können sich nicht anpassen. Außerdem nur winzige Mengen werden verwahrt, das ganze ist sehr teuer, es wird nur drauf geachtet, dass diese winzigen Mengen keimfähig bleiben."

    Der Streit zwischen kleinen, alternativen und größeren, kommerziellen Saatgutherstellern schwelt schon lange. Ein Streit, bei dem es nicht nur um Geld, sondern auch um die grundsätzliche Frage geht, wer Saatgut herstellen und in den Handel bringen darf. Die einen setzen auf den Erhalt Jahrtausende alter Kulturpflanzen und kämpfen für das Selbstbestimmungsrecht der Bauern, die anderen setzen auf Effizienz, Leistungsfähigkeit und den größt möglichen Gewinn. Bayer-Pressesprecher Richard Breum:

    "Die Erhaltungssorten sind keine Konkurrenz für ein Unternehmen wie Bayer. Die sind eher für einen Nischenmarkt. Landwirte, die wirtschaftlich arbeiten müssen, die sind an modernen Sorten interessiert.... Grundsätzlich für das Angebot an Gemüse im Supermarkt ist aber auch der Verbraucher mitverantwortlich. Bei Tomaten zum Beispiel legt er großen Wert auf günstige, gut aussehende Tomaten, die möglichst auch noch das ganze Jahr über verfügbar sind. Auch darüber wird natürlich dann die Landwirtschaft beeinflusst. Der Verbraucher hat da auch eine große Macht."

    Kritiker sehen die Macht allerdings weniger beim Verbraucher als bei den großen Saatgutkonzernen. Denn die Lebensmittelversorgung der Welt ist von einer stetig schrumpfenden Zahl von Pflanzensorten abhängig, die auf maximale Leistungsfähigkeit hin gezüchtet werden. Das sind vor allem sogenannte Hybridzüchtungen, die den Landwirten sehr hohe Ernteerträge bescheren. Allerdings nur im ersten Jahr, so dass die Bauern das Saatgut immer wieder neu ordern müssen.

    "In diese Gemüsesaatgutsorten werden viele Jahre Erfahrung, viele Jahre Handarbeit, viel Züchtungswissen hineingesteckt, und das ist dann ein Produkt, das Landwirte haben wollen, das garantiert ihnen dann eine bestimmte Ernte, das garantiert ihnen eine bestimmte Qualität, das ist einfach ein sehr gutes Produkt."

    Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgutsouveränität hingegen ist skeptisch:

    "Es ist natürlich beeindruckend, dass durch die Pflanzenzüchtung der Hektarertrag bei Weizen in Deutschland bei ... in guten Lagen 110 Doppelzentner pro Hektar liegt. Und weltweit bei 70 Doppelzentner pro Hektar. Das ist schon ein Erfolg der Pflanzenzüchtung. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sagen, diese hohen Erträge kommen nur zustande, in dem große Mengen von Agrarchemie angewendet werden."

    "Das ist ein sehr genereller Vorwurf, grundsätzlich ist das Saatgut abgestimmt genau auf die Bedürfnisse der Landwirte und Kunden, auf verschiedene Anbauregionen, verschiedene klimatische Bedingungen oder auch bestimmten Krankheitsdruck. Sonst würden die Landwirte dieses Saatgut ja nicht kaufen. Was richtig ist, dass es vor allem in Nordamerika Saatgut gibt, das gentechnisch verändert ist und das auch dann auf bestimmte Herbizide abgestimmt ist. Das hat aber mit Europa nichts zu tun. Das betrifft nur ganz bestimmte Kulturen."

    Tatsache ist jedoch, dass sich der Saatgutmarkt extrem verändert hat. Gab es Mitte der 80er-Jahre noch über 1000 unabhängige Saatgutfirmen, liegt mittlerweile weit über die Hälfte des Geschäfts in den Händen von zehn Großkonzernen. Darunter Marktführer Monsanto, der vor allem wegen seines gentechnisch veränderten Saatguts umstritten ist, der Schweizer Agrarkonzern Syngenta, Bayer und BASF.

    "Und dann gibt es noch ein großes Problem mit unserem Saatgutrecht, das ist der sogenannte Sortenschutz. Da wird keine Sorte geschützt, sondern was geschützt wird, ist das geistige Eigentumsrecht der Züchter. Nun haben aber diese Züchter nicht die Sorte aus irgendeinem Wildkraut gezüchtet sondern sich auf das gestützt, was über Tausende von Jahren bereits entwickelt worden ist."

    Auch in Punkte Sortenschutz sind Christoph Herrlinger vom Bund deutscher Pflanzenzüchter und Bayer-Pressesprecher Richard Breum anderer Meinung:

    "Sie müssen sich vorstellen, ein mittelständisches Unternehmen muss viel Zeit und viel Geld in die Züchtung einer neuen Pflanzensorte investieren, über den Daumen gepeilt kann man sagen, das dauert mindestens zehn Jahre eine neue Pflanzensorte zu züchten, und es kann Sie schnell zwei Millionen Euro kosten."

    "Es ist das geistige Eigentum des Züchters und mit diesem Saatgut dürfen Sie dann nicht handeln. ... Das ist wie andere Erfindungen auch, es ist geschützt. Sie dürfen auch bestimmte Möbel nicht einfach nachbauen und dann unter dem gleichen Namen vertreiben, dann ist die Qualität vielleicht nicht gewährleistet, das ist überhaupt nichts, was jetzt nur Saatgut betrifft."

    30 Jahre lang ist der Hersteller berechtigt, für den Anbau Lizenzgebühren zu verlangen. Danach gehört das Saatgut der Allgemeinheit. Es sei denn der Sortenschutzinhaber meldet sie ab. Wie es die Firma Europlant 2004 mit der Kartoffelsorte "Linda" machte.

    "Europlant hatte, glaube ich, geplant, eine Kartoffel namens Belana dann auf den Markt zu bringen, die Nachfolgerin der Linda werden sollte. Begründet haben sie das damals damit, dass verschiedene Virenkrankheiten Linda unbrauchbar gemacht hätte, und es sich nicht lohnen würde, die weiter zu züchten, Erhaltungszüchtung zu betreiben, aber in Wirklichkeit war es natürlich eine Marktpflegemaßnahme, wie man es schönfärberisch sagen könnte, dann gab es großen Streit drum, weil Linda so eine beliebte Kartoffel war, hat sich gut kochen lassen, hat gut geschmeckt, vielen jedenfalls und es hat Aufsehen erregt, Karsten Ellenberg, ein bekannter Kartoffelzüchter in Barum bei Uelzen, hat "Rettet die Linda" ins Leben gerufen und mit anderen zusammen dafür gesorgt, dann dass Linda am Ende über Umwege doch wieder zugelassen wurde und jetzt Linda wieder angebaut werden darf."

    Dass es eines Tages wieder freies Saatgut für alle geben wird, darf jedoch bezweifelt werden. Der Markt ist hart umkämpft. Denn mit den kleinen Samen, die die Ernährung der Menschheit sichern, lässt sich eine Menge Geld verdienen. Zur Zeit steht das Saatgutrecht in der Europäischen Gemeinschaft vor einer grundlegenden Reform. Der Kampf David gegen Goliath geht also weiter, und es wird sich zeigen, ob die Kleinen gestärkt werden oder die Großen ihre Marktmacht weiter ausbauen können.

    "Also, grundsätzlich ist diese Regelung mit einem Saatgutverkehrsgesetz sinnvoll, der Schutz geistigen Eigentums wird durch den Sortenschutz geschaffen, der ist auch sehr sinnvoll, aber natürlich kann man immer sehen, ob man Sachen weniger bürokratisch macht, und ob sie noch zeitgemäß sind und ob man da was anpassen muss."

    "Es kann nicht sein, dass einfach die gesamte Pflanzenzüchtung der Zukunft in die Hände der Agrarchemieindustrie gelegt wird und die Bauern und Bäuerinnen, die seit Jahrtausenden, in manchen Weltgegenden seit Jahrzehntausenden eben die Sorten anpassen für einen Wandel des Klimas, der sich ja nunmehr auch vollzieht, ... dass die völlig enteignet werden und ihre Fähigkeiten, die sie eigentlich hätten, nicht mehr ausspielen können."

    "Aber je mehr Landwirte, jetzt mal theoretisch angenommen, sagen, wir gehen auf alte Sorten, desto mehr wird es zu einer Entscheidung, die natürlich die Allgemeinheit betrifft. Denn wenn viele Landwirte sagen, ich verzichte auf Ertrag, ich nehme in Kauf, dass die Pflanze anfällig ist für Krankheiten um so mehr Fläche brauchen sie in der Gesamtheit, um so mehr Pflanzenschutz müssen sie aufwenden und damit treten wir eigentlich in Konflikt zu den Zielen, die wir uns eigentlich in der Agrarpolitik auch gesetzt haben, nämlich zu sagen, wir wollen eben nachhaltig wirtschaften, und insofern ist diese Sortenprüfung, die wir im Gesetz haben, eben auch ein Nachhaltigkeitstest für die Landwirtschaft."

    "Es wird immer so der Freie Markt hochgehalten. Warum erlauben wir keinen freien Markt? Und es gibt genügend Einschränkungen schon durch das Lebensmittelrecht, durch Hygienevorschriften, da ist sehr viel schon geregelt, was eigentlich das meiste schon abdecken würde. Und warum, also Zulassungen und Zertifizierungen sind durchaus wichtig, aber man darf nicht die anderen verbieten, die es nicht haben. Das kann man bei Medikamenten tun, das kann man bei Pestiziden tun, das muss man bei Pestiziden tun, aber beim Saatgut?"