Wie ein Bandwurm zieht sich die Wasserstraße durch die norddeutsche Tiefebene. In sanften Biegungen weicht der Kanal Anhöhen und Tälern aus. Kanäle sind stehende Gewässer und vertragen kein Gefälle. Der Mittellandkanal kommt gerade einmal mit zwei Schleusen aus. Ein geografischer Zufall? Gewiss. Aber auch eine Meisterleistung der Ingenieure, die vor 100 Jahren die 300 Kilometer lange Trasse planten. Nicht alle Anwohner waren damals begeistert, aber was sollte man schon erwarten von einem Bauwerk, das die Landschaft aufriss wie ein Riesen-Maulwurf. Heute erregt es niemanden Argwohn und Zorn mehr, wenn ein Binnenschiff gemächlich und nahezu lautlos durch Städte und Ortschaften gleitet, Wälder und Felder passiert.
Bad Essen, am Fuß des Wiehengebirges 20 Kilometer östlich von Osnabrück. Kurort, Fachwerkstadt und Haltepunkt der Mindener Fahrgastschiffahrt. Die Poseidon legt an. Dreieinhalb Stunden ist das Ausflugsschiff auf dem Mittellandkanal unterwegs gewesen. In Bad Essen macht es kehrt und fährt zurück nach Minden. Viele Passagiere haben ihre Fahrräder mitgenommen.
"Eine Tour machen wir mit dem Schiff. Jetzt radeln wir wieder zurück."
Wasserstraßen sind – anders als Straßen oder Schienenstränge – nicht allein schnöde Verkehrswege. Die grünen Uferstreifen des Kanals bieten Tieren und Pflanzen eine Zufluchtsstätte, in der die Menschen Erholung finden. Der Wartungsweg an beiden Seiten ist zugleich Fahrrad- und Wanderweg. Natürlich ist ein Kanal nicht zu vergleichen mit einem Fluss, einem naturbelassenen obendrein. Wo liegt der Reiz einer Kanalfahrt? Das künstliche Gewässer ähnelt doch eher einer Autobahn.
"Kann ich nicht beurteilen. Habe noch keine Flussfahrt gemacht. Da müssen Sie diese Herrschaften fragen.
Doch wir haben schon etliche Flussfahrten gemacht - an der Donau, Rhone, Oder. Ist schon was anderes als der Kanal. Trotzdem ist der Kanal sehr reizvoll."
Einige Schritte vom Anlieger entfernt hat auf einer windgeschützten Restaurant-Terrasse Ernst-August Quade Platz genommen. Er ist in Bad Essen geboren, aufgewachsen und war in den 70er-Jahren stellvertretender Gemeindedirektor.
"Hier gab es ab 1928 ein Freibad mit einem Sprungturm. Direkt am Kanal. Nach dem Krieg ist es zerstört worden und nicht mehr betrieben - 1946 oder so."
Die Arbeiten am Kanal, das erzählte ihm sein Vater, begannen in Bad Essen 1910. Auf alten Fotos steht eine Horde Männer vor abenteuerlichen Dampfmaschinen auf ebenso abenteuerlich anmutenden Holzverschlägen – der Blick finster in die Kamera gerichtet und jeder einen Spaten in der Hand. Knochenarbeit war das - mit vielen Arbeitsunfällen, Verletzten und Toten. Zu Ende gebracht wurde die Arbeit trotzdem. Fünf Jahre später schwammen die ersten Schiffe durch den Kurort Bad Essen.
"Nach den Überlieferungen war der Widerstand gegen den Kanal bei weitem nicht so groß wie bei der Kreisbahn. Den dampfenden Koloss konnte man nicht leiden. Schiffe dagegen galten als sicher, während man den Zügen nicht so ganz traute."
Ob die Dampflok den Ruß in die Vorgärten blies oder ein dampfbetriebener Schlepper, der auf dem Kanal vorbeizog: Die Wäsche, die auf der Leine trocknete, musste in beiden Fällen rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden.
"Das waren kleine Motorschiffe, die zogen dann zwei bis drei Lastkähne hinter sich her. Wenn wir als Jungen im Kanal schwammen, konnte man sich da gut anhängen. Erlaubt war es nicht, wir haben es halt gemacht."
Manche sprangen von den Brücken ins Wasser. Kein risikoloses Vergnügen. Der Kanal war damals nicht tiefer als drei Meter; mittlerweile wurde er auf viereinhalb Meter ausgebaggert. Und der Kanal ist breiter geworden – um fast das Doppelte.
Die Poseidon, das Fahrgastschiff, legt ab und fährt zurück nach Minden. Zwei Frachtschiffe, tief ins Fahrwasser gedrückt, kommen entgegen – das erste hat Erz geladen, das zweite Container. Zu aller erst werden auf dem Mittellandkanal Güter transportiert. Die preußischen Verkehrsstrategen wollten vor 100 Jahren Rhein, Weser, Elbe miteinander verbinden und die industriellen Zentren im Westen mit den ländlichen Regionen im Osten.
Zunächst jedoch wurde der Kanal nur bis Hannover gebaut. Bevor der Mittellandkanal das Stadtgebiet erreicht, muss er das Leinetal queren. Auf Brücken. So wie in Minden, wo der Kanal die Weser kreuzt. Als in den 60er-Jahren das Fahrwasser verbreitert wurde, wurde eine neue Brücke gebaut und das Kanalbett um 50 Meter verschoben. Die alten Brücken blieben stehen - für alle Fälle, man weiß ja nie. In Hannover gräbt sich das künstliche Wasserbett nach und nach immer tiefer in die Erde. Bis zur Schleuse in Anderten.
"Der Mittellandkanal wirkt manchmal wie eine Windschneise, vor allem hier, wo er in die Landschaft eingeschnitten ist und rechts und links von Bäumen und einigen Gebäuden eingefasst ist, hat man das Gefühl, dass der Wind sich diese Schneise geschlagen hat, um gen Osten zu kommen."
Waldemar Röhrbein wohnt in Hannover in einem Stadtteil, der durch den Mittellandkanal durchschnitten wird. Von seinem Haus ist er in zwei Minuten am Kanalufer.
"Es gibt durchaus Wellen auf dem Kanal, so dass ich meinen Enkelkindern erklären muss, dass der Kanal ein stehendes Gewässer und kein fließendes ist. Aber wenn man darauf schaut, hat man das Gefühl."
Waldemar Röhrbein ist pensionierter Direktor des Historischen Museums in Hannover. Der Kanal war da immer wieder Gegenstand seiner Arbeit. Weit draußen vor den Toren der Stadt, in der Feldmark, wo die preußischen Soldaten den Ernstfall probten, zog der Mittelandkanal an der Stadt vorbei. Erst in den 20er- und 30er-Jahren wuchs Hannover an den Kanal heran. Heute binden 30 Straßen- und Eisenbahnbrücken den künstlichen Wasserlauf in das urbane Treiben ein.
Die alten mussten abgerissen werden, obgleich sie unter Denkmalschutz standen, weil sie vor 1928 errichtet worden waren. Sie waren nicht breit und hoch genug. So mussten alle erneuert werden, alle in Stahlbauweise, stählerne Bogenbrücken. Aber sie wurden Brücke für Brücke unterschiedlich gestaltet.
Der Kanal ist breiter geworden. Vor neun Jahren war auch im Stadtgebiet von Hannover der Ausbau beendet. Die alten Brückenportale aus Sandstein sind verschwunden; die filigranen Geländerverzierungen und die kopfsteingepflasterten Straßenauffahrten sind dem fließenden Großstadtverkehr geopfert worden. Als Historiker hätte es Waldemar Röhrbein natürlich gern gesehen, wäre die ein oder andere Brücke als frühes Zeugnis des Kanalbaus erhalten geblieben.
Die Nähe zum Kanal hat durchaus ihren Charme. Einmal, wenn man die Schiffe ganz gemächlich entlangfahren sieht und die Autos auf der Brücke mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Stadt oder in Richtung Umland fahren sieht. Dann kommt noch ein Schwapp Diesel aus den Schiffsmotoren. Das weckt ein wenig die Sehnsucht in die Ferne, auch wenn man weiß, dass dieser Kahn vielleicht bloß bis Braunschweig fährt. ... Wenn man auf der Terrasse sitzt und das geruhsame Tuckern der Kanalschiffe, das ist schon höchst angenehm und man ist vom Lärm der Straßen abgelenkt, weil dieses Tuckern den Takt der Ruhe gibt.
Der Mittellandkanal endete nicht lange in Hannover. Gleich nach dem Ersten Weltkrieg ging es weiter. 1928 war die Schleuse in Anderten östlich von Hannover fertig gestellt, zehn Jahre später die Strecke zwischen der zweiten Schleuse kurz vor Wolfsburg und Magdeburg, wo der Mittellandkanal in die Elbe mündet.
"Ich angle auch gerne. Und selbstgefangener schmeckt immer besser."
Edesbüttel, südlich von Gifhorn, bäuerlich-ländliche Gegend, nur wenige Kilometer vom Volkswagen-Werk entfernt.
Die Angler haben den Mittellandkanal für sich entdeckt. Heinz Mahlmann ist amtlich bestellter Gewässeraufseher und blickt den Sportfischern über die Schulter oder genauer gesagt in ihre Kescher.
"Nicht nur zu frühen Zeiten, auch nachts. Der Mittelkanal ist bekannt für einen hervorragenden Zander-Besatz und der beißt bekanntlich nachts. Am Rande bemerkt: Alle Angler sind ja auch keine Engel."
"Na schon was gefangen?"
"Leider nicht."
"Ich bin Hahn von der Fischereiaufsicht. Ich möchte mal die Papiere sehen."
Alle 14 Tage schaut der Angler aus Wolfsburg vorbei – der guten Gewässerqualität wegen. Zehn Stunden rührt er sich kaum vom Fleck, kein Radio, keine Zeitung, aber langweilig, versichert er, wird ihm nicht. Ein Binnenschiff zieht vorbei. Jeden Moment kann ein Fisch anbeißen.
"Ich bin sicher, die Fische registrieren den Schiffsverkehr nicht. Man kann sogar beobachten, dass Fische nach einer Schiffsdurchfahrt eher anbeißen. Und das Schiff, finde ich romantisch. Was stört, sind voll beladene Kähne, die schneller fahren als erlaubt, oder wenn hinten geschleust wird, also wenn das Wasser in Bewegung ist, dann haben sie hier laufend was zu tun. Langweilig ist es dann auch nicht."
Den Mittellandkanal würde heute wohl nicht mehr gebaut werden. Zu wenig Schiffe sind auf ihm unterwegs. Die meisten Güter transportieren die Bahn und vor allem die Lkw. Der Lärm an Fernstraßen reißt nie ab. Vorbeifahrende oder bremsende Güterzüge dröhnen noch lange im Ohr nach. Auf dem Mittellandkanal kehrt Ruhe ein, wenn der tuckernde Dieselmotor eines Binnenschiffs wieder außer Hörweite ist, und sich die Angler und Fische, die Pflanzen und Tiere den künstlichen Wasserlauf zurückerobern, der sich durch die norddeutsche Landschaft zieht.
Bad Essen, am Fuß des Wiehengebirges 20 Kilometer östlich von Osnabrück. Kurort, Fachwerkstadt und Haltepunkt der Mindener Fahrgastschiffahrt. Die Poseidon legt an. Dreieinhalb Stunden ist das Ausflugsschiff auf dem Mittellandkanal unterwegs gewesen. In Bad Essen macht es kehrt und fährt zurück nach Minden. Viele Passagiere haben ihre Fahrräder mitgenommen.
"Eine Tour machen wir mit dem Schiff. Jetzt radeln wir wieder zurück."
Wasserstraßen sind – anders als Straßen oder Schienenstränge – nicht allein schnöde Verkehrswege. Die grünen Uferstreifen des Kanals bieten Tieren und Pflanzen eine Zufluchtsstätte, in der die Menschen Erholung finden. Der Wartungsweg an beiden Seiten ist zugleich Fahrrad- und Wanderweg. Natürlich ist ein Kanal nicht zu vergleichen mit einem Fluss, einem naturbelassenen obendrein. Wo liegt der Reiz einer Kanalfahrt? Das künstliche Gewässer ähnelt doch eher einer Autobahn.
"Kann ich nicht beurteilen. Habe noch keine Flussfahrt gemacht. Da müssen Sie diese Herrschaften fragen.
Doch wir haben schon etliche Flussfahrten gemacht - an der Donau, Rhone, Oder. Ist schon was anderes als der Kanal. Trotzdem ist der Kanal sehr reizvoll."
Einige Schritte vom Anlieger entfernt hat auf einer windgeschützten Restaurant-Terrasse Ernst-August Quade Platz genommen. Er ist in Bad Essen geboren, aufgewachsen und war in den 70er-Jahren stellvertretender Gemeindedirektor.
"Hier gab es ab 1928 ein Freibad mit einem Sprungturm. Direkt am Kanal. Nach dem Krieg ist es zerstört worden und nicht mehr betrieben - 1946 oder so."
Die Arbeiten am Kanal, das erzählte ihm sein Vater, begannen in Bad Essen 1910. Auf alten Fotos steht eine Horde Männer vor abenteuerlichen Dampfmaschinen auf ebenso abenteuerlich anmutenden Holzverschlägen – der Blick finster in die Kamera gerichtet und jeder einen Spaten in der Hand. Knochenarbeit war das - mit vielen Arbeitsunfällen, Verletzten und Toten. Zu Ende gebracht wurde die Arbeit trotzdem. Fünf Jahre später schwammen die ersten Schiffe durch den Kurort Bad Essen.
"Nach den Überlieferungen war der Widerstand gegen den Kanal bei weitem nicht so groß wie bei der Kreisbahn. Den dampfenden Koloss konnte man nicht leiden. Schiffe dagegen galten als sicher, während man den Zügen nicht so ganz traute."
Ob die Dampflok den Ruß in die Vorgärten blies oder ein dampfbetriebener Schlepper, der auf dem Kanal vorbeizog: Die Wäsche, die auf der Leine trocknete, musste in beiden Fällen rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden.
"Das waren kleine Motorschiffe, die zogen dann zwei bis drei Lastkähne hinter sich her. Wenn wir als Jungen im Kanal schwammen, konnte man sich da gut anhängen. Erlaubt war es nicht, wir haben es halt gemacht."
Manche sprangen von den Brücken ins Wasser. Kein risikoloses Vergnügen. Der Kanal war damals nicht tiefer als drei Meter; mittlerweile wurde er auf viereinhalb Meter ausgebaggert. Und der Kanal ist breiter geworden – um fast das Doppelte.
Die Poseidon, das Fahrgastschiff, legt ab und fährt zurück nach Minden. Zwei Frachtschiffe, tief ins Fahrwasser gedrückt, kommen entgegen – das erste hat Erz geladen, das zweite Container. Zu aller erst werden auf dem Mittellandkanal Güter transportiert. Die preußischen Verkehrsstrategen wollten vor 100 Jahren Rhein, Weser, Elbe miteinander verbinden und die industriellen Zentren im Westen mit den ländlichen Regionen im Osten.
Zunächst jedoch wurde der Kanal nur bis Hannover gebaut. Bevor der Mittellandkanal das Stadtgebiet erreicht, muss er das Leinetal queren. Auf Brücken. So wie in Minden, wo der Kanal die Weser kreuzt. Als in den 60er-Jahren das Fahrwasser verbreitert wurde, wurde eine neue Brücke gebaut und das Kanalbett um 50 Meter verschoben. Die alten Brücken blieben stehen - für alle Fälle, man weiß ja nie. In Hannover gräbt sich das künstliche Wasserbett nach und nach immer tiefer in die Erde. Bis zur Schleuse in Anderten.
"Der Mittellandkanal wirkt manchmal wie eine Windschneise, vor allem hier, wo er in die Landschaft eingeschnitten ist und rechts und links von Bäumen und einigen Gebäuden eingefasst ist, hat man das Gefühl, dass der Wind sich diese Schneise geschlagen hat, um gen Osten zu kommen."
Waldemar Röhrbein wohnt in Hannover in einem Stadtteil, der durch den Mittellandkanal durchschnitten wird. Von seinem Haus ist er in zwei Minuten am Kanalufer.
"Es gibt durchaus Wellen auf dem Kanal, so dass ich meinen Enkelkindern erklären muss, dass der Kanal ein stehendes Gewässer und kein fließendes ist. Aber wenn man darauf schaut, hat man das Gefühl."
Waldemar Röhrbein ist pensionierter Direktor des Historischen Museums in Hannover. Der Kanal war da immer wieder Gegenstand seiner Arbeit. Weit draußen vor den Toren der Stadt, in der Feldmark, wo die preußischen Soldaten den Ernstfall probten, zog der Mittelandkanal an der Stadt vorbei. Erst in den 20er- und 30er-Jahren wuchs Hannover an den Kanal heran. Heute binden 30 Straßen- und Eisenbahnbrücken den künstlichen Wasserlauf in das urbane Treiben ein.
Die alten mussten abgerissen werden, obgleich sie unter Denkmalschutz standen, weil sie vor 1928 errichtet worden waren. Sie waren nicht breit und hoch genug. So mussten alle erneuert werden, alle in Stahlbauweise, stählerne Bogenbrücken. Aber sie wurden Brücke für Brücke unterschiedlich gestaltet.
Der Kanal ist breiter geworden. Vor neun Jahren war auch im Stadtgebiet von Hannover der Ausbau beendet. Die alten Brückenportale aus Sandstein sind verschwunden; die filigranen Geländerverzierungen und die kopfsteingepflasterten Straßenauffahrten sind dem fließenden Großstadtverkehr geopfert worden. Als Historiker hätte es Waldemar Röhrbein natürlich gern gesehen, wäre die ein oder andere Brücke als frühes Zeugnis des Kanalbaus erhalten geblieben.
Die Nähe zum Kanal hat durchaus ihren Charme. Einmal, wenn man die Schiffe ganz gemächlich entlangfahren sieht und die Autos auf der Brücke mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Stadt oder in Richtung Umland fahren sieht. Dann kommt noch ein Schwapp Diesel aus den Schiffsmotoren. Das weckt ein wenig die Sehnsucht in die Ferne, auch wenn man weiß, dass dieser Kahn vielleicht bloß bis Braunschweig fährt. ... Wenn man auf der Terrasse sitzt und das geruhsame Tuckern der Kanalschiffe, das ist schon höchst angenehm und man ist vom Lärm der Straßen abgelenkt, weil dieses Tuckern den Takt der Ruhe gibt.
Der Mittellandkanal endete nicht lange in Hannover. Gleich nach dem Ersten Weltkrieg ging es weiter. 1928 war die Schleuse in Anderten östlich von Hannover fertig gestellt, zehn Jahre später die Strecke zwischen der zweiten Schleuse kurz vor Wolfsburg und Magdeburg, wo der Mittellandkanal in die Elbe mündet.
"Ich angle auch gerne. Und selbstgefangener schmeckt immer besser."
Edesbüttel, südlich von Gifhorn, bäuerlich-ländliche Gegend, nur wenige Kilometer vom Volkswagen-Werk entfernt.
Die Angler haben den Mittellandkanal für sich entdeckt. Heinz Mahlmann ist amtlich bestellter Gewässeraufseher und blickt den Sportfischern über die Schulter oder genauer gesagt in ihre Kescher.
"Nicht nur zu frühen Zeiten, auch nachts. Der Mittelkanal ist bekannt für einen hervorragenden Zander-Besatz und der beißt bekanntlich nachts. Am Rande bemerkt: Alle Angler sind ja auch keine Engel."
"Na schon was gefangen?"
"Leider nicht."
"Ich bin Hahn von der Fischereiaufsicht. Ich möchte mal die Papiere sehen."
Alle 14 Tage schaut der Angler aus Wolfsburg vorbei – der guten Gewässerqualität wegen. Zehn Stunden rührt er sich kaum vom Fleck, kein Radio, keine Zeitung, aber langweilig, versichert er, wird ihm nicht. Ein Binnenschiff zieht vorbei. Jeden Moment kann ein Fisch anbeißen.
"Ich bin sicher, die Fische registrieren den Schiffsverkehr nicht. Man kann sogar beobachten, dass Fische nach einer Schiffsdurchfahrt eher anbeißen. Und das Schiff, finde ich romantisch. Was stört, sind voll beladene Kähne, die schneller fahren als erlaubt, oder wenn hinten geschleust wird, also wenn das Wasser in Bewegung ist, dann haben sie hier laufend was zu tun. Langweilig ist es dann auch nicht."
Den Mittellandkanal würde heute wohl nicht mehr gebaut werden. Zu wenig Schiffe sind auf ihm unterwegs. Die meisten Güter transportieren die Bahn und vor allem die Lkw. Der Lärm an Fernstraßen reißt nie ab. Vorbeifahrende oder bremsende Güterzüge dröhnen noch lange im Ohr nach. Auf dem Mittellandkanal kehrt Ruhe ein, wenn der tuckernde Dieselmotor eines Binnenschiffs wieder außer Hörweite ist, und sich die Angler und Fische, die Pflanzen und Tiere den künstlichen Wasserlauf zurückerobern, der sich durch die norddeutsche Landschaft zieht.