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Der richtige Riecher?

Schaut nur, wie das riecht! - will der Film uns unablässig sagen. Das funktioniert natürlich nicht. Im Kölner Dialekt gibt es die hübsche Wendung "Häste der Knall jesehn!" - Hast du den Knall gesehen! Der rhetorische Gestus in Tom Tykwers Film entspricht genau dem: Schaut nur, wie es knallt, schaut nur, wie es riecht. Man schaut und schaut, doch die Nase kriegt nichts mit. Zu schauen aber gibt es tatsächlich sehr viel.

Von Christoph Schmitz |
    "Das Parfum" ist ein opulenter Film. Er schwelgt geradezu in Bildern. Am Anfang auf dem Fischmarkt, wo Jean-Baptiste Grenouille, gespielt von Ben Whishaw, am 17. Juli 1738 in Paris zwischen schleimigen Innereien und abgehackten Fischköpfen das Licht der Welt erblickt, drängen sich der elende Mob und die glibberigen Reichtümer des Meeres. Paris dampft und tropft, kocht und brodelt. Die Sicht auf das Herz der Stadt macht den fantastischen Animationen aus Hollywood alle Ehre. Ein Häuserbabylon türmt sich auf der Seine-Brücke Pont au Change, wo Grenouille bei Giuseppe Baldini, dargestellt von Dustin Hoffman, in die Lehre geht.

    Die Jungfrauen, die der junge Parfumeur nach und nach ermordet, um aus ihrem Duft den Duft der Düfte zu destillieren, sind von atemberaubender Schönheit. Allen voran das letzte Opfer, die Kaufmannstochter Laura im provencalischen Grasse, gespielt von der zauberhaften Rachel Hurd-Wood: Kastanienrote Haarpracht, grüne Augen, wissender Blick. Und doch: In ihrem minzfarbenen Seidenkleid sieht diese Laura aus wie hineingestopft. Die Pracht ist überall zu prächtig, der Schmutz im Bauch der Städte zu schmutzig. Darum wirkt die Ausstattung wie die eines Kostümfilms.

    Es herrscht die entlarvende Ästhetik des Parvenu, der zeigen will, dass er zur hohen Gesellschaft dazugehört - das Quäntchen zuviel. So verstärkt sich während des Zuschauens der Eindruck des Marktschreierischen: Seht her, wie schön wir das hinbekommen! Wir könnens genauso gut wie die Traumfabrikanten an der Westküste! Und damit schaffen wir's auch auf den Weltmarkt! Doch der schamlosen Aufdringlichkeit gelingt die Kino-Verführung nicht. Obwohl sie alle Techniken der Verführung aufbietet. Aber Technik allein reicht bekanntlich nicht zur Befriedigung. Man bekommt wahnsinnig viel geboten, wird aber nicht satt, langweilt sich irgendwann sogar.

    Da ist man schon dankbar, dass nur wenig geredet wird. Aber auch der wenigen Worte sind noch zuviel. Die Stimme des Erzählers aus dem Off raunt einem förmlich ins Ohr. Der Ton der Dialogtexte schwankt unentschlossen zwischen historisierender Altertümlichkeit und saloppem Gegenwartsjargon. Und die Filmmusik von Tom Tykwer, Johnny Klimek und Reinhold Heil, eingespielt von den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle, rückt einem einfältig und dräuend auf die Pelle.

    Schaut nur, wie das riecht! Über diese kleine Unebenheit stolpert das Konzept. Dass Düfte nicht sichtbar sind. Lesbar sind sie natürlich auch nicht. Aber das Medium der Schrift ist offensichtlich abstrakt genug, um der Einbildung auch in olfaktorischen Dingen auf die Sprünge zu helfen. Natürlich wirbt auch die Kosmetik-Industrie mit Bildern für ihre Parfums. Aber sie versucht nicht einen Duft zu suggerieren, sondern belegt ihr Produkt durch Bilder mit einem Image. Sie kommuniziert im Rahmen der Möglichkeiten eines Zeichensystems. Tykwers Film nicht.

    Er will, was er nicht kann, dass Bilder riechen sollen. Immer wieder wird Grenouilles schnuppernde Nase groß gezeigt, die des Säuglings, die des Erwachsenen, wie die Nüstern zu zittern beginnen und sich die Nasenspitze unter der einströmenden Luft beugt. Unwillkürlich beginnt man selbst zu schnüffeln und riecht doch nur das Popcorn des Nachbarn.
    "Das Parfum" ist ein geruchloser Film, wie Jean-Baptiste selbst geruchlos ist, weswegen er ja DAS Parfum kreieren will, um nicht mehr bloß irgendwer zu sein, sondern ein jemand.

    Patrik Süskinds Roman erzählt das einigermaßen glaubhaft, weil er ein postmodernes Spiel betreibt. Die düstere Romantik eines E.T.A. Hoffmann steckt da drin, auch ein "Zarathustra" von Nietzsche, eine Anordnung, die dem genialen Monster eine gewisse, wenn auch sehr artifizielle Lebendigkeit verleiht. Die Verfilmung jedoch gibt das Spiel auf und setzt auf Realität. Die künstliche Figur eines Grenouille versetzt er in den Stallgeruch des Lebens, wodurch seine Künstlichkeit offenbar wird und sein Charakter verdunstet. Das macht diesen Film so steril.