China erscheint als ein Land der Widersprüche: Jahrtausende alte Kultur und andererseits: Schwellenland; Weise wie Konfuzius oder Laotse und: Maobibel; kommunistische Ideologie und: Manchester-Kapitalismus. Ausrichter der Olympischen Spiele und: Menschenrechtsverletzer.
Solche Widersprüche haben viele Ursachen. Eine liegt in der Geschichte. Schon vor Christi Geburt gab es die Zeit der "Streitenden Reiche", die rund zehn mal so lang dauerte, wie der 30-jährige Krieg in Europa. Chinakenner Gregor Paul, der als Professor Philosophie in Karlsruhe lehrt, aber auch an der chinesischen Hochschule in Kunming tätig war, sieht darin die Ursache für das chinesische Streben nach Einheit:
"Man hatte die Erfahrung gemacht - sicherlich ne traumatische Erfahrung - dass zwischen 500 und 221 vor Christus also Jahrhunderte lang sozusagen einzelne Reiche gegen einander kämpften. Diese Kriege führten zu ungeheuerem Elend und waren also nachhaltiger Faktor für die Entwicklung der Idee, dass die Einheit dieses ganzen Gebietes zu wahren sei.
Der Horror vor dem Zerfall der Einheit und der daraus resultierenden sozusagen gesellschaftlichen Unordnung, dem Chaos, dem Unfrieden und so fort, der spielt auch heute noch eine Rolle."
Neben der Geschichte ist die Geographie eine weitere Ursache: Die riesigen Flüsse Chinas sind im Laufe der Zeit zu Dammflüssen geworden. Das heißt, der Wasserspiegel liegt über dem umgebenden Land. Das aber erfordert die Pflege der Dämme über tausende von Kilometern. Bei Flutwellen müssen Warnungen rasch riesige Entfernungen überwinden. Die Chinesen sind also zur Zusammenarbeit gezwungen.
"Dahinter stand dann auch die vielleicht fragwürdige Idee - die spielt heute auch noch ne Rolle - , dass Einheitlichkeit ein friedenssichernder und damit letztendlich sogar also ein menschlichkeitsfördernder, humanitätsfördernder Faktor sei."
Die Chinesische Mauer war also nicht nur Bollwerk gegen die Außenwelt, sondern auch ein Gürtel, der das Reich zusammenhalten sollte. Eine freiwillige Zusammenarbeit, wie heute in Europa, hatte es ja vorher nie gegeben. Dabei sind Chinas Provinzen so groß, wie europäische Länder und auch von vielen Minderheiten bewohnt. Das macht Chinas Verhalten gegenüber Taiwan oder Tibet verständlicher:
"Und wenn jetzt etwa da ein Teil Chinas heute selbstständig würde, oder wenn da eine Bewegung Erfolg hätte - zum Beispiel in Tibet - dann würden die Dämme brechen. Also dann hätte man mit entsprechenden Entwicklungen natürlich im Nordwesten zu rechnen, in den von Moslems bewohnten Gebieten und womöglich noch in anderen Gebieten. Also es käme zu Bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen."
Die Regierung "reitet also auf dem Tiger". Das Bild bedeutet: Solange man ihn beherrscht, also ihn reitet, kann er einen nicht fressen. Aber wehe man steigt ab. Gregor Paul, der sich auch als Präsident der Deutschen Chinagesellschaft, um gegenseitiges Verständnis bemüht, erklärt:
"Das ist natürlich auch der Gedanke, der immer wieder von der chinesischen Seite - ich erkläre das nur, ich rechtfertige oder billige das nicht, ich erkläre das - der von chinesischer Seite immer wieder in Spiel gebracht wird, wenn es heißt, dass man eben eine bestimmte Bewegung unterdrücken, beherrschen müsse. Wenn man das nicht täte, so die Überzeugung, würden die Dämme brechen. Also die Unterdrückung, wie sie von der Regierung praktiziert wird, ist - aus Sicht der Regierung - gewiss das kleinere Übel."
Dieses Primat der Einheit wirkt auch auf anderen Gebieten. Da Religion und Kirche den Staat in Frage stellen könnten, müssen sie sich dem Staat unterordnen. Wie bei der Zeit der Streitenden Reiche bietet auch hier die Geschichte abschreckende Beispiele, etwa die religiösen Kämpfe am Ende der Hanzeit, oder den Taiping-Aufstand.
"So ist dieser Versuch Religionen immer innerhalb des staatlichen Rahmens zu halten, beziehungsweise, die säkulare Macht, die staatliche Macht immer und fraglos über die religiöse Macht zu stellen, zu erklären. Natürlich spielt dieser Faktor auch heute eine Rolle. Es wird Religionsfreiheit zugestanden. Aber eben nur - jetzt formal ganz ähnlich unseren Verhältnissen, wo wir darauf pochen, das Religionsausübung der Verfassung nicht widersprechen kann - es wird Religionsfreiheit zugestanden, aber nur so weit, wie es eben die chinesische Verfassung gestattet, wie die Staatsmacht davon wirklich nicht berührt ist."
Das erklärt, weshalb China nur diejenigen katholischen Bischöfe anerkennt, die es selbst bestätigt hat. Aus dieser Geringschätzung der Religion heraus, verstehen die Chinesen die religiöseren Tibeter kaum:
"Chinesische Kader - vergessen wir nicht, dass die nach wie vor eine kommunistische Erziehung durchlaufen - aber auch die traditionelle chinesische Elite waren und sind nicht sehr religiös. Also Gottesglauben in irgend wie einem dem Christentum vergleichbaren Sinne, hat bei den Eliten Chinas nie eine Rolle gespielt und spielt es meiner Meinung nach auch heute nicht. So sehen chinesische Intellektuelle natürlich den Tibetischen Buddhismus also zum Teil sehr kritisch, sagen wir mal als eine Form recht minderwertigen Aberglaubens." "
Dem entsprechend fehlen in China Dogmen und man kann seine Meinung, Politik oder Ideologie, wie unter Mao, rasch und willkürlich wechseln. Beides hinterließ, samt den politischen Wirren der letzten 150 Jahre, bei der Bevölkerung tiefe Spuren. Gregor Paul:
"Also ich hab‘ manchmal bei Chinesen, älteren Chinesen das Gefühl gehabt, dass die Haltung oder die Einstellung dieser Menschen durch ein Misstrauen gegenüber einer Behauptung, dass irgend jemand eine ehrliche moralische Überzeugung besitze, bestimmt war."
Dieses Misstrauen führt dazu, dass viele Chinesen niemandem glauben; ja, sie entwickeln inzwischen auch selbst ein eher taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Da ist es nur folgerichtig, dass sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass der Dalai Lama - genau wie jeder andere Politiker - ebenfalls lügt.
Solche Widersprüche haben viele Ursachen. Eine liegt in der Geschichte. Schon vor Christi Geburt gab es die Zeit der "Streitenden Reiche", die rund zehn mal so lang dauerte, wie der 30-jährige Krieg in Europa. Chinakenner Gregor Paul, der als Professor Philosophie in Karlsruhe lehrt, aber auch an der chinesischen Hochschule in Kunming tätig war, sieht darin die Ursache für das chinesische Streben nach Einheit:
"Man hatte die Erfahrung gemacht - sicherlich ne traumatische Erfahrung - dass zwischen 500 und 221 vor Christus also Jahrhunderte lang sozusagen einzelne Reiche gegen einander kämpften. Diese Kriege führten zu ungeheuerem Elend und waren also nachhaltiger Faktor für die Entwicklung der Idee, dass die Einheit dieses ganzen Gebietes zu wahren sei.
Der Horror vor dem Zerfall der Einheit und der daraus resultierenden sozusagen gesellschaftlichen Unordnung, dem Chaos, dem Unfrieden und so fort, der spielt auch heute noch eine Rolle."
Neben der Geschichte ist die Geographie eine weitere Ursache: Die riesigen Flüsse Chinas sind im Laufe der Zeit zu Dammflüssen geworden. Das heißt, der Wasserspiegel liegt über dem umgebenden Land. Das aber erfordert die Pflege der Dämme über tausende von Kilometern. Bei Flutwellen müssen Warnungen rasch riesige Entfernungen überwinden. Die Chinesen sind also zur Zusammenarbeit gezwungen.
"Dahinter stand dann auch die vielleicht fragwürdige Idee - die spielt heute auch noch ne Rolle - , dass Einheitlichkeit ein friedenssichernder und damit letztendlich sogar also ein menschlichkeitsfördernder, humanitätsfördernder Faktor sei."
Die Chinesische Mauer war also nicht nur Bollwerk gegen die Außenwelt, sondern auch ein Gürtel, der das Reich zusammenhalten sollte. Eine freiwillige Zusammenarbeit, wie heute in Europa, hatte es ja vorher nie gegeben. Dabei sind Chinas Provinzen so groß, wie europäische Länder und auch von vielen Minderheiten bewohnt. Das macht Chinas Verhalten gegenüber Taiwan oder Tibet verständlicher:
"Und wenn jetzt etwa da ein Teil Chinas heute selbstständig würde, oder wenn da eine Bewegung Erfolg hätte - zum Beispiel in Tibet - dann würden die Dämme brechen. Also dann hätte man mit entsprechenden Entwicklungen natürlich im Nordwesten zu rechnen, in den von Moslems bewohnten Gebieten und womöglich noch in anderen Gebieten. Also es käme zu Bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen."
Die Regierung "reitet also auf dem Tiger". Das Bild bedeutet: Solange man ihn beherrscht, also ihn reitet, kann er einen nicht fressen. Aber wehe man steigt ab. Gregor Paul, der sich auch als Präsident der Deutschen Chinagesellschaft, um gegenseitiges Verständnis bemüht, erklärt:
"Das ist natürlich auch der Gedanke, der immer wieder von der chinesischen Seite - ich erkläre das nur, ich rechtfertige oder billige das nicht, ich erkläre das - der von chinesischer Seite immer wieder in Spiel gebracht wird, wenn es heißt, dass man eben eine bestimmte Bewegung unterdrücken, beherrschen müsse. Wenn man das nicht täte, so die Überzeugung, würden die Dämme brechen. Also die Unterdrückung, wie sie von der Regierung praktiziert wird, ist - aus Sicht der Regierung - gewiss das kleinere Übel."
Dieses Primat der Einheit wirkt auch auf anderen Gebieten. Da Religion und Kirche den Staat in Frage stellen könnten, müssen sie sich dem Staat unterordnen. Wie bei der Zeit der Streitenden Reiche bietet auch hier die Geschichte abschreckende Beispiele, etwa die religiösen Kämpfe am Ende der Hanzeit, oder den Taiping-Aufstand.
"So ist dieser Versuch Religionen immer innerhalb des staatlichen Rahmens zu halten, beziehungsweise, die säkulare Macht, die staatliche Macht immer und fraglos über die religiöse Macht zu stellen, zu erklären. Natürlich spielt dieser Faktor auch heute eine Rolle. Es wird Religionsfreiheit zugestanden. Aber eben nur - jetzt formal ganz ähnlich unseren Verhältnissen, wo wir darauf pochen, das Religionsausübung der Verfassung nicht widersprechen kann - es wird Religionsfreiheit zugestanden, aber nur so weit, wie es eben die chinesische Verfassung gestattet, wie die Staatsmacht davon wirklich nicht berührt ist."
Das erklärt, weshalb China nur diejenigen katholischen Bischöfe anerkennt, die es selbst bestätigt hat. Aus dieser Geringschätzung der Religion heraus, verstehen die Chinesen die religiöseren Tibeter kaum:
"Chinesische Kader - vergessen wir nicht, dass die nach wie vor eine kommunistische Erziehung durchlaufen - aber auch die traditionelle chinesische Elite waren und sind nicht sehr religiös. Also Gottesglauben in irgend wie einem dem Christentum vergleichbaren Sinne, hat bei den Eliten Chinas nie eine Rolle gespielt und spielt es meiner Meinung nach auch heute nicht. So sehen chinesische Intellektuelle natürlich den Tibetischen Buddhismus also zum Teil sehr kritisch, sagen wir mal als eine Form recht minderwertigen Aberglaubens." "
Dem entsprechend fehlen in China Dogmen und man kann seine Meinung, Politik oder Ideologie, wie unter Mao, rasch und willkürlich wechseln. Beides hinterließ, samt den politischen Wirren der letzten 150 Jahre, bei der Bevölkerung tiefe Spuren. Gregor Paul:
"Also ich hab‘ manchmal bei Chinesen, älteren Chinesen das Gefühl gehabt, dass die Haltung oder die Einstellung dieser Menschen durch ein Misstrauen gegenüber einer Behauptung, dass irgend jemand eine ehrliche moralische Überzeugung besitze, bestimmt war."
Dieses Misstrauen führt dazu, dass viele Chinesen niemandem glauben; ja, sie entwickeln inzwischen auch selbst ein eher taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Da ist es nur folgerichtig, dass sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass der Dalai Lama - genau wie jeder andere Politiker - ebenfalls lügt.