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Der Roboter-Raubvogel

Robotik.- Nahezu jeden Morgen und jeden Nachmittag färben sie den Himmel über Rom schwarz: riesige Staren-Schwärme. Damit die Vogelmassen aber nicht zur ständigen Bedrohung des Flugverkehrs werden, kommen an den Flughäfen Roboter-Falken zum Einsatz.

Von Thomas Migge | 27.07.2009
    "In den letzten Jahren haben wir einen Falken-Roboter
    entwickelt und ausprobiert, der wirklich einsatzfähig ist und vom Boden
    aus gelenkt werden kann."

    Paolo Iori vom römischen Flughafen Fiumicino ist verantwortlich für das
    Projekt "Bird Raptor". Ziel ist es, Vögel von den startenden und
    landenden Maschinen fern zu halten. Der sogenannte "Bird Raptor" ist
    eine funkferngesteuerte Drohne. Der elektronische Falke hat die gleiche
    Größe wie ein ausgewachsenes Tier; wirkt lebensecht und kann seine
    Flügel bewegen. Immer wenn die Radargeräte des Flughafen-Towers die
    Ankunft großer Schwärme von Vögeln melden, Möwen oder Stare, lässt Iori
    seinen Vogel aufsteigen. Es reicht aus, die Drohne einige Kreise über den
    Lande- und Startbahnen drehen zu lassen, um die Tiere fernzuhalten. Das
    wirkt offenbar zur Abschreckung.

    Doch warum die Singvögel sich so verhalten, in Schwärmen mit bis zu
    200.000 Staren, das will an der Universität in Rom Giorgio Parisi
    wissen. Der Quantenphysiker leitet das europäische Projekt "Starlings in
    Flight: Understanding Patterns of Animal Group Movements". Er will
    herausfinden, wie die vielen Vögel von einer Sekunde auf die andere
    ihre Flugrichtung ändern können. Er sucht nach den
    Kommunikationstechniken der Vögel untereinander:

    "Dafür haben wir auf römischen Dächern sechs digitale
    Fotoapparate installiert, auf einer geraden Linie von 25 Metern. Schon
    mit einer Folge von sechs Bildern pro Sekunde können wir im Rechner eine
    dreidimensionale Darstellung der Bewegungen eines Vogelschwarms
    rekonstruieren."

    Die von Parisi benutzte Methode zur virtuellen Rekonstruktion ganzer
    Vogelschwärme nutzt die Stereoskopie zur realen räumlichen Abbildung,
    bei dem paarweise Bilder - stereoskopische Halbbilder genannt - getrennt
    für jedes Auge erzeugt werden. Im Unterschied zum zweidimensionalen Bild
    wird auf diese Weise eine sogenannte Tieflage jedes Raumpunktes aus dem
    Bild mathematisch reproduzierbar ermittelt. Giorgio Parisi:

    "Die von uns erstellten Fotos deuten nicht auf ein
    Leittier hin, das die Richtung vorgibt. Ich bin davon überzeugt, dass
    wir zunächst die Gründe für die plötzlich beim Fliegen der Schwärme
    auftretenden Beschleunigungen herausfinden müssen, um erklären zu
    können, warum so viele Tiere auf einmal ihre Flugrichtung ändern.""

    Parisi entdeckte, dass die Vögel kurz vor einer Richtungsänderung beim
    Fliegen ihre Fluggeschwindigkeit beschleunigen. Von schätzungsweise 90
    auf 100 Stundenkilometer. Er sieht also einen kausalen Zusammenhang zwischen schnellerem Fliegen und Richtungsänderung. Parisi untersuchte das
    Orientierungsvermögen der fliegenden Vögel untereinander, um Gründe für
    Flugbeschleunigungen zu ermitteln. Bemerkenswert sei die "Zähigkeit” der
    Starenschwärme, die selbst Angreifer nicht aufzulösen vermögen. Bislang
    gehen Vogelkundler davon aus, dass die Stare ein sogenanntes
    topologisches Abstandsmaß nutzen: Jeder Vogel richtet sich nach
    sämtlichen Nachbarn innerhalb eines bestimmten Abstandes aus. Statt des
    Abstandes, erklärt Quantenphysiker Parisi, scheine aber vielmehr die
    Gehirnkapazität – bezogen zum Beispiel auf die Merkfähigkeit - die Obergrenze
    zu setzen.

    Jeder Vogel könne gleichzeitig sechs bis sieben Artgenossen
    im Auge behalten. Simulationen der Vogelschwärme zeigten ihm, dass die
    Vögel den nächsten Nachbarn am liebsten neben und etwas über beziehungsweise unter sich hatten. Erst ab dem sechsten bis siebten Nachbarn wäre keine bevorzugte Position mehr nachweisbar. Selbst in einem dichten Schwarm hätten die Vögel freie Sicht auf mehr als sieben Nachbarn, konnten
    Parisi und seine Mitarbeiter nachweisen.

    Ein nächster Schritt des Forschungsprojekts sucht eine Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang der topologischen Fähigkeiten der Vögel und ihrer
    Kommunikation untereinander. Staren-Forscher Giorgio Parisi will sich
    dann nicht nur auf Vögel konzentrieren. Auch das Verhalten von
    Fischschwärmen will er studieren, um die Stare besser zu verstehen. Und
    um am Ende ihre Angst vor dem Kunst-Falken am Flughafen beschreiben zu
    können.