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"Der rote Faden bin ich"

Gentleman hat sich bei "New Day Dawn" ganz auf sich verlassen und verzichtet komplett auf Gastsänger. Sein neues Album sei das bislang persönlichste geworden, erklärt der Musiker. In den Songs geht es um erlebte und durchlebte Gefühle, Begegnungen oder Ereignisse.

Von Ralf Kennel |
    "Ich werde immer Roots-Reggae machen und mich in dem Terrain auch heimisch fühlen. Was mir aber wichtig war: dass das Album einen roten Faden hat. Und der rote Faden bin ich."

    Denn Gentleman hat zum ersten Mal sich ganz auf sich verlassen. So kommt er auf "New Day Dawn" komplett ohne Gastsänger, sogenannte Features aus. Außerdem hat er die meisten Songs in seinem Heimstudio im Kölner Süden geschrieben. Und das auf einem für Reggaemusiker ungewöhnlichem Instrument: dem Flügel

    "Im Gegensatz zur Gitarre habe ich da auch Fortschritte gemacht und konnte Ideen, die ich im Kopf hatte, auch umsetzen. Ich habe Akkorde miteinander kombiniert und viel Zeit einfach am Flügel verbracht. Dort sind dann Ideen für Gesangsmelodien entstanden."
    Gentleman verlässt sich auf dem neuen Album aber nicht nur auf seine Stärken, dem Roots-Reggae. Auch Elemente aus dem Hip-Hop, dem Elektro oder der Popmusik fließen auf "New Day Dawn" mit ein. Vieles davon hat er selber produziert und von einem Nachwuchsmixer aus Köln mischen lassen. Für die Gesangsaufnahmen ist Tillmann Otto dann aber doch wie bei jedem Album bisher nach Kingston geflogen:

    "Wenn ich in Jamaika meinen Gesang aufnehme, dann habe ich da viel mehr direktes Feedback, weil da viel mehr Menschen in den Studios abhängen, die wesentlich Erfahrung haben. Es gibt viel mehr Leute, die auch das machen, was ich mache. Sie können mir Tipps geben, die ich in der Form so hier nicht habe. Und wenn ich in Kingston Songs aufnehme, bin ich intuitiver und denke im positiven Sinne weniger nach."

    Sein neues Album sei das bislang persönlichste geworden, erklärt Gentleman. In den Songs geht es immer um Gefühle, Begegnungen oder Ereignisse, die er selber erlebt, durchlebt hat.

    "Dass ich aber auch Themen behandelt habe, die ich vorher nicht behandelt habe. Der Verlust meines Freundes, der auf einmal nicht mehr da war. Jemand, der bei mir gewohnt hat, mich 20 Jahre begleitet hat und dann auf einmal nicht mehr da ist. Das ist eine Erfahrung, die ich vorher nicht gemacht habe. Das habe ich auf 'Memories' therapiert."

    Verzweiflung und Hoffnung - zwei Themen, die bei dem Sohn eines evangelischen Pastors direkt nebeneinanderstehen. Denn in "Another drama" erzählt Gentleman begeistert über die Revolution in Ägypten. Das Intro zum Song hat er sogar vor einem Jahr kurz vor der Wahl in Kairo auf dem Tahrir-Platz aufgenommen:

    "Es war unglaublich beeindruckend, wie viel Mut bei den jungen Leuten war und ist. Mut zur Veränderung, Mut mit etwas Altem abzuschließen und etwas Neues zu beginnen. Mut zur Revolution. Es gibt gerade eine revolutionäre Dynamik, die sich auf ganz viele Länder ausbreitet. Deswegen auch 'New Day Dawn'. Dieses Gefühl, dass wir schon global gesehen, in einer anderen Episode drinstecken. Auch eine Episode, die mir Hoffnung macht."

    Aber nicht alles Revolutionäre trifft Gentlemans Nerv. Im Gegenteil: Die technische Revolution des Internets und der Smartphones geht dem zweifachen Familienvater manchmal auch richtig auf die Nerven - wie er sehr schön in seiner aktuellen Single "You remember" beschreibt.

    "Wenn wir im Wald sind oder wenn wir Fußball spielen oder beim FC sind - da gibt es keine Smartphones. Ich finde es ganz wichtig, auch Zeiten der Unerreichbarkeit sich freizuhalten. Oder ein Sonntag – ich finde es so gut, dass die Geschäfte nicht aufhaben. Ich habe dann auch mein Telefon aus und beantworte keine Mails – und das fühlt sich so gut an."

    Mit seinem sechsten Album "New Day Dawn" kehrt Gentleman zu alter Stärke zurück. Natürlich werden ihm die Reggae-Puristen vorwerfen, manchmal zu sehr in Richtung Pop abzudriften, das Kantige glatt poliert zu haben. Seinen Hang zu eingängigen, schönen Melodien und Refrains kann man ihm aber nicht absprechen. Das alles ist nicht neu und innovativ und auch kein wirklicher Neuanfang: Aber trotzdem immer noch verdammt gut.