Nein. Dies ist kein deSade. Emmanuele Bernheim schreibt über ganz normale kleine Leute, die einfach plötzlich der Verlockung erliegen. Menschen, die sich auf ein Abenteuer einlassen, auf etwas Geheimnisvolles, das ‚dazwischenkommt'. Das Unverhoffte rollt mit sinnlicher Urgewalt ab. Das Zusammentreffen zweier, die sich begehren, birgt die Sprengkraft, sorgfältig gebaute Lebenspläne in die Luft zu jagen.
"Ich mag", kommentiert Bernheim, "die Idee eines Zusammentreffens von Zufällen, die in einen Abgrund, in etwas Unbekanntes münden. Ereignisse, die wie Erscheinungen sind. Mich interessiert, genau zu beschreiben, was im Moment der Begegnung passiert. Wie kommt es, daß man sich verliebt oder daß man sich von dem einem Mann angezogen fühlt und nicht von einem anderen. Was spielt sich ab? Der Geruch...das Animalische reizt mich. Animalisch, aber im positiven und fundamental menschlichen Sinn des Wortes."
Emmanuele Bernheim gestikuliert aufgeregt mit der Zigarette und macht dabei kleine Wölkchen. Sie wirkt wie ein sehr taffes, sehr großes Mädchen, obwohl sie schon über 40 ist. Und es ist überhaupt nicht verwunderlich, daß sie dieses Buch "Der rote Rock" geschrieben hat. Die Autorin hat keinerlei Künstlerattitude, nichts Bildungsbürgerliches. Kritiker behaupten immer wieder, sie würde mit ihren Büchern die französische Tradition des "nouveau roman" fortsetzen. Sie selbst hat dafür nur ein Achselzucken übrig. Was soll das, ein "nouveau roman"? Sie wurde beeinflußt durch Kinofilme von Almodovar z.B., nicht durch Literaturtheorien.
Emmanuele Bernheim sagt, daß ihre Geschichten ihr passieren, über sie kommen. Wie vielleicht ein Grippevirus über unsereins. Wie kam sie darauf, Bücher zu schreiben?
"Das war ziemlich albern. Als Kind oder Jugendliche schrieb ich überhaupt nicht. Aber plötzlich - ich war so 27 oder 28, ziemlich spät. Da fing ich an. Ich war damals verliebt in einen Mann vom anderen Ende der Welt. Er hat mich schwer beeindruckt. Und ich stellte mir vor, daß er sein Land verlassen und mit mir in Paris leben würde. Das war natürlich absurd. Und als mir das bewußt wurde, verspürte ich eine schmerzhafte Leere. Und um diese Leere zu füllen, mußte ich von diesem Mann sprechen. Ich sagte mir: Du hast einen Stift. Du hast Papier. Versuche es aufzuschreiben. So entstand mein erster Roman."
Der heißt "Le cran d'arret" - "Das Klappmesser" und brachte der Debutantin einen beachtlichen Auflagenerfolg. Danach wollten Bernheims Verleger mehr sehen:
"Ich wollte eigentlich kein zweites Buch schreiben. Aber ich habe mich gezwungen. Die Folge: eine nervöse Depression. Dann hab ich mir gesagt: Schluß damit! Und nach 5 Jahren - zwischen dem zweiten und dem dritten Roman lagen 5 Jahre - hatte ich wieder Lust zu schreiben. Ohne daß mir ein Verleger im Nacken sitzen mußte. Ich will keine Autorinnenkarriere machen und alle 2 Jahre einen Roman abliefern. Ich will nicht finanziell abhängig sein vom Schreiben. Deshalb schreibe ich Fernsehdrehbücher und mache kleine Jobs nebenher zum Geldverdienen. Das Bücherschreiben funktioniert bei mir nur, wenn ich das in absoluter Freiheit machen kann. Das heißt, vielleicht schreibe ich ein nächstes Buch, vielleicht auch nicht."
Sie hat damals ein nächstes geschrieben. "Sa Femme" - "Die Andere". Mit ihm kassierte sie den "Prix Médicis". "Die Andere" hatte eine Auflage von 120tausend und stand monatelang auf der Bestsellerliste des "Expres", dem französischen Pendant des "SPIEGEL". Das Buch wurde in 16 Sprachen übersetzt. Dann folgte "Ein Liebespaar" und "Vendredi Soir", zu deutsch "Der rote Rock".
Dieses Buch wärmt von innen, wie ein Cognac. Emmanuele Bernheims Liebesgeschichte wandert vom Kopf direkt in die Eingeweide. Und brodelt dort. Eine Stunde im Leben eines Lesers. Und natürlich ist hinterher alles wie es vorher auch war. Vielleicht eine kleine Sehnsucht, die ist geblieben. An einem fast gewöhnlichen Freitag Abend, am dem die Pariser Metro streikt und der Autoverkehr auf den Boulevards nur schwer vorankommt, hat Laure soeben all ihre Sachen gepackt. Singleleben adé: Morgen wird sie zu ihrem Freund zu ziehen. Der ist Arzt und wegen einer wichtigen Tagung nicht in Paris. Laure will den Abend mit Freunden verbringen. Auf dem Weg dahin bleibt sie im Stau stecken. Ein fremder Mann klopft an ihr Autofenster, und bittet sie, ihn ein Stückchen mitzunehmen. Es dauert nicht lang, und Laure ist von den Gerüchen des Mannes "Tabak, Leder und Rasierwasser" wie hypnotisiert. Verwirrt fiebert sie darauf, diese eine letzte Nacht vor Beginn ihres neuen Lebens mit dem Unbekannten zu verbringen. Aber der Mann steigt aus. Laure parkt kurzentschlossen eine Straße weiter, wühlt aus einer der Umzugskisten den roten Rock hervor, zieht ihn an. Und macht sich auf die Suche nach dem begehrten Mann.
"Das Thema, das mich am meisten interessiert", kommentiert sie den Plot, "ist das Begehren, nicht die Liebe, auch nicht die Erotik. Es ist: Warum begehrt man jemanden, es ist dermaßen unerklärlich und von so vielen Dingen abhänigig. Warum begehre ich einen Mann, der Ihnen gar nicht auffällt. Das Begehren funktioniert nach Kriterien, die nicht greifbar sind. Wie z.B. dem Gang von jemandem, seinen Haaren, seinem Geruch. Das ist doch sehr befremdlich. Die Liebe kann man immer noch irgendwie erklären, aber das Begehren ist total unerklärlich. Es ist geheimnisvoll."
Vielleicht wechseln deshalb Frederic und Laure aus "Der rote Rock" nur zehn Sätze miteinander. Emmanuele Bernheim mißtraut offenbar der Sprache da, wo sie Gefühle zumüllen würde. Wo sie falschspielt. Sprache dient, wenn´s schlecht kommt, als Tranquillizer. Es wird zu viel geredet."
Emmanuele Bernheim findet Worte für wunderbare Momente, Momente unverstellten Staunens:
"Es gibt eine Sprache, die mir gar nicht gefällt. Die manirierte Sprache, die keine Gefühle hinterläßt. Simenon, den ich sehr bewundere, war ein Meister der Sprache. Wenn bei Simenon steht "es regnet", dann fühlt man sich nass. Ich weiß nicht wie er das schaffte, er hat die Macht, Worte wirken zu lassen. Und es gibt eben andere Autoren, die können 18 Seiten lang schreiben, wie sehr es regnet, aber man hat das Gefühl, absolut auf dem Trockenen zu sitzen. Das ist ein abstrakter Regen, obwohl er beschrieben beschrieben beschrieben wird. Mit diesen verschnörkelten Adjektiven, die alles aufblähen. Übrigens sagte Simenon sehr richtig: Wenn mir ein schönes Wort einfällt, verbiete ich es mir. Simenon hatte was gegen einfache Lösungen.
Das Auge der Autorin hängt wie ein Kameraauge immer mitten in der Szene. Sie schildert Bilder - in Nahaufnahme. Und das macht das Buch auch einerseits so ernst und kompromißlos und andererseits so eingängig. Worte verwandeln sich in Bilder, Sätze in Szenen, und das Buch wird zum Film. Tatsächlich ist Emmanuele Bernheim gerade dabei, ihren letzten Roman fürs Kino fertigzumachen. Vom Handwerk her kein Problem, denn sie arbeitet im Brotberuf als Drehbuchautorin fürs Fernsehen. Aber ein paar Details werfen noch Probleme auf: Wie den Zuschauern vermitteln, welche Gerüche Laure betören? Wie die ganzen seelischen Bewegungen der Figuren bebildern?
"Der rote Rock" ist ein Beweis dafür, daß ein Buch die Fähigkeit haben kann, audiovisuelle Medien überflüssig zu machen. Man liest, kramt dabei den Geruch von Männern in Lederjacken aus der Erinnerung hervor; genauso wie Bilder von weißen durchgefrorenen Händen. Angst, Flucht, Begehren - soweit der Leser solche Gefühle schon mal erlebt hat, wird er sie aktivieren. Und die eine Stunde mit dem "roten Rock", gelesen an einem warmen Sommerabend auf dem Balkon: es wird schwer sein, sie mit einem Kinofilm zu übertreffen.
"Ich mag", kommentiert Bernheim, "die Idee eines Zusammentreffens von Zufällen, die in einen Abgrund, in etwas Unbekanntes münden. Ereignisse, die wie Erscheinungen sind. Mich interessiert, genau zu beschreiben, was im Moment der Begegnung passiert. Wie kommt es, daß man sich verliebt oder daß man sich von dem einem Mann angezogen fühlt und nicht von einem anderen. Was spielt sich ab? Der Geruch...das Animalische reizt mich. Animalisch, aber im positiven und fundamental menschlichen Sinn des Wortes."
Emmanuele Bernheim gestikuliert aufgeregt mit der Zigarette und macht dabei kleine Wölkchen. Sie wirkt wie ein sehr taffes, sehr großes Mädchen, obwohl sie schon über 40 ist. Und es ist überhaupt nicht verwunderlich, daß sie dieses Buch "Der rote Rock" geschrieben hat. Die Autorin hat keinerlei Künstlerattitude, nichts Bildungsbürgerliches. Kritiker behaupten immer wieder, sie würde mit ihren Büchern die französische Tradition des "nouveau roman" fortsetzen. Sie selbst hat dafür nur ein Achselzucken übrig. Was soll das, ein "nouveau roman"? Sie wurde beeinflußt durch Kinofilme von Almodovar z.B., nicht durch Literaturtheorien.
Emmanuele Bernheim sagt, daß ihre Geschichten ihr passieren, über sie kommen. Wie vielleicht ein Grippevirus über unsereins. Wie kam sie darauf, Bücher zu schreiben?
"Das war ziemlich albern. Als Kind oder Jugendliche schrieb ich überhaupt nicht. Aber plötzlich - ich war so 27 oder 28, ziemlich spät. Da fing ich an. Ich war damals verliebt in einen Mann vom anderen Ende der Welt. Er hat mich schwer beeindruckt. Und ich stellte mir vor, daß er sein Land verlassen und mit mir in Paris leben würde. Das war natürlich absurd. Und als mir das bewußt wurde, verspürte ich eine schmerzhafte Leere. Und um diese Leere zu füllen, mußte ich von diesem Mann sprechen. Ich sagte mir: Du hast einen Stift. Du hast Papier. Versuche es aufzuschreiben. So entstand mein erster Roman."
Der heißt "Le cran d'arret" - "Das Klappmesser" und brachte der Debutantin einen beachtlichen Auflagenerfolg. Danach wollten Bernheims Verleger mehr sehen:
"Ich wollte eigentlich kein zweites Buch schreiben. Aber ich habe mich gezwungen. Die Folge: eine nervöse Depression. Dann hab ich mir gesagt: Schluß damit! Und nach 5 Jahren - zwischen dem zweiten und dem dritten Roman lagen 5 Jahre - hatte ich wieder Lust zu schreiben. Ohne daß mir ein Verleger im Nacken sitzen mußte. Ich will keine Autorinnenkarriere machen und alle 2 Jahre einen Roman abliefern. Ich will nicht finanziell abhängig sein vom Schreiben. Deshalb schreibe ich Fernsehdrehbücher und mache kleine Jobs nebenher zum Geldverdienen. Das Bücherschreiben funktioniert bei mir nur, wenn ich das in absoluter Freiheit machen kann. Das heißt, vielleicht schreibe ich ein nächstes Buch, vielleicht auch nicht."
Sie hat damals ein nächstes geschrieben. "Sa Femme" - "Die Andere". Mit ihm kassierte sie den "Prix Médicis". "Die Andere" hatte eine Auflage von 120tausend und stand monatelang auf der Bestsellerliste des "Expres", dem französischen Pendant des "SPIEGEL". Das Buch wurde in 16 Sprachen übersetzt. Dann folgte "Ein Liebespaar" und "Vendredi Soir", zu deutsch "Der rote Rock".
Dieses Buch wärmt von innen, wie ein Cognac. Emmanuele Bernheims Liebesgeschichte wandert vom Kopf direkt in die Eingeweide. Und brodelt dort. Eine Stunde im Leben eines Lesers. Und natürlich ist hinterher alles wie es vorher auch war. Vielleicht eine kleine Sehnsucht, die ist geblieben. An einem fast gewöhnlichen Freitag Abend, am dem die Pariser Metro streikt und der Autoverkehr auf den Boulevards nur schwer vorankommt, hat Laure soeben all ihre Sachen gepackt. Singleleben adé: Morgen wird sie zu ihrem Freund zu ziehen. Der ist Arzt und wegen einer wichtigen Tagung nicht in Paris. Laure will den Abend mit Freunden verbringen. Auf dem Weg dahin bleibt sie im Stau stecken. Ein fremder Mann klopft an ihr Autofenster, und bittet sie, ihn ein Stückchen mitzunehmen. Es dauert nicht lang, und Laure ist von den Gerüchen des Mannes "Tabak, Leder und Rasierwasser" wie hypnotisiert. Verwirrt fiebert sie darauf, diese eine letzte Nacht vor Beginn ihres neuen Lebens mit dem Unbekannten zu verbringen. Aber der Mann steigt aus. Laure parkt kurzentschlossen eine Straße weiter, wühlt aus einer der Umzugskisten den roten Rock hervor, zieht ihn an. Und macht sich auf die Suche nach dem begehrten Mann.
"Das Thema, das mich am meisten interessiert", kommentiert sie den Plot, "ist das Begehren, nicht die Liebe, auch nicht die Erotik. Es ist: Warum begehrt man jemanden, es ist dermaßen unerklärlich und von so vielen Dingen abhänigig. Warum begehre ich einen Mann, der Ihnen gar nicht auffällt. Das Begehren funktioniert nach Kriterien, die nicht greifbar sind. Wie z.B. dem Gang von jemandem, seinen Haaren, seinem Geruch. Das ist doch sehr befremdlich. Die Liebe kann man immer noch irgendwie erklären, aber das Begehren ist total unerklärlich. Es ist geheimnisvoll."
Vielleicht wechseln deshalb Frederic und Laure aus "Der rote Rock" nur zehn Sätze miteinander. Emmanuele Bernheim mißtraut offenbar der Sprache da, wo sie Gefühle zumüllen würde. Wo sie falschspielt. Sprache dient, wenn´s schlecht kommt, als Tranquillizer. Es wird zu viel geredet."
Emmanuele Bernheim findet Worte für wunderbare Momente, Momente unverstellten Staunens:
"Es gibt eine Sprache, die mir gar nicht gefällt. Die manirierte Sprache, die keine Gefühle hinterläßt. Simenon, den ich sehr bewundere, war ein Meister der Sprache. Wenn bei Simenon steht "es regnet", dann fühlt man sich nass. Ich weiß nicht wie er das schaffte, er hat die Macht, Worte wirken zu lassen. Und es gibt eben andere Autoren, die können 18 Seiten lang schreiben, wie sehr es regnet, aber man hat das Gefühl, absolut auf dem Trockenen zu sitzen. Das ist ein abstrakter Regen, obwohl er beschrieben beschrieben beschrieben wird. Mit diesen verschnörkelten Adjektiven, die alles aufblähen. Übrigens sagte Simenon sehr richtig: Wenn mir ein schönes Wort einfällt, verbiete ich es mir. Simenon hatte was gegen einfache Lösungen.
Das Auge der Autorin hängt wie ein Kameraauge immer mitten in der Szene. Sie schildert Bilder - in Nahaufnahme. Und das macht das Buch auch einerseits so ernst und kompromißlos und andererseits so eingängig. Worte verwandeln sich in Bilder, Sätze in Szenen, und das Buch wird zum Film. Tatsächlich ist Emmanuele Bernheim gerade dabei, ihren letzten Roman fürs Kino fertigzumachen. Vom Handwerk her kein Problem, denn sie arbeitet im Brotberuf als Drehbuchautorin fürs Fernsehen. Aber ein paar Details werfen noch Probleme auf: Wie den Zuschauern vermitteln, welche Gerüche Laure betören? Wie die ganzen seelischen Bewegungen der Figuren bebildern?
"Der rote Rock" ist ein Beweis dafür, daß ein Buch die Fähigkeit haben kann, audiovisuelle Medien überflüssig zu machen. Man liest, kramt dabei den Geruch von Männern in Lederjacken aus der Erinnerung hervor; genauso wie Bilder von weißen durchgefrorenen Händen. Angst, Flucht, Begehren - soweit der Leser solche Gefühle schon mal erlebt hat, wird er sie aktivieren. Und die eine Stunde mit dem "roten Rock", gelesen an einem warmen Sommerabend auf dem Balkon: es wird schwer sein, sie mit einem Kinofilm zu übertreffen.