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Der Ruf nach Freiheit in der Kunst

In der Galerie Forum Factory in Kreuzberg kuratieren syrische Künstler eine Ausstellung zur Lage in ihrem Land. Sie zeigen Fotos, Gemälde und Videos - die engagierte Gegenwartskunst Syriens hat viele Gesichter. Viele der Künstler wollen aus Angst vor den Geheimdiensten anonym bleiben.

Von Werner Bloch | 08.08.2012
    Der Ruf nach Freiheit – er war zuerst auf den Straßen von Homs, Hama und Damaskus zu hören. Nun dringt dieser Ruf in anderer Form auch zu uns – durch die Kunst. Der Groove dieser Revolution – er ist jetzt auch in Berlin spürbar, in einer großzügigen, lichtdurchfluteten Galerie, der Forum Factory in Kreuzberg. Das gab es noch nie: eine Ausstellung syrischer Künstler, nicht von Galeristen, Museumsleuten oder Eventmanagern kuratiert, sondern von den Künstlern selbst. Im Zentrum der erst 24-jährige Ahmed Ramadan, der vor eineinhalb Jahren unter dramatischen Umständen nach Deutschland kam. Er wurde gleich zu Beginn der Rebellion, zusammen mit seiner deutschen Ehefrau Judith Ramadan, vom syrischen Geheimdienst gekidnappt:

    "Dann wurden wir nach Damaskus gebracht, um dort dann ins Geheimdienstgefängnis zu kommen. In diesem Zimmer, wo ich gewartet habe, habe ich dann die ersten Instrumente gesehen, nämlich die Kabel, die ineinander verschlungen waren, die halt auch zum Foltern genommen wurden. Dann wurden wir in Einzelzellen gebracht, ich hatte Birkenstockschuhe an, die Zelle war elf mal zwölf Birkenschuhlängen, und da hab ich wirklich Schiss bekommen. Nach einer Weile hab ich gemerkt, dass die braunen Flecken an der Wand Blutflecken von ehemaligen Gefangenen waren."

    Für Ahmed Ramadan ist dieses Erlebnis immer noch einschneidend und bestimmt seine Kunst. Er malt mit Tinte, Acryl- und Ölfarbe abstrakte Bilder mit grauen, schwarzen und rostfarbenen Strichen und Spritzern vor großen weißen Flächen.
    "Dieses Werk handelt von der Nacht, die ich im Gefängnis des Geheimdienstes verbracht habe. Ich wollte mit diesem Bild meine Gefühle ausdrücken. Etwas, das wie eine Explosion aussieht. Dass man die Angst fühlen kann. Die weißen Flächen stehen für die Leere und Ohnmacht dieses Moments. Man hat mit eine Tüte über den Kopf gestülpt. Da wurde ich fast verrückt, weil ich nicht wusste, wo es hingeht. Ich habe meine Schritte gezählt und so versucht, mich zu orientieren. Aber ich dachte: Jetzt ist alles vorbei."

    Syriens engagierte Gegenwartskunst – sie hat viele Gesichter. Da gibt es fantastische Fotos von Demonstrationen, die die Tänze und die Energie dieser Tage einfangen, Menschen, die sich zu konzentrischen Kreisen auf der Straße formieren. Kunstfotos sind das, kein Fotojournalismus und keine dokumentarischen Schnappschüsse.

    Der Maler Ali Kaaf brennt in eine Kopfform, die einer afrikanischen Maske ähnelt weiße Löcher – Spuren von Verlust, aber, so sagt er, er habe auch die Hoffnung, dass hinter den Leerstellen etwas Neues entstehen könnte. Eine Gruppe junger Fotografen, "Lens Young Homsi", geht der bizarren Poesie der Trümmer nach, ihrer Absurdität: eine gefundenen Spielzeugente auf einem Schutthaufen, oder ein Kind, das vor einer eingeschlagenen Rakete wie vor einem Spielzeug kniet. Von Berlin aus arbeitet auch eine Facebookgruppe, die sich "Syrian People know their way" nennt – Blogger, Designer, Aktivisten, die auf der Ars Electronica in Linz mit dem begehrten Nica-Award ausgezeichnet wurden.

    Eine der Waffen der Opposition ist dabei die Ironie, der Witz, die Satire gegen Bashar al-Assad. Syrer beweisen einen ausgeprägten schwarzen Humor, zum Beispiel die Karabetttruppe "Der syrische Bär", die in Berlin lebt. Eines der Lieder heißt: Mein Name ist Regime.

    "Der syrische Bär ist in Syrien ausgestorben. Aber er lebt – und der Zufall will, dass Assad, der Name des Präsidenten, Löwe heißt. Und Bär gegen Löwe – da werden wir sehen."
    Manche dieser Kunstwerke sind unter Lebensgefahr entstanden, der Geheimdienst ist immer noch mächtig und kann zuschlagen, sowohl in Syrien als auch in Europa. Deshalb wollen viele Künstler anonym bleiben, sie wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen oder im Radio hören. Das Risiko ist groß – nicht nur für die Künstler in Berlin, sondern vor allem für deren Familien zu Hause.