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Der Russe ist einer, der Birken liebt

Mit Klischees biegen sich Menschen ihre komplexe Umwelt zurecht. Das Schubladendenken macht vieles einfacher – meist zu einfach. Der Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" beschreibt das Wesen dieses Denkens. Am Berliner Gorki-Theater kommt er in der neuen Spielzeit auf die Bühne.

Von Oliver Kranz |
    "Das hier ist ein Eröffnungssong, wenn er vorbei ist, fängt das Stück an."

    Was Dmitrij Schaad als Gitarre spielender Erzähler mitzuteilen hat, scheint kaum der Rede wert zu sein - bis einem nach 30 Sekunden die erste böse Pointe um die Ohren fliegt.

    "Bitte fotografieren Sie nicht während emotionalen Stellen - in Deutschland wurden Menschen schon für weniger umgebracht."

    Wenn betroffene Zuschauer zusammenzucken, fängt für die israelische Regisseurin Yael Ronen der Spaß erst richtig an. Im Zentrum dieses Stückes steht Mascha, die mit ihren Eltern aus Aserbaidschan nach Deutschland gekommen ist.

    "Das Interessante an ihr ist, dass sie sich so wurzellos fühlt. Sie sagt: Ihr Zuhause sei dort, wo es Pogrome gibt. Sie ist zwar Jüdin, aber nicht religiös. Was sie geprägt hat, sind die Grausamkeiten, die sie als Kind während des Krieges um Bergkarabach miterlebt hat. Sie musste ihre Heimat verlassen. Daher hat sie das Gefühl, dass nichts im Leben sicher ist. Der Boden unter ihren Füßen scheint nicht fest zu sein."

    Und dieses Trauma hat Yael Ronen zum Thema der Inszenierung gemacht. Sie erzählt von Maschas Liebe zu Elias, einem jungen Deutschen, der alles mit ihr teilen möchte. Doch Mascha traut sich nicht. Sie glaubt, Elias würde sie verlassen, wenn er herausfände, wie sie wirklich ist. Auf der Bühne liegt eine riesige gefällte Birke.

    "So spielen wir auf den Titel des Buches an: "Der Russe ist einer, der Birken liebt". Das ist ein Zitat aus dem Stück "Drei Schwestern" von Tschechow. Es macht aber auch klar, dass Menschen wegen ihrer Herkunft in Schubkästen eingeordnet werden."

    Und diese Vorurteile kommen auch direkt zur Sprache. Als Mascha von Elias als Jüdin vorgestellt wird, bekommt sie einen Wutanfall.

    "Du bist der einzige, der hier so tut, als ob ich Jüdin wäre."

    "Ihre Mutter ist Jüdin. Also nach jüdischem Gesetz ist sie Jüdin."

    "Dann ist er aber mit mir zusammen aus Rache an seinem Neonazi-Vater …"

    "Neonazi? Ich glaube, es hakt. Wieso bin ich jetzt hier der Neonazi?"

    Die Etiketten sind so schnell bei der Hand, dass fast jeder eines abbekommt. Maschas bester Freund Sami ist der Araber, ihr Kumpel Cem der schwule Moslem. Er versucht, es als Witz zu nehmen, aber es ärgert ihn doch. Im Verlauf des Spiels werden hinter den Klischees die Menschen sichtbar.

    "Man sieht Mascha nicht als Jüdin, sondern als junges Mädchen, das ganz individuelle Probleme hat. Elias Vater ist kein Neonazi, sondern ein Mann, der um seinen Sohn trauert. Hinter jedem Klischee steckt ein Mensch mit seiner Geschichte."

    Yael Ronen konzentriert sich in ihrer Inszenierung auf den Teil des Buches, der in Deutschland spielt. Mascha liebt Elias, betrügt ihn und verliert ihn durch einen tragischen Unfall. Der zweite Teil der Geschichte, in dem Mascha nach Israel reist und in den israelisch-arabischen Konflikt hineingezogen wird, fällt fast völlig unter den Tisch. Das ist schade, weil die Figur so viel von ihrer Komplexität verliert. Doch es bleibt auch viel übrig. Mascha bleibt auch auf dem Theater eine vielschichtige und rätselhafte Frau, die am Ende zu dem Schluss kommt, dass man nichts im Leben festhalten kann.

    "Ein einziger Moment reicht, um alles zu zerstören - eine Familie oder ein Dorf auszurotten, einen Krieg zu beginnen, ein Weltreich zu stürzen. Was ist von Elias geblieben? Ein Fußballtrikot, eine Kiste, eine Kamera und ein paar Fotos."

    Während Mascha diese Sätze in einen Telefonhörer spricht, wird sie von einer Frau sozusagen verschlungen - mit den Augen. Mascha ist nach Israel ausgewandert und hat dort eine neue Liebe gefunden. Ist es nur das, was zählt? Der Schluss, den Yael Ronen der Theateraufführung gibt, ist weniger spannend, als der des Romans. Der Nahostkonflikt bleibt außen vor. Ist das das postmigrantische Theater, das das Berliner Gorki-Theater ab jetzt anbieten wird? Ein Begriff im Übrigen, über den sich Mascha, die Romanheldin, vehement lustig macht. So auch Yael Ronen:

    "Ich denke nicht in diesen Begriffen – postmigrantisch oder nicht-postmigrantisch, das ist doch völlig egal. Wichtig ist, dass die Geschichte funktioniert und die Zuschauer berührt. Wenn das gelingt, ist die Aufführung gut, wenn nicht, ist sie schlecht. Wir wollen gutes Theater machen."

    Ob es gelingt, bleibt abzuwarten. Bei den Proben erreichte das Spiel noch nicht die Intensität, die es eigentlich braucht. Doch das kann bei der Premiere ja ganz anders sein.