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Der Salon der Henriette Herz
"Weil Religion im Kern nichts anderes ist als Kunst"

Friedrich Schleiermacher gehörte zu den Gründungsvätern der Berliner Universität. Der Theologe, Altphilologe und Philosoph war auch einer der bedeutendsten Kirchenpolitiker und Staatstheoretiker des 19. Jahrhunderts. Die Frühromantiker und der Salon der Henriette Herz hatten auf ihn einen ganz besonderen Einfluss.

Von Rüdiger Achenbach |
    Portrait in schwarz-weiß von Schleiermacher. Das Aufnahmedatum 1.1.1900 ist nur geschätzt.
    Friedrich Schleiermacher fand in dem berühmten Salon der Henriette Herz eine völlig neue Welt, in der er sich sehr wohl fühlte. (Imago / Leemage)
    "Der Glaube ist ein Geschenk der Gottheit, schreiben Sie mir. Ach, bester Vater, so bitten Sie Gott, dass er ihn mir schenke", schreibt der achtzehnjährige Friedrich Schleiermacher im Januar 1787 an seinen Vater. Leicht ist es ihm nicht gefallen, diesen Brief zu schrieben. Denn er weiß, dass der Vater wenig Verständnis für seine Probleme haben wird.
    Gottlieb Schleiermacher ist ein preußischer Militärgeistlicher, der seinen Sohn gerade auch deshalb zur Erziehung und Ausbildung zu der Herrnhuter Brüdergemeine geschickt hatte, um ihn von modernen theologischen Vorstellungen an vielen Universitäten fernzuhalten. Gottlieb Schleiermacher hatte auch für sich selbst die pietistische Frömmigkeit nach den Vorstellungen der Herrnhuter Brüdergemeine schätzen gelernt. Mit dieser Erfahrung sollten auch seine Kinder aufwachsen. Sein ältester Sohn, der am 21. November 1768 geborene Friedrich, war schon mit 14 Jahren in die Obhut der Herrnhuter gegeben worden. Zunächst hatte Friedrich das Pädagogium der Herrnhuter in Niesky besucht.
    Er scheint sich schnell in die Welt der Brüdergemeine eingelebt zu haben. Als nur wenige Wochen nach seiner Einschulung in Niesky plötzlich seine Mutter starb, schrieb er an seine ältere Schwester Charlotte, dass er nun zusätzlich darin bestärkt worden sei, die Führung durch die Brüdergemeine zu bejahen: "Ich bekam eine unerschütterliche Anhänglichkeit an die Brüdergemeine und hätte es für ein großes Unglück angesehen, kein Mitglied derselben zu werden."
    Religiöse Entwicklung von Gefühlsfrömmigkeit der Herrnhuter bestimmt
    Friedrichs religiöse Entwicklung war während dieser Zeit völlig von der Gefühlsfrömmigkeit der Herrnhuter bestimmt. Und so erlebte er das Pädagogium insgesamt als eine harmonische Zeit seiner Jugend. 1785 wechselte er dann an das theologische Seminar der Brüdergemeine nach Barby an der Elbe. Dazu Hermann Fischer, Professor für evangelische Theologie an der Universität Hamburg: "Was in Niesky als fördernd und hilfreich empfunden wurde, erlebt Schleiermacher nun, inzwischen beinahe 17 Jahre alt, als bedrängend und einschnürend. Das Seminar war quasi die Universität der Brüdergemeine; man studierte hier, um Lehrer und Geistlicher in der Brüdergemeine zu werden. Das war ursprünglich auch Schleiermachers Ziel. Aber die Erfahrungen in Barby drängen ihn in eine andere Richtung."
    Der Geist, der in diesem Seminar herrscht, bedrückt ihn. Ständig waren Aufseher gegenwärtig. Letztlich hielt er auch die Spannung zwischen der strengen christlich-pietistischen Erziehung und dem eigenen kritischen Denken auf die Dauer nicht mehr aus. Ulrich Barth, Professor für evangelische Theologie an der Luther -Universität Halle-Wittenberg: "Die Seminarzöglinge litten insbesondere an der geistigen Enge des frommen Ausbildungsbetriebs, dem Isoliert- und Abgeschnitten sein von allen fortschrittlichen Tendenzen zeitgenössischen Denkens, sei es auf dem Gebiet der schönen Literatur, der Philosophie oder der gerade zur Blüte gelangenden historischen Bibel- und Dogmenforschung. Heimlich trafen sie sich zur gemeinsamen Lektüre und gründeten einen "Philosophischen Club", worin sie Kants gerade erschienene Prolegomena diskutierten. Doch die Herrnhuter Lehrer unternahmen alles, den Kontakt mit kritisch-aufgeklärten Anfragen an das Christentum zu unterbinden."
    Als dann schließlich einige seiner engsten Freunde das Seminar der Herrnhuter Brüdergemeine verließen und es vorzogen an Universitäten zu studieren, wollte auch Schleiermacher nicht mehr in Barby bleiben. Deshalb hatte er sich ein Herz gefasst, um nach langer Zeit noch einmal an den Vater zu schreiben, der inzwischen eine zweite Ehe eingegangen war, aus der mehrere Halbgeschwister hervorgegangen waren. Seit Friedrich als Vierzehnjähriger zur Brüdergemeine geschickt worden war, hatte er den Vater nicht mehr wiedergesehen. Dennoch schien es ihm angebracht, ihn darüber zu informieren, dass er sich in einer persönlichen Krise befand: "Bester Vater, ich kann nicht glauben, dass der ewiger wahrer Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte, ich kann nicht glauben, dass sein Tod eine stellvertretende Versöhnung war, weil er es selbst nie ausdrücklich gesagt hat, und weil ich nicht glauben kann, dass sie nötig gewesen. Denn Gott kann die Menschen, die er offenbar nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind. Ach, bester Vater, es ist ein tiefer durchdringender Schmerz, den ich beim Schreiben dieses Briefes empfinde."
    Da er wusste, mit welchem Entsetzen der fromme Vater diese Zeilen lesen würde, macht er ihm gegenüber aber auch deutlich, dass er sich keineswegs von der christlichen Religion abgewendet habe. Vielmehr gehe es ihm darum, dass er gewisse Traditionen des Christentums wie etwa die Vorstellung der kirchlichen Versöhnungslehre nicht mehr akzeptieren könne. Grundsätzlich aber sei für ihn der Glaube an Gott unverzichtbar: "Ist es nicht ein Gott, der Sie, bester Vater, und mich erschaffen hat und erhält, und den wir beide verehren?" Nach einigem Zögern stimmt der Vater dann zu, dass sein Sohn Barby verlassen und Theologie an der Universität in Halle studieren durfte. Unter der Bedingung, dass er sich dort ganz unter die Aufsicht seines Onkels, Samuel Stubenrauch, des Bruders der verstorbenen Mutter, stellen sollte, der in Halle Rektor des reformierten Gymnasiums war.
    Prediger an der Berliner Charité
    Friedrich Schleiermacher studierte in Halle nicht nur Theologie, sondern wandte sich vor allem der Philosophie zu und beschäftigte sich hier besonders intensiv mit den Schriften Immanuel Kants. Nach seinem Ersten Theologischen Examen war er dann für einige Zeit Hauslehrer bei der Familie des Grafen von Dohna in Schlobitten in Ostpreußen. Nach dem zweiten Theologischen Examen, das er 1794 erfolgreich ablegte, wurde ihm nach kurzer Zeit als Aushilfsprediger das Amt des Predigers an der Charité in Berlin übertragen. Inzwischen war der Vater gestorben, mit dem er seit 16 Jahren nicht mehr zusammengetroffen war. Er notierte nun: "Er glaubte mich auf einem verderblichen Wege, er hielt mich für aufgeblasen und eitel, indes ich nur ganz einfältig meiner inneren Überzeugung gefolgt war. Ich tat nie etwas Besonderes, um ihn mir näher zu bringen."
    Während seiner Zeit als Prediger an der Berliner Charité eröffnete sich für Friedrich Schleiermacher eine völlig neue Welt. Graf Alexander zu Dohna, der älteste Sohn, der Schlossherr aus Schlobitten, bei dem Schleiermacher einst als Hauslehrer angestellt gewesen war, führte ihn in den damals berühmten Salon der Jüdin Henriette Herz ein, der Ehefrau des jüdischen Arztes Markus Herz. Hier trafen Adelige, Jungintellektuelle und Schöngeister unterschiedlichen Ranges zusammen, um über Kunst und aktuelle Fragen der Wissenschaften zu diskutieren. Zu diesem Kreis gehörten neben vielen anderen auch die Brüder von Humboldt, Rahel Varnhagen und Dorothea Veit, die Tochter von Moses Mendelsohn. Schleiermacher fühlte sich in dieser Umgebung der Frühromantiker sofort unter Gleichgesinnten. Gemeinsam mit Henriette Herz, mit der er sich besonders anfreundete, las er jetzt Platon und Spinoza. In Henriette Herz entdeckte Schleiermacher eine ihm verwandte Seele. An seine Schwester Charlotte schreibt er: "Es ist eine recht vertraute und herzliche Freundschaft, wobei von Mann und Frau aber gar nicht die Rede ist."
    Enge Freundschaft zu Henriette Herz und Friedrich Schlegel
    Doch nicht für alle waren diese Gesprächsrunden im Salon von Henriette Herz ein angemessener Ort für einen reformierten Prediger. Dazu Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Professor für evangelische Theologie an der Universität Saarbrücken: "Natürlich blieb auch den kirchlichen Oberen Schleiermachers reger Verkehr mit der Jüdin nicht unbekannt. Hofprediger Sack erwog schon eine Versetzung, um den jungen Geistlichen vor den Gefahren allzu freizügiger Geselligkeit zu bewahren."
    Von besonderer Bedeutung in dieser Zeit wurde dann die Begegnung Schleiermachers mit dem drei Jahre jüngeren Friedrich Schlegel, der sich selbst als eine Art Herold der Romantiker verstand. Gemeinsam mit seinem Freund Novalis war er auf der Suche nach einer neuen Form der Religion. Friedrich Schlegel schreibt dazu: "Die christliche Religion ist alt und kraftlos geworden, und die Kunst ist berufen, den religiösen Kern zu bewahren. Wahre Religion ist nicht eine uns von außen, von einem überweltlichen Gott zukommende Offenbarung. Die Kunst ist berufen die Religion zu retten, weil die Religion in ihrem Kern nichts anders ist als - Kunst. Was man mit Enthusiasmus, also mit Liebe will, das ist auch von Gott gewollt."
    Im Laufe der Zeit fühlten sich Friedrich Schlegel und Schleiermacher immer näher verbunden. 1797 ziehen beide zusammen, und es entwickelt sich eine enge Arbeitsgemeinschaft. Beide haben jetzt sogar die Absicht, gemeinsam das gesamte Werk Platons neu zu übersetzen. Friedrich Schlegel schreibt an seinen Bruder August Wilhelm, der an der Universität Jena Literatur lehrt: "Schleiermacher ist ein Mensch, in dem der Mensch gebildet ist. Ich hoffe, noch viel von ihm zu lernen. Sein ganzes Wesen ist moralisch. Unter dem Einfluss der Philosophie Kants hatte Schleiermacher die Religion fast noch strenger als Kant auf die Moral reduziert. Durch seinen romantischen Freundeskreis erhält er nun völlig neue Anregungen für das Verständnis der Religion. Dazu der Philosoph Rüdiger Safranski: "Schleiermacher, der sich bisher an den Begriffen der strengen Wissenschaft und der strengen Moral festgeklammert hat, öffnet sich für Erfahrungen, die weder in der Wissenschaft noch in der Moral und auch nicht in der dogmatischen Religion einen angemessenen Ausdruck finden."
    Im gesellig-geistvollen Kreis der Berliner Romantik
    Novalis gegenüber, der Bergbau-Ingenieur ist, bezeichnet Schleiermacher sich jetzt als jemand, der auf andere Weise das Innere der Berge erforsche. Abseits aller äußerlichen Nützlichkeitserwägungen entdeckt er nun im menschlichen Geist die religiöse Urteilskraft. Rüdiger Safranski: "Da es sich hier um Erfahrungen handelt, die eher in der Poesie, Musik und Malerei leben, kann man verstehen, warum sich Schleiermacher im gesellig-geistvollen Kreis der Berliner Romantik aufgerufen fühlt, nach dieser neuen Goldader zu graben. Er nennt sie Sinn und Geschmack fürs Unendliche." Als jemand, der besonders der Philosophie Kants verpflichtet ist, erhebt er jetzt den Anspruch, den drei menschlichen Vermögen - die Kant beschrieben hatte: theoretische Vernunft, praktische Vernunft und Urteilskraft - noch ein viertes menschliches Vermögen hinzuzufügen: die Urteilskraft der Religion.
    Und es ist vor allem das Verdienst Schlegels, dass sich Schleiermacher nun auch zu einer literarischen Arbeit angespornt sieht. Am Abend des 21. November 1797, an Schleiermachers 29. Geburtstag, schreibt er an seine Schwester Charlotte, nachdem er zuvor mit seinen Freunden gefeiert hatte: "Neunundzwanzig Jahre, und noch nichts gemacht! Damit konnte Friedrich Schlegel gar nicht aufhören. Ich musste ihm feierlich die Hand darauf geben, dass ich noch in diesem Jahr etwas Eigenes schreiben wollte - ein Versprechen, was mich schwer drückt, weil ich zur Schriftstellerei gar keine Neigung habe." Trotzdem will er das Versprechen einhalten, wenn auch mit einiger Verzögerung. Am 15. April 1799 morgens gegen 10 Uhr ist es dann soweit. Friedrich Schleiermacher schließt das Manuskript für sein Buch ab und bringt es zu seinem Verleger. Er ahnt nicht, dass ihn dieses Buch schlagartig zu einem berühmten Mann machen wird.