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Der schlanke Turm von Stanford

Physik. - Einsteins berühmte Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Schwerkraft. Doch Experten zweifeln an ihrer Stichhaltigkeit. Ein neues Experiment der Stanford Universität in Kalifornien stellt Einstein erneut auf die Probe.

Von Frank Grotelüschen |
    "Das Äquivalenzprinzip besagt, dass alle Körper gleich schnell zu Boden fallen – egal aus welchem Material sie sind."

    Das Äquivalenzprinzip, so der Physiker Mark Kasevich von der Stanford Universität, zählt zu den altehrwürdigsten Erkenntnissen der Physik. Etwa 400 Jahre ist es her, da wuchtete Galileo Galilei der Legende nach Kanonenkugeln und Schrotmunition vom schiefen Turm zu Pisa und beobachtete ihren Flug. Dabei soll dem Genie die entscheidende Erkenntnis gekommen sein: Jeder Gegenstand, unabhängig von Material und Größe, fällt im Grund gleich schnell zu Boden. Dass im Alltag eine Vogelfeder länger braucht als eine Glasmurmel, liegt einzig und allein am Luftwiderstand. Im luftleeren Raum, so lehrt das Äquivalenzprinzip, fliegt alles gleich schnell.

    Doch stimmt das Äquivalenzprinzip? Oder fallen, wenn man nur genau genug hinschaut, schwere Dinge letztlich doch schneller zu Boden als leichte? Eben dieser Frage geht Mark Kasevich auf den Grund – und zwar in seinem Labor an der kalifornischen Stanford Universität. Hier hat er einen ungewöhnlichen Versuch aufgebaut – eine Art High-Tech-Version des Schiefen Turms von Pisa.

    "Die Apparat ist ein Turm, er ist zehn Meter hoch. Es ist ein Edelstahlrohr, aus dem wir die Luft nahezu vollständig herauspumpen. Dann lassen wir von oben Atome herunterfallen. Unten im Turm sitzt ein Detektor, der die ankommenden Atome registriert."

    Also: Statt wie einst Galileo Galilei Kanonenkugeln und Schrot fallen zu lassen, nimmt Mark Kasevich in seinem Turm mikroskopisch kleine Wölkchen aus Atomen. Jedes Wölkchen besteht aus etwa einer Million Atomen und wird per Speziallaser auf Eiseskälte gekühlt – auf gerade mal ein Millionstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt.

    "Wir lassen verschiedene Sorten von Rubidiumatomen herunterfallen: Rubidium-85 und Rubidium-87. Das Entscheidende: Die beiden Sorten unterscheiden sich in ihrer Masse; Rubidium-87 ist ein wenig schwerer als Rubidium-85. Und sollten wir feststellen, dass die beiden Sorten tatsächlich unterschiedlich schnell fallen, hätten wir eine Verletzung des Äquivalenzprinzip festgestellt."

    Das Problem: Die Unterschiede, mit denen die Forscher rechnen, sind winzig. Sollte das Rubidium-87 tatsächlich schneller fliegen als Rubidium-85, würde sein Fall durch den Turm gerade mal eine Billiardstel Sekunde kürzer dauern – das jedenfalls können sich manche Theoretiker vorstellen. Um derart mickrige Unterschiede erfassen zu können, setzt Kasevich auf eine spezielle Messtechnik, Atominterferometer genannt. Es basiert darauf, dass sich ultrakalte Atome ähnlich verhalten wie Lichtwellen. Dadurch kann man mit ihnen extrem präzise messen – noch viel präziser als mit einem Laser.

    Im Moment testet Kasevich seinen atomaren Fallturm noch. Auf handfeste Ergebnisse hofft er in zwei Jahren. Dann könnten auch erste Resultate von "Microscope" vorliegen. So heißt ein französischer Kleinsatellit, der im nächsten Jahr starten und ebenfalls das Äquivalenzprinzip überprüfen soll. Und zwar hat er zwei Zylinder aus unterschiedlichen Materialien an Bord, deren Falleigenschaften er präzise beobachten will. Für Mark Kasevich ist diese Satellitenmission eine willkommene Konkurrenz.

    "Erst wenn verschiedene Methoden zum gleichen Ergebnis führen, kann man diesen Ergebnissen wirklich trauen und kann die anderen Wissenschaftler wirklich überzeugen. Und ein Zusammenbruch des Äquivalenzprinzip wäre eine derart große Sache in der Physik, dass man mit verschiedenen Methoden danach suchen sollte."

    Denn wenn das Äquivalenzprinzip nicht stimmt, wäre klar, dass eine der wichtigsten Theorien der Physik auf tönernen Füßen steht – Einsteins Allgemeine Relativität. Und dann müsste man über die Fundamente der Physik noch mal grundsätzlich nachdenken.