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Der schmutzige Daumen. Gesammelte Schriften

»Schreiben, was man vorher weiß, ist langweilig. Wenn Schreiben nicht ein Element Abenteuerlichkeit enthält, wenn es nicht heißt, auf Entdeckungsreise gehn in einem selber«.

Erika Dreiss |
    Dieser Satz ist durchaus programmatisch zu verstehen. Der sich derart über seine Arbeit äußert, pointiert und provozierend, ist der Autor Albrecht Fabri. Nie gehört ?! Dagegen sollten Sie entschieden etwas unternehmen. Albrecht Fabri (1911-1998) war zeitlebens ein Geheimtip. Was der minuziöse Wortartist und unbedingte Präzisonsfanatiker in seinen Schriften, die hier erstmals in gewissenhafter Edition versammelt sind, an wildverwegenen Manövern unternimmt, dem Funktionieren nicht allein der Dichtersprache auf den Grund zu kommen, ist famos. Da ist der Fallensteller: sprachbesessen wie nur einer, nimmt der Essayist und Kritiker, der Übersetzer, Aphoristiker und Lyriker das Medium Sprache noch im oberflächlichsten Gebrauch der selbstverständlichsten Begriffe so genau beim Wort, daß sich die Beute - hier das Wort »genau« - dem unverhofften Zugriff nicht entziehen kann:

    »Wir finden ... unter anderem, daß unser »genau« wurzelverwandt mit dem holländischen nauw ist, das soviel wie eng heißt. Darüber nachdenkend, fällt uns vielleicht noch die Redewendung »mit genauer Not« ein und daß in einigen deutschen Landschaften »genau« für »geizig« gebraucht wird; desgleichen werden wir uns früher oder später der Redewendung »peinlich genau« erinnern. ... Die Sprache gerät sozusagen in Bewegung... ; Sternbildern vergleichlich, zeichnen sich bestimmte Konfigurationen ab, und jede dieser Konfigurationen ist das Modell zu einem Gedanken.«

    Modelle, die der Autor bis in ihre letzte Konsequenz verfolgt. Ist nämlich Fabris Köder - wir sind immer noch beim Wort »genau« - erst einmal ausgeworfen, so ergibt der Sprachgebrauch ein wahres Schleppnetz an Beziehungen:

    »Das Gegenteil von »genau« ist ja wohl »ungefähr«; ... wir finden, daß »ungefähr« ursprünglich soviel wie »ohne böse Absicht« heißt. Die Sprache legt also nicht nur eine Beziehung zwischen Genauigkeit und Not, sondern auch eine solche zwischen Genauigkeit und Bosheit nahe."

    Damit nicht genug, nimmt Fabri, kammerjägergleich, die Ränder der Begriffe, ihre lausige Beschaffenheit im Schluderton der Alltagsrede ins Visier:

    »Das Ungefähre ist das Risikolose: zu Genauigkeit gehört Mut. ... Das Verschwommene, Undeutliche, Unbestimmte einer Sache zu bezeichnen, verwendet der Franzose das Adjektiv »lâche«, feige; Kontur setzt das Bestehen einer Gefahr, also Wagnis voraus.«

    »Die Sprache denkt für Sie ...« heißt jener Text, dem die Zitate über unser Beispielwort »genau« entnommen wurden. Und es ist denn auch die Sprache selber, die Subjekt - nicht Objekt - der so spannenden wie skrupulösen Prosa Albrecht Fabris. Ein Kritiker im wörtlichen Verstande, - »diakrinein« heißt im Griechischen »durchdringen, unterscheiden« -, fokussiert der Sprachartist, Sprachphilosoph, indem er jeglicher Gedankenlosigkeit beim Reden vehement Paroli bietet, die Aktionen, Finten, Eskamotagen seines Materials, der Wörter; deren Konfusion sei nämlich, so betont der Autor mit Konfuzius, eine Frage der Moral. Wo Sprache fehlgeht, könne auch die Sache, die sie meint, nicht stimmen; erst wer Zeichen und Bezeichnetes zur Deckung brächte, könne hoffen, unsre Welt ein Stückchen lobenswerter zu gestalten. Dieser Zauberkünstier von Passion und Profession, der Wort und Sinn zur Kongruenz zwingt, ist der Dichter. Wobei Zauberkünstler kaum auf Zustimmung des Autors stieße; Fabri nennt ihn bodenständig nur »den Mann mit der blauen Schürze«. Poesie als Handw darauf hatte bereits Gottfried Benn verwiesen: »Ein Gedicht«, so dekretierte Benn, »entsteht nicht; ein Gedicht wird [je] gemacht. Umso erstaunlicher, daß es für Schriftsteller, im Unterschied zu Malern oder Komponisten, keine Schulen gibt. Erstaunlicher? Nur konsequenter, wenn wir Fabri glauben, denn »was und worin sollte auf ihnen unterrichtet werden ?«

    Das »sich der Sprache bedienen« jedenfall zuletzt:

    »Gerade das tut der Schriftsteller nie: schon darum nicht, weil Sprache für ihn nichts Gegebenes ist, sondern das von Fall zu Fall erst zu Gewinnende. Er hat sie nicht, er ist unterwegs zu ihr: eben darauf beruht, was man seine Sprachkraft nennt.-«

    Eins in die Fresse der kommoden Haltung, Kunst sei jene Schöpfung aus dem hohlen Bauch, die der »Quacksalber«, der die »Not der Zeit« in Versen oder Prosa zu »Problemen« mundgerecht verwurstet,vom besinnlich populären Wasserkopf auf die notorisch nihilistisch titulierten Füße stellt. Denn Nihilismus ist in den Schriften dieses spätgebornen Mystikers Programm. Ein Paradox ? Versteht sich. Paradox sind für Fabri das Ferment der Rede. Sprich der Schlüssel, sich der Dinge so zu vergewissern, daß ihr Äußerliches, ihre Form den Kern der Sache ganz und gar enthüllte:

    »Der merkwürdige Wunsch, dahinterzukommen ...Als ob es nicht das genaue Gegenteil ginge Entweder ist die Sache selber der Sinn, oder ihr Sinn liegt außerhalb ihrer, und dann hat sie keinen.«

    Quod erat demonstrandum. Albrecht Fabris Geistesblitze sind von einer Art, die dem verblüfften Leser messerscharf erhellen, wie die mähliche Verfertigung der - vorher nicht vorhandenen - Gedanken beim Geschäft des Schreibens respektive Denkens sich ex nihilo in »Syntax, Kadenz, Rhythmus« ausdrückt. »Wirklichkeitsdurchstoßung« nennt der Autor diesen Zug der Sprachkritik ins Zentrum jener Weiterhellung, der die gängige »Philosophie als schlechte Angewohnheit« denunziert. Der Philosoph, beim mäßigen Versuch, in hoffnungslos verquasten Sätzen nach der Transzendenz zu haschen, stochert mit Gemeinplatzstangen in den Nebelbänken des Obskuren, wo der Dichter jederzeit kraft seiner Ausdruckspräzision die Dinge auf den Punkt bringt:

    »Die Transcendenz des Dichters hat nichts mit Glauben oder Unglauben zu tun, sie ist eine strikte Funktion der Form«.

    Man könnte diese obsessive Sprachlust Albrecht Fabris Formalismus nennen. Doch es scheint die Sprachvernunft höchstselbst zu sein, die dieser Prosa hinterrücks die Feder führt. »Le style, c'est l'homme« befand bereits Buffon, der solcher Sprachlist ebenso vertraute wie sein Nachfahr Fabri. Dessen Schriften sind ein Glücksfall. Dieser Mann hat ungeheuer viel zu sagen.