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Der Schriftsteller Amos Oz als Bühnenautor und ein kleines Theaterwunder in Halle

Schon das Buch war seinerzeit dramatisch angelegt - obwohl es ein Roman war, eine epische Gattung also. Sieben Israelis ließ Amos Oz in seinem Buch "Allein das Meer" abwechselnd von ihren Versuchen erzählen, ein gelungenes Leben zu führen - was immer das für jeden Einzelnen heißen mag. In Monologen, in Dialogen und in imaginären Zwiegesprächen fand diese Auseinandersetzung statt, und eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, wann ein Regisseur diesen Stoff mit Schauspielern tatsächlich auf eine Bühne bringen würde. Das Neue Theater Halle und Amos Oz haben nun den holländischen Autor Paul Binnerts mit einer Bühnenfassung beauftragt, die gestern Abend Premiere hatte - unter der Regie von Binnerts selbst.

Von Hartmut Krug |
    Es beginnt mit Arbeitslicht auf einer Bühne, die nicht Realität nachzubilden sucht, sondern eine Landschaft für Theaterspiel und Gedanken über das Leben ist. Die Schauspieler finden sich am langen Teetisch zusammen, mustern, während sie sich vorbereiten, das Publikum und werden von diesem selbst gemustert. Vier hintereinander gestaffelte Steinbrocken, dahinter ein sich drehender, schräg hochragender rostgoldener Quader, dazu viele zusammengestellte Stühle und ein Musiker an seinem Computer: das ist die Szenerie für das kunstvoll einfache Erzähltheater, zu dem der holländische Autor und Regisseur Paul Binnerts den Roman "Allein das Meer" von Paul Oz eingerichtet hat. Binnerts hat vor Jahren bereits mit großem Erfolg eine eigene Bühnenadaption von Amoz Oz´ Briefroman "Black Box" inszeniert.

    Die Erzählweise, die Amos Oz für seinen Roman "Allein das Meer" gewählt hat, könnte man als minimalistisch bezeichnen. Erst wird die Hauptfigur vorgestellt, der "sanfte Steuerberater" Albert, der seine krebskranke Frau verloren hat, dann tritt der Autor selbst als kontrollierender und reflektierender Erzähler eines von ihm in kurze Kapitel portionierten Geschehens auf. Es gibt keinen episch breiten Erzählstrom, sondern Alltagslyrik und realistischer Stil, Alltagsprosa und Bewusstseinströme fließen neben- und ineinander, und die sieben Menschen, die von ihrer individuellen Glückssuche aus unterschiedlichen Perspektiven berichten, finden sich zu immer neuen, meist Dreieckskonstellationen zusammen. Es ist ein stiller, und doch ereignisreicher Roman, - trotz fehlender großer äußerer Ereignisse. Nach dem Tod seiner Mutter lässt der Sohn seinen Vater und seine Freundin Dita in Bat Yam bei Tel Aviv zurück, um im Himalaya zu sich selbst zu finden, Dita zieht bei seinem Vater ein, was zu emotionalen Verwicklungen führt, ein Filmproduzent scheint mehr an ihr als an ihrem Drehbuch interessiert, und der Sohn Rico lernt in der Ferne eine sich ihre Lebensreise mit dem Körper verdienende Frau kennen.

    Dass und wie Paul Binnerts mit dem hier in wunderbarer Zurückhaltung brillierenden Ensemble des Neuen Theaters Halle diesen so untheatralisch scheinenden Roman auf die Bühne gebracht hat, ist ein kleines, feines Theaterwunder. Binnerts hat den mäandernden Erzählstrom in 34 Szenen komprimiert. Die Geschichten überschneiden, kommentieren, kreuzen und verweben sich in einer zugleich unspektakulären wie eindringlichen Inszenierung zur dramatischen Erzählung von den einfachen Problemen des Lebens. Der Zuschauer hat nie das Gefühl, etwas erklärt oder vorgeführt zu bekommen, und doch erfährt er sehr viel. Ständig wechseln Zeit und Raum, aber die Szenerie bleibt gleich. Dabei sind alle Figuren die gesamte Zeit auf der Bühne. Sie stehen verteilt oder in einer Reihe, treten zu Paaren oder Gruppen zueinander oder finden sich zu kleinen, erzählenden Spielsituationen zusammen. Das ist ein eigen-artiges Erzähltheater von stiller Genauigkeit, innerer Wahrhaftigkeit und sensibler Komik. Im Spiel der Erinnerungen und Reflektionen sind alle beieinander und reden miteinander, auch die Verstorbene und der ferne Sohn, selbst der nachdenkliche Autor. Eine der Personen bringt es auf den Punkt: "Es ist wie in einem Stück von Tschechow. Geldprobleme, und alle rennen der verkehrten Person hinterher, Leidenschaft, aber kein Rückgrat, es passiert eine Menge, aber verändern tut sich nichts." Indem die Schauspieler nicht versuchen, theatrale Als-Ob-Situationen zu gestalten, sondern spielerisch erzählen und dabei Haltungen und Handlungen zugleich vor- wie ausstellen, verzaubern sie ihr Publikum mit diesem kleinen, aber so großartigen Theaterabend in Halle.