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Der Schurke aus Crawford

Am 20. Januar wird George W. Bush die Riege der Ex-US-Präsidenten verstärken. Die politische Aufarbeitung der Ära Bush Junior hat unterdessen längst begonnen. Dutzende von Büchern konkurrieren in dieser Sache um Leser. Vincent Bugliosi aber geht einen Schritt weiter als alle anderen Analytiker der Bush-Regierung. Er, der renommierte Strafverteidiger, will George W. Bush vor Gericht stellen. Wegen Mordes. Klaus Jürgen Haller hat die von Bugliosi aufgebaute Indizienkette geprüft.

15.09.2008
    Wer all die Bücher lesen will, die in den Vereinigten Staaten inzwischen über den unseligen Krieg im Irak erschienen sind, dürfte für Monate ausgelastet sein. Sie füllen mehrere Regale. Zusammengenommen lesen sie sich wie die Enzyklopädie der Inkompetenz der Administration des George W. Bush. Und zudem markieren sie die überfällige Selbstkorrektur des patriotischen Überschwangs der unmittelbaren Kriegsberichterstattung. Die meisten Autoren sind Journalisten, erzogen in der Tradition des "objective reporting"; das heißt sie beschreiben Fakten und Zusammenhänge, ohne zu werten oder abzuwerten. Die Wirkung ist umso stärker.

    Vincent Bugliosis "Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush" ist von anderem Kaliber. Der Autor, ein Staatsanwalt im Ruhestand, verzichtet auf die journalistische Distanz und nennt Bush ein ums andere Mal einen Drückeberger und arroganten Schnösel, einen gefühllosen Dandy, den Schurken aus Crawford, einen moralisch zurückgebliebenen und charakterlosen Mann, einen faulen und überdies verantwortungslosen Menschen, der im Gegensatz zu Cheney von nichts Ahnung habe und entschlossen sei, seinen Horizont nicht zu erweitern. Präsidentenberater Karl Rove ist ein boshafter politischer Verbrecher und die vormalige Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice die ranghöchste Hofschranze. Bugliosi beschreibt nicht; er plädiert dafür, George Bush des tausendfachen Mordes anzuklagen.

    "Ich bin überzeugt, als George Bush diese Nation in den Krieg führte - wissentlich und absichtlich unter falschem Vorwand, und 4000 junge amerikanische Soldaten ihr Leben verloren, vom rechtlichen Standpunkt waren diese 4000 Toten Mord."
    Zudem gehe es nicht nur um die gefallenen amerikanischen Soldaten; über 100.000 Iraker seien ums Leben gekommen.

    "Ich spreche von Kindern, sogar Babys, die schrecklich gewaltsame Tode starben und nun in kalten Gräber liegen, wegen dieses Mannes."
    "Wenn Amerika wieder die große Nation sein will, die es einst war, muss es alsbald die Verantwortlichen für den Irakkrieg vor Gericht stellen", schreibt Bugliosi und räumt ein, dass seine Wut angesichts des Irakkrieges auf jeder Seite zu spüren ist. Aber genau das bringt ihn um einen Teil der Wirkung. Der Titel des Buches und die inzwischen übliche Internet-Propaganda haben Bugliosis Mordanklage in Amerika zum Bestseller gemacht; aber keine der großen Zeitungen hat dieses Buch besprechen wollen. Was über die Maßen merkwürdig ist.

    Schließlich ist der Autor ein respektabler Jurist, der bereits einige erfolgreiche Bücher geschrieben hat, über Kennedys Ermordung, über den O.J. Simpson Prozess und über den Mordprozess gegen Charles Manson, in dem er die Anklage vertrat. Bugliosi zufolge könnte George W. Buch nach Bundesrecht aber auch nach dem Recht eines Bundesstaates zumindest wegen Totschlags angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Das wäre besser als nichts, schreibt er; aber doch nur eine Notlösung. Nur eine Verurteilung wegen Mordes könne zum Todesurteil führen; also plädiert er auf Mord. Und ahnt wahrscheinlich, dass es zu einem solchen Verfahren nie kommen wird. Bugliosis Auftritt vor dem Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses im Juli diesen Jahres hinterließ keinen bleibenden Eindruck; genau so wenig wie der Versuch des demokratischen Abgeordneten Dennis Kucinich, gegen Präsident Bush und Vizepräsident Cheney Amtsenthebungsverfahren anzustrengen. Hier winkten führende Demokraten ab, die sich auf ein solches Unternehmen nicht einlassen wollen; Bushs Amtszeit endet ohnehin am 20. Januar.

    Einen Staatsanwalt brauchte das nicht zu beeinflussen und die Leser natürlich auch nicht. Die Fakten, auf die sich Bugliosi stützt, sind bekannt und hinreichend beschrieben. Neu ist allenfalls die These, dass diese Fakten für eine Mordanklage ausreichen. Auf eine Art staatlicher Notwehr könne Bush sich nicht berufen, da von Saddam Hussein nie eine unmittelbare Gefahr für die Vereinigten Staaten ausgegangen sei, auch wenn Bush das Gegenteil behauptet habe.

    "Ich habe den Beweis, dass George Bush, als er der Nation am 7. Oktober 2001 erklärte, Saddam Hussein sei eine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit dieses Landes, Millionen arglosen Amerikanern das genaue Gegenteil von dem erzählte, was die CIA sechs Tage zuvor, am 1. Oktober, berichtet hatte, dass Hussein keine unmittelbare Bedrohung darstelle. Nicht die Behauptung, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge, ist der zentrale Punkt, sondern die, dass er eine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit der Vereinigten Staaten darstelle. Die 16 amerikanischen Geheimdienste vermuteten, Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen und sagten trotzdem, er stelle keine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit des Landes dar. "
    Dass der Kongress den Irakkrieg mit großer Mehrheit autorisierte, sei wegen der gezielten Desinformation null und nichtig. Die zweite Unwahrheit: Vertreter der Administration erweckten den Eindruck, dass Saddam Hussein mit dem Terroranschlag des 11. September und der Terrororganisation El Kaida zu tun habe, auch wenn sie das nie direkt behauptete.
    In diesem Punkt ist die Entwicklung inzwischen über Bugliosi hinausgegangen. Ron Suskind, ein angesehener Journalist, behauptet in seinem jüngsten Buch "The Way of the World", das Weiße Haus habe einen gefälschten zurückdatierten Brief des irakischen Geheimdienstchefs an Saddam Hussein in Auftrag gegeben, dass Mohammed Atta, der Anführer der Attentäter des 11. September, im Irak trainiert habe. Das Weiße Haus hat diese Behauptung als absurd zurückgewiesen. Vielleicht geht die Geschichte doch noch weiter und das entscheidende Buch ist noch gar nicht geschrieben.

    Klaus Jürgen Haller war das über das Buch: Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush. Es ist bei Dtv erschienen, hat 416 Seiten und kostet 16,90 Euro.