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Der Schweizer und sein Schießgewehr

Der Eidgenosse und sein Schießgewehr - diese Beziehung ist höchst emotionsgeladen, was sich schon im Vorfeld des geplanten Referendums über Armeewaffen in Privatbesitz wieder zeigt.

Von Pascal Lechler | 19.01.2011
    Nein wir sind nicht in Afghanistan. Wir sind mitten in Europa auf einem Schießplatz in einem Vorort von Genf. Es gibt unzählige dieser Plätze zwischen Basel im Norden und Lugano im Süden. 200.000 Schweizer Sportschützen üben hier - Urban Hüppi ist einer von ihnen. Er versteht es nicht, warum das Waffenrecht in der Schweiz nun eingeschränkt werden soll.

    "Die Waffe gehört zum Schweizer."

    Jeder 18-Jährige kann sich eine Pistole kaufen. Die Schweiz hat eine Milizarmee. Nach dem aktiven Wehrdienst nehmen die Männer ihr Gewehr mit nach Hause. Nur die Munition wird seit Oktober 2007 im Zeughaus aufbewahrt. Dort soll jetzt auch das Sturmgewehr hin, geht es nach der Initiative Schutz vor Waffengewalt. Über diese Initiative stimmen die Eidgenossen Mitte Februar ab. Bislang galt die Devise aus dem Kalten Krieg: Die Waffe muss stets griffbereit unterm Bett liegen, der Eidgenosse muss immer in der Lage sein, die geliebte Heimat zu verteidigen. Das sogenannte Sturmgewehr 90 steht in über 800.000 Schweizer Haushalten. Da soll es auch bleiben, so will es Bruno Frick von der Christlichen Volkspartei CVP.

    "Die Heimabgabe der Waffe ist auch ein Vertrauensbeweis der freiheitlichen Schweiz. Wir trauen dem Bürger zu, dass er eine Waffe verantwortungsvoll zu Hause haben darf."

    In der Schweiz gibt es im Verhältnis zur Bevölkerung mehr tödliche Ehe- und Familiendramen als in Amerika. In keinem Land Europas bringen sich so viele Menschen mit einer Schusswaffe um wie in der Schweiz. Allerdings sank in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Toten, die in der Schweiz durch Schusswaffe umkamen. Tanja Vollenweider verlor vor vier Jahren ihren Mann. Er nahm sich wegen beruflicher Probleme das Leben.

    "Es war eine Kurzschlusshandlung in dieser Nacht und er wäre sicher nicht in der Lage gewesen, sich eine andere Waffe zu diesem Zeitpunkt zu besorgen. Drei Tage hatte sich seine berufliche Situation so stabilisiert, dass er keinen Grund mehr gehabt hätte, sich das Leben zu nehmen."

    Wie viele Waffen wirklich in der Schweiz im Umlauf sind, weiß keiner so genau. Vielleicht vier Millionen. Erst kürzlich meldete das Verteidigungsministerium der Schweiz, dass die Armee rund 4700 Pistolen und Sturmgewehre vermisse. Jedes Jahr gehen über 100 verloren, die wenigsten tauchen wieder auf. Die Initiative Schutz vor Waffengewalt fordert nun ein zentrales Waffenregister für die ganze Schweiz. Bislang gibt es solche Register nur in den Kantonen. Ein Unding, meint Jean Paul Monti vom Bundesamt für Polizei:

    "In einem Land, in dem im Grunde genommen alles registriert ist von der Kuh bis zum Papagei, sehen wir einfach wirklich nicht ein, dass Geräte, die verletzen oder töten können, nicht registriert werden."

    Die Fronten sind in der Schweiz klar verteilt: Die Bürgerlichen sind gegen die Waffeninitiative. Sie befürchten, dass die Initianten durch die Hintertür die Schweizer Armee abschaffen wollen. Die Linken - Sozialdemokraten und Grüne - unterstützen die Waffeninitiative.

    Über die Parteigrenzen hinweg wollen vor allem Frauen, dass die Ordonnanzwaffe künftig nicht mehr unterm Bett oder sonst wo zuhause ist. Kathy Riklin von der CVP ist dafür, mit dieser alten Schweizer Tradition zu brechen:

    "Die meisten Leute haben überhaupt keinen Platz mehr bei sich zu Hause. Ich glaube, das ist vorbei. Ich habe Verständnis für alle, die dafür sind, dass man nun diesen alten Zopf abschneiden soll."

    Glaubt man den Umfragen, dann dürfte das Sturmgewehr wohl bald aus den Kleiderschränken und Besenkammern der Eidgenossen verschwinden. Für die Schweiz würde mit der Annahme der Waffeninitiative nach der Aufweichung des Bankgeheimnisses ein weiteres Relikt aus der Vergangenheit entsorgt.

    Und was die jahrhundertealte Schützentradition der Schweiz angeht: Wilhelm Tells Nachfahren könnten schon bald schriftlich nachweisen müssen, dass sie mit einer Waffe umgehen können.