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Der schwere Schritt

Keine verschnörkelten Figuren, schlichter, gerader Gehschritt- so sieht Finnischer Tango aus. Doch der Nationaltanz will gelernt sein. Åke Blomqvist pilgert täglich ganz offiziell von Ort zu Ort, um ganz Finnland Tango beizubringen.

Von Tanja Runow und Jenny Willner |
    Im Herzen Helsinkis. Schwere Kronleuchter hängen tief im Raum. Der barocke Saal einer finnischen Studentenverbindung strahlt eine monumentale Festlichkeit aus. Von den Wänden blicken altehrwürdige Universitätsprofessoren aus ihren Goldrahmen. Und auf dem abgenutzten Parkett steht das Wachs einige Millimeter dick. Und das hat seinen Grund. Denn heute Nachmittag wird hier die gute alte Schule gepflegt. Das Kommando hat Åke Blomqvist, der berühmteste Tanzlehrer Finnlands.

    "Er ist großartig! Ich wohnte vorher in Hankoo und habe immer davon geträumt, bei ihm zu lernen. Dieses Jahr bin ich nun endlich nach Helsinki gezogen - und habe mich natürlich sofort angemeldet. Schon als kleiner Junge, mit zehn Jahren, habe ich die erste Zeitungsanzeige gelesen, für Åke Blomkvists Tanzkurs. 38 Jahre ist das her!"

    Wie die meisten der zwölf Tanzpaare wirken die beiden angegrauten Endfünfziger in Freizeitkleidung etwas deplaziert in der festlichen Umgebung. Åke und seine Frau Leena dagegen treten glamourös in Abendrobe auf. Mehr oder weniger gemeinsam macht sich die Klasse an die holprige Schrittfolge. Immer wieder kommt es dabei zu Kollisionen. Die jüngsten Schüler sind ein liebesseliges Teenager-Pärchen in Jeans und Turnschuhen, das eine für sein Alter erstaunliche Ernsthaftigkeit an den Tag legt. Das älteste Paar geht auf die 60 zu und stiftet durch plötzliche, unberechenbare Bewegungen Unruhe. Åke geht vom einen zum anderen und versucht, Ordnung in den bunten Haufen zu bringen.

    Die Grundfigur des Finnischen Tango, die hier grade eingeübt wird, wirkt relativ unspektakulär. Sie besteht aus zwei langsamen Schritten vorwärts und einer halben Drehung. Als Kosmopolit mit Hang zum Pathos nennt Åke Blomkvist sie leidenschaftlich die "Habanera”.

    Zwölf Paare stapfen los. Der Finnische Tango ist, selbst in seiner ausgefeiltesten Form, ein Gehtanz. Nicht viel erinnert an die Grazie, die Leidenschaftlichkeit, das Spiel der Geschlechter, die den Argentinischen Tango auszeichnen. Auch Åke ist mit der Vorstellung seiner Schüler noch nicht sehr zufrieden. Die Schultern sind noch zu schlaff, die Herren zu zaghaft und die Damen zu steif.

    Kurze Kaffeepause. Åke hat hektische rote Flecken im Gesicht und grummelt in seinen stattlichen Schnurrbart. Erste Strähnen lösen sich aus dem strengt zurückgekämmten, grauen Haar. Er wirkt ziemlich aufgebracht. Sein Kurs macht ihm heute offenbar zu schaffen.

    "Es ist wirklich den Bach runtergegangen! Die Frauen haben das mit der Gleichberechtigung falsch verstanden. Sie glauben, sie müssten jetzt auch führen. Eine schreckliche Entwicklung für den Tanz…dabei ist der Tango ja sowieso schon eine der seltenen Gelegenheiten bei denen sich die Frau überhaupt mal hingibt. Zu hause hat sie ja längst das Kommando."

    Åke hat sich immer noch nicht beruhigt. Immer wieder wirft er sein wichtigstes Kommando ein: ”Der Mann führt!”

    "Der Finnische Tango ist eine Art Therapie mit Nähe. Aber nur dann, wenn die Frau sich hingibt und der Mann führt. Sonst kann man es gleich vergessen."

    Neben der Rettung finnischer Ehen durch Tangotherapie hat Åke eine zweite große Mission: Die Rettung der Finnischen Tanzkultur. Um dieses ehrenwerten Zieles Willen ist er Tanzlehrer geworden und nicht etwa Wettbewerbstänzer. Und deshalb nimmt er auch die strapaziösen Reisen immer noch auf sich. Doch besonders das Ausland tut sich bisweilen schwer, die wahre Bedeutung des Finnischen Nationaltanzes zu würdigen. Immer wieder steht der ärgerliche Vergleich mit dem eleganteren Argentinischen Bruder ins Haus.

    "Der Argentinische Tango war, als er nach Europa kam, ursprünglich einfach ein Showtanz. Erst die europäischen Tanzlehrer haben ihn so vereinfacht, dass er sich überhaupt für Amateure eignete. Der Finnische Tango dagegen ist direkt für ”Matti-Unsereins” entwickelt, für jedermann. Es ist der schlichte aber ehrliche Tanz der Massen. Wem es um Glamour geht, der kann sich meinetwegen beim Tango Argentino selbst inszenieren. Das ist ein Hobby wie jedes andere auch. Aber kein besonders verbreitetes. Man sieht einfach keine Menschen auf Finnischen Tanzböden Argentinischen Tango tanzen."

    Trotzdem bieten Åke und Leena ihren eigenen ”Tango Argentino”-Kurs an. Es ist schließlich nicht so, dass sie ihn nicht beherrschten. Aber empfehlen wollen sie ihn nicht.

    "Es ist ein Hobbytanz, kein Beziehungstanz. Wenn es dem Mann darum geht die Frau fürs Leben zu finden, dann braucht er sich mit dem Argentinischen Tango nicht aufhalten. Die findet er beim Finnischen Tango - und nur dort."