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Der Siegeszug eines Genussmittels

Kaffee ist eines der wichtigsten Welthandelsgüter. Der Handel mit den braunen Bohnen vernetzt Kontinente. Zudem gibt es eine ganz eigene Kaffeekultur. In Hamburg haben Wissenschaftler die Geschichte des Genussmittels unter die Lupe genommen.

Von Ursula Storost |
    Volkslied: "C-a-f-f-e-e, trink nicht zuviel Kaffee ...."

    Eingang ins deutsche Liedgut hat der Kaffee schon lange gefunden. Kein Wunder. Er wurde bereits im 19. Jahrhundert hierzulande in Mengen getrunken. Und deutsche Großgrundbesitzer besaßen damals ausgedehnte Kaffeeplantagen in Zentralamerika, erzählt die Historikerin Dr. Christiane Berth von der Universität St. Gallen.

    "Das hat später auch für Kritik gesorgt in Guatemala, dass Ausländer soviel Landbesitz aufhäufen konnten. Und der Besitz in Guatemala ist während des Zweiten Weltkriegs enteignet worden."

    Natürlich blieb diese Landnahme in vielen Fälle nicht unwidersprochen. Neben offiziellen Verhandlungen gab es gerichtliche Auseinandersetzungen und wohl auch inoffizielle Zahlungen. Denn Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg sehr daran interessiert wieder Kaffee zu importieren.

    "Das lief bis Anfang der neunzehnhundertsechziger Jahre. Also ich habe einen Bericht des deutschen Botschafters aus Guatemala aus dem Jahr 1963 gelesen, wo er eben beschreibt, jetzt in dem letzten Jahr 1962 sind die meisten Fälle beigelegt worden und wir können jetzt einen Schlussstrich unter diese Angelegenheit ziehen."

    Die harte Arbeit des Kaffeepflückens wurde, damals wie heute, von schlecht bezahlten Landarbeitern verrichtet, ergänzt der Historiker Ruben Quaas von der Universität Bielefeld.

    "Es gibt noch immer viel Wanderarbeit. Das heißt Leute, die keine eigenen Ländereien besitzen, die auf anderen Bauernhöfen sich verdingen müssen."

    Heute werde der Kaffee weniger von Großgrundbesitzern als vielmehr von Kleinbauern produziert. Und deren Situation sei alles andere als erfreulich, so Ruben Quaas.

    "Sie wissen aber überhaupt nicht, wie es die nächsten Jahre sein kann. Das heißt in zwei Jahren können plötzlich die Preise, wie es jetzt wieder ist, völlig im Keller sein. Und die Produzenten haben überhaupt keine Ahnung, wie sie wieder über die Runden kommen sollen."

    Seit den neunzehnhundertsiebziger Jahren gibt es auch in Europa Menschen, die sich für bessere Verdienstmöglichkeiten der Kaffeeproduzenten engagieren. Dazu gehöre zum Beispiel die Förderung von Bioanbau, weiß der Historiker.

    "Was gleichzeitig das Problem bringt, dass eine sehr lange Umstellung bei den Produzenten erfolgen muss, was gerade für die Kleinbauern ein Problem ist. Es gibt Sachen, dass Fair Trade gemacht wird. Aber das ist meist nur für ne sehr kleine Gruppe von Produzenten, weil auch nur kleine Absatzzahlen sind und der faire Handel heutzutage oft sehr viel schlechter nur noch die Kleinbauern erreicht. Das heißt viel hat sich da noch nicht geändert. Und im Gegenteil. Viel wird eher noch schlechter."

    Nach Erdöl ist Kaffee das Wichtigste Handelsgut in der Weltwirtschaft. Über 25 Millionen Menschen sind weltweit mit Anbau, Verarbeitung und Handel von Kaffee beschäftigt. Dementsprechend hängt das Wohl und Wehe ganzer Nationen von der Entwicklung der Weltmarktpreise des Rohprodukts ab. Und die entscheiden sich an den Kaffeebörsen der westlichen Welt.

    "Das Ganze jetzt nur auf eine Ausbeutungssituation zu reduzieren würde ja auch bedeuten, dass man überhaupt den ganzen Welthandel nur als Ausbeutungssituation klassifiziert. Ich denke, dass mit dem Kaffeehandel sehr viel Probleme verbunden sind. Aber es ist nicht nur so, dass es jetzt nur der Druck der ersten Welt wäre, der bewirkt, dass die dritte Welt Kaffee anbaut."

    Trotzdem könne man nicht leugnen, dass die Kaffeeproduktion auch mit Ausbeutung zu tun habe, sagt Steven Topik, Professor für Geschichte an der University of California, Irvine. Beispiel Südamerika.

    "Da gab’s Sklaven. Zwischen 1800 und 1850 mehr als eine Million aus Afrika wurden importiert im Kaffeeanbau. Kaffee zu produzieren."

    Auch der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hatte Auswirkungen auf die Kaffeeproduzenten. Amerikaner und Engländer verloren die Furcht vor kommunistischen Revolutionen in verarmten Kaffeeländern. Folge: die Kaffeepreise fielen.

    "Das war sehr schlecht für die Länder, die Kaffee haben. Brasilien ist eine Ausnahme. Aber die anderen Länder, die Kaffee anbauen sind sehr arm geworden. Zum Beispiel Mexiko, El Salvador."

    Die meisten Kaffee produzierenden Länder konnten und können vom Wohlstand nur träumen. Hierzulande entwickelte sich das Genussmittel Kaffee aber gerade zu einem Indikator für gesellschaftlichen Wohlstand, erklärt Professor Dorothee Wierling von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.

    "Und das spielt übrigens auch im Ostdeutsch- Westdeutschen Vergleich ne große Rolle. Dass die Ostdeutschen und auch die DDR-Regierung genau beobachteten, wie sich der Kaffeekonsum in Westdeutschland entwickelt und dass der Bohnenkaffee eins der wichtigen Zutaten für das typische Westpaket war, das man in die DDR schickte."

    Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert war der Bohnenkaffee in der Frühstückstasse etwas Selbstverständliches, sagt die Historikerin.

    "Und nicht nur für reiche Leute sondern auch Arbeiterfamilien zumindest am Sonntag ihren Bohnenkaffee tranken. Und dass wir einen sehr hohen Prokopfverbrauch haben. Schon vor dem ersten Weltkrieg."

    Bis der Kaffee zu etwas Alltäglichem wurde, hat er viele Funktionen und Bedeutungen durchlaufen, weiß Hannes Siegrist, Professor am Institut für Kulturwissenschaft der Universität Leipzig. Ab dem 17. Jahrhundert begann das aus dem Orient kommende Genussmittel seinen Siegeszug in bürgerlichen städtischen Milieus. Stichwort Kaffeehäuser.

    "Der Kaffee wird zu einem Getränk für diskutierende Männer, die in der Öffentlichkeit diskutieren. Das ist dann die bürgerliche Öffentlichkeit des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Und dann entwickelt sich der Kaffee zu einem Getränk für das Kaffeekränzchen der Frauen. Also der Kaffee strukturiert die Beziehung zwischen den Geschlechtern auch. Er trennt sie ein Stück weit."

    Später wurde er zu einem Wachmacher für die Arbeiter. Auch in armen Heimarbeiterfamilien.

    "Und der Kaffe, den sie tranken, der war ziemlich dünn. Und deswegen gibt es ja die Geschichte, dass das Blümchen, das das Meißner Porzellan unten in der Mitte hat, dass man das sieht, wenn der Kaffee so dünn ist. und das ist dann der sogenannte Blümchenkaffee."

    Seit den neunzehnhundertsiebziger Jahren gibt es Kaffee in Pappbechern. Heutzutage ist das nahezu Kult. Coffeeshops schießen wie Pilze aus dem Boden. "Coffee to go" als Lifestyle-Produkt. Mit verschiedensten Aromatisierungen. Karamell-, Vanille oder Lebkuchengeschmack. Hannes Siegrist.

    "Konsum lebt immer auch von der Differenzierung. Wenn alle Kaffe haben, kann ja zusätzlicher Kaffee nur noch abgesetzt werden, wenn es neue Muster und Geschmäcker gibt. Und deswegen hat ja auch in Nordeuropa sich der ganze italienische Kaffee in den letzten zwei Jahrzehnten durchsetzen können."

    All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kaffee nicht nur ein Genussmittel ist sondern als Erstes eine Handelsware, konstatiert der Kulturhistoriker.

    "Und Handeln tut man nicht nur, um den Menschen etwas Gutes zu tun sondern auch, um Geld damit zu verdienen."