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Der Sonnenkönig kehrt zurück

Physik. - Jahrelang herrschte Gerangel unter den Nationen, die gemeinsam den Fusionsreaktor "ITER" entwickeln. Schließlich konnte sich jetzt Frankreich als Standort des mit zehn Milliarden Euro veranschlagten künstlichen Sonnenfeuers durchsetzen.

28.06.2005
    Fast täglich steigen die Rohölpreise, dessen endliche Quellen in absehbarer Zeit erschöpft sein werden, und auch Uran als Treibstoff für umstrittene Atomkraftwerke ist nur begrenzt verfügbar. Überdies produzieren die Meiler Müll, den es über Jahrtausende hinweg sicher zu lagern gilt. Angesichts dieser Probleme mutet das Projekt ITER – lateinisch für "Der Weg" - geradezu verheißungsvoll an. Denn es beschreibt einen Reaktor, in dessen Innerem ein Sonnenfeuer erzeugt wird - eine saubere und schier unerschöpfliche Energiequelle. So könnte gerade ein Kilogramm Wasserstoff bei dem Verschmelzen zu Helium die Energie von 10.000 Tonnen Steinkohle liefern.

    Um diese Vision zu verwirklichen und die erheblichen Kosten überhaupt stemmen zu können, taten sich die Europäische Union, Japan, China, Korea, die USA und Russland zusammen. Mit dem Fortschreiten der Entwicklung und der Planung eines ersten Demonstrators kam es dann zum Zwist über den Standort des Sonnenreaktors. Zuletzt waren Cadarache in Frankreich und das japanische Rokkasho-mura in der Auswahl. Während die USA und Korea Rokkasho-mura favorisierten, unterstützten die übrigen Teilnehmer den europäischen Bauort. Um das Patt zu durchbrechen, ging die Europäische Union schließlich vor wenigen Monaten in die Offensive mit dem Angebot, die Hälfte der Investitionen für ITER aufzubringen - immerhin 2,3 Milliarden Euro. Allein Frankreich verdoppelte seinen Einsatz auf 914 Millionen Euro, während die anderen fünf Partner mit jeweils zehn Prozent an den Kosten beteiligt sind.

    Japan wurde die bittere Pille indes mit einigen "Bonbons" versüßt: So darf sich die japanische Industrie überproportional an dem Vorhaben beteiligen und so auch mehr daran verdienen, als ihr eigentlich zustünde. Außerdem darf Japan 20 Prozent des ITER-Personals stellen und überdies bekommt mit einem Teststand für spezielle Materialien ein weiteres wesentliches Forschungsgerät zugeschlagen, das ITER dereinst ergänzen soll. Selbst der Generaldirektor des Projektes soll ein Japaner sein, so einigten sich die Partner. Baubeginn wird wohl nicht vor 2007 sein und die Bauzeit ist auf rund acht Jahre veranschlagt. So dürfte der Wasserstoff, von gewaltigen Magnetfeldern in einer haushohen Reaktionskammer gebändigt, kaum vor 2015 erstmals auf unvorstellbare 100 Millionen Grad Celsius erhitzt werden und den Fusionsprozess unseres Zentralgestirns nachspielen.

    Gelingt das Experiment trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten, so könnten ITER-Reaktoren die globalen Energiesorgen erheblich mindern. Denn ihr Treibstoff - verschiedene Wasserstoffsorten - ist quasi unendlich vorhanden. Ein Unfall wie in Tschernobyl ist unmöglich und außerdem entwickelt ein Fusionsreaktor keine schädlichen Klimagase oder Abfall, der für die Ewigkeit gelagert werden müsste. Doch dazu müsste zunächst ein sich selbst tragendes Sonnenfeuer gelingen, das überdies mehr Energie liefert als es kostet. Bis dahin wird das "alte" Europa mit ITER und dem Kernforschungszentrum CERN zweifellos die weltweite Forschungsführerschaft auf diesem Gebiet innehaben.

    [Quelle: Frank Grotelüschen]