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Der späte Degas

Als großes sinnliches Erlebnis beschreibt Kulturredakteur Stefan Koldehoff die Ausstellung "Edgar Degas" in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel über einen der berühmtesten französischen Maler des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es ist die erste Ausstellung, die ausschließlich dem Spätwerk des Künstlers gewidmet ist.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Christoph Schmitz | 02.10.2012
    Christoph Schmitz: Als junger Mann streifte Degas durch Italien, im deutsch-französischen Krieg 1870/71 war er Soldat, danach reiste er in die USA. Dann organisierte er mit den modernen Wilden seiner Zeit, den Impressionisten, Ausstellungen, die er auch mit eigenen Arbeiten bestückte. Wird Degas auch gerne in einem Atemzug mit diesen Impressionisten genannt, so unterschied er sich doch deutlich von den alle Konturen auflösenden Lichtreflexen seiner Kollegen. Er setzte auf die Linie, verrückte das Motiv an die Ränder, versuchte sich in zahlreichen Techniken.

    Das reiche und vielseitige Spätwerk Degas’ zeigt jetzt eine Ausstellung der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Die erste Ausstellung überhaupt, die ausschließlich dem Spätwerk gewidmet sei – so wirbt das Museum. Stefan Koldehoff, stimmt das?

    Stefan Koldehoff: Ja das kann man schon so sagen. Eine Ausstellung, die sich lediglich auf diese letzten – und es sind immerhin 30 Jahre – konzentriert, hat es eigentlich vor allen Dingen in der Qualität noch nicht gegeben. Es gab große Retrospektiven, zuletzt in Paris, es gab Ausstellungen, die sich auf einzelne Motivgruppen, zum Beispiel "Degas at the races", also die Jockey- und Pferdeszenen, oder auf die Skulpturen konzentriert haben. Aber in der Form, das Spätwerk zum ersten Mal, das ist tatsächlich beeindruckend.

    Schmitz: Die Fondation Beyeler sagt auch, dass alle Motive und Themen hier versammelt würden und aufgegriffen würden, die prägend für Degas’ Spätwerk gewesen seien. Welche besonderen Motive und Themen sind das?

    Koldehoff: Die Motive sind eigentlich die klassischen, die man mit Degas auch auf den ersten Blick oder aufs erste Hören des Namens verbinden würde: also die Ballett-Szenen und Tänzerinnen, die Porträts, die Interiors, die Landschaften, die man vielleicht nicht so sehr kennt, weil er eigentlich mal gesagt hat, eigentlich ist Landschaft so ziemlich das dümmste, was man als Maler machen kann. Da hat er aber dann seine Meinung hinterher doch revidiert. Und halt die Pferde und Jockeys, vor allen Dingen aber die Frauen bei der Toilette, also im Bade, in der Badeschüssel.

    Wenn man sich jetzt überlegt, 150 Werke insgesamt, 22 Gemälde, 65 der feinen, ganz vorsichtigen fragilen Pastelle, fünf Zeichnungen, Monotypien, also Einmaldrucke, die quasi von der Platte nur abgeklatscht werden, und das alles ist gelungen, im Tageslicht zu zeigen, ganz lichtempfindliche Blätter zum Teil, weil das in der Fondation Beyeler, in diesem wunderbaren Renzo-Piano-Bau, mit veränderbaren Dachluken möglich ist. Das ist schon eine Ausstellung, die so wahrscheinlich kaum mehr zustande kommen wird.

    Schmitz: Das macht das Licht, das natürliche Licht aus diesen Bildern. Was prägt denn das Spätwerk? Welchen Eindruck hatten Sie, nachdem Sie diese 150 Stücke gesehen haben?

    Koldehoff: Eigentlich tatsächlich die Frage, wie geht es jetzt eigentlich weiter nach dem Impressionismus. Da war, das haben Sie gerade gesagt, Degas ja mitführend, hat zum Teil die Ausstellungen dieser renitenten, nicht der Akademie gehorchen wollenden Künstler mit organisiert. Irgendwann war das dann aber ausgereizt und man musste sich überlegen, wie geht es weiter, und dann haben sich Cézanne für Wege entschieden, die in Richtung Kubismus führten, van Gogh und Gauguin Sachen gemacht, die in Richtung Expressionismus führten.

    Degas, der große Einzelgänger, der allein gelebt hat, der immer als ein bisschen mürrisch galt, der Junggeselle, hat sich für einen ganz eigenen Weg entschieden, und zwar auf eigentlich die klassische französische Kunst wieder berufen: einmal auf die Linie, wie Sie gerade schon gesagt haben, in der Tradition von Ingres und dann aber auch auf die Farbmalerei, wie sie Eugène Delacroix eigentlich durchgesetzt hatte, und hat versucht, das miteinander zu verbinden. Kann es nicht sein, dass man diese scheinbaren Gegensätze, Linie und Farbe, zu einem neuen guten ganzen vereint, und das ist ihm wunderbar gelungen.

    Wenn Sie zum Beispiel sehen, wie auf der einen Seite die Konturen der jungen Tänzerinnen, übrigens immer Tänzerinnen bei der Probe, nie bei der Aufführung, immer bei der Probe, also ähnlich wie Degas in dem Stadium, in dem man so nach dem perfekten Ausdruck sucht, wie er da die Konturen, die Gesichter, die Nacken, die Arme fein aus Linien modelliert hat, und dann aber in den Röcken, in den Tutus oder im Hintergrund eigentlich die reine Farbe explodiert, dann muss man sagen, es ist ihm gelungen.

    Schmitz: Und er ist damit ein moderner Maler geworden, also weit dann doch ins 20. Jahrhundert hinein gewachsen?

    Koldehoff: Ich finde schon, und das sieht man vor allen Dingen bei diesen ganz selten zu sehenden Landschaftsbildern und Monotypien, wo er dann eigentlich sich entscheidet, fast nur noch mit der Farbe zu arbeiten, und Sie zwar noch erkennen, dass da so was wie ein rauchender Schlot oder ein Vulkan oder ein kleiner Berghügel zu sehen ist, und mitten rein klatscht er dann aber einen dicken Farbfleck, offenbar auch von einer Glasplatte abgeklatscht, wo man fast den Eindruck hat, das könnte was von Gerhard Richter sein. Also das weist schon weit ins 20. Jahrhundert hinein.

    Schmitz: Die Ausstellungsmacher sagen, dass auch alle Medien hier zur Geltung gebracht werden, also von der Skulptur und Malerei, Sie haben alles aufgezählt, auch die Fotografie. Hat er selbst fotografiert?

    Koldehoff: Er hat selbst fotografiert. Es gibt auch ein Bild, das er dann hinterher einem Freund geschenkt hat, der unten handschriftlich notiert hat, wie das funktionierte, nämlich dass man im grellen Licht von damals schon möglichen Lampen 15 Minuten fast bewegungslos ausharren musste, um so eine doppelte Porträtaufnahme überhaupt hinzubekommen.

    Auch das ist natürlich äußerst selten zu sehen, weil diese Originalabzüge Gefahr laufen zu vergilben, und es ist alles nebeneinander zu sehen. Sie haben also nicht, wie sonst üblich, einen Raum für die Pastelle, einen für die Fotografien, die Skulpturen gesondert; nein, alles eigentlich als eine große Einheit das Spätwerk präsentiert, und auch das macht diese Ausstellung zu einem großen sinnlichen Erlebnis.

    Schmitz: Stefan Koldehoff, vielen Dank für dieses Gespräch über die Edgar-Degas-Ausstellung in der Fondation Beyeler bei Basel.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.