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Der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz
Die dunkle Nacht der Seele

Johannes vom Kreuz war einer der bekanntesten Mystiker des Christentums. Er unterstützte die Reformbemühungen Teresa von Avilas im Orden der Karmeliten und geriet dadurch immer wieder in Konflikt mit den Kirchenoberen. Seine mystischen Erfahrungen hat er in einem umfangreichen lyrischen Werk überliefert.

Von Burkhard Reinartz | 30.12.2015
    Mystikerin Teresa von Avila
    Johannes vom Kreuz unterstützte Teresa von Avila (picture alliance / dpa / Foto: efe)
    "Mi alma se ha empleado
    y todo mi caudal en su servicio
    yo ano guardo ganado
    ni ya tengo otroficio
    que ya sólo en amar es mi ejercicio."
    "Meine Seele hat all meine Kraft
    in seinen Dienst gestellt:
    So achte ich nicht auf Gewinn,
    sondern nur der einen Aufgabe,
    Mich allein in der Liebe zu üben."
    "Olvido de lo criado
    memoria del Criador,
    atención o lo interior,
    y erstarse amando al Amado."
    "Ich vergesse das Geschaffene
    im Gedanken an den Schöpfer
    Und bin im tiefsten Seelengrund
    voll Aufmerksamkeit.
    als Liebender ganz dem Geliebten hingegeben."
    "Juan de la Cruz, Johannes vom Kreuz, ist einer der bekanntesten Mystiker des Christentums. Er wurde bereits 1726 von Clemens XIII heilig gesprochen und 1926 von Papst Pius XI. zum Kirchenlehrer erhoben – wodurch er den Beinamen "Doctor mysticus" – "Lehrer der Mystik" erhielt.
    Johannes hat seine mystischen Erfahrungen in ein umfangreiches lyrisches Werk überführt. In Spanien wurde er 1952 zum Patron der Dichter ernannt. Seine vier Hauptwerke sind neben den Gedichten: "Aufstieg auf den Berg Karmel", Die "Dunkle Nacht", "Geistlicher Gesang und "Die lebendige Flamme der Liebe". In allen Werken bildet die "liebende Vereinigung mit Gott" den Kern seiner religiösen Überzeugungen,
    "...weil die Liebe die Kraft und Tugend der Seele ist, die sie zu GOTT zieht, da allein durch die Liebe die Seele sich mit Gott vereinen kann."
    Der Gottsucher versenkt sich nicht in eine personenlose Leere. Für Johannes wird das Pauluswort: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir!" zur Richtschnur seines Betens. Mystik ist für ihn eine "Wissenschaft von der Liebe", wobei er die Suche des Menschen nach Gott dadurch erleichtert sieht, dass Gott "stets in der Seele zugegen ist". Dem Bemühen des Menschen kommt eine ergänzende Bewegung seitens des Göttlichen entgegen:
    "Sucht auch der Mensch nach GOTT, vielmehr sucht GOTT den Menschen.
    Wer liebt dich schon mit reiner, aufrichtiger Liebe und sucht dich nicht nach seinem Geschmack und Willen zu finden? Zeigst du dich nicht zuerst und gehst auf die zu, die nach dir verlangen?"
    Johannes vom Kreuz kommt 1542 in dem kleinen Dorf Fontiveros bei Ávila in Kastilien zur Welt. Sein Vater Gonzalo de Yepes stammt aus dem toledanischen Adel, wurde aber verstoßen, weil er die Weberin Catalina Alvarez geheiratet hatte. Johannes wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit neun Jahren verliert er seinen Vater und zieht mit der Mutter und seinem Bruder Francisco nach Medina del Campo bei Valladolid.
    Den Weg der Zurückgezogenheit gewählt
    Hier besucht er das "Colegio de los Doctrinos" und erledigt einfache Arbeiten für die Ordensschwestern des Konvents der Kirche "Santa María Magdalena". Zunächst arbeitet er als Krankenpfleger im Hospital "Inmaculada Concepción". Mit achtzehn Jahren wird er in das neu gegründete Jesuitenkolleg in Medina del Campo aufgenommen. Hier studiert er drei Jahre lang Humanwissenschaften, Rhetorik und klassische Sprachen. Nach der Ausbildung beginnt er das einjährige Noviziat bei den Karmeliten der Stadt. Es scheint, als hätten seine entbehrungsreiche Kindheit und Jugend ihn bewogen, den Weg der Zurückgezogenheit eines kontemplativen Lebens zu wählen.
    "Lass deinen Geist nicht in einer anderen Sache ruhen als in Gott. Wirf alle Aufmerksamkeit an die Dinge hinaus und bringe Frieden und Zurückgezogenheit in dein Herz. Sei deshalb besorgt, dich nicht zum Leichteren hinzuwenden, sondern zum Schwierigeren; nicht zu sehr zum Geschmackvollen, sondern zum Bitteren. Nicht an das, was dir Ruhe schenkt, sondern was arbeitsreicher ist. Willst du dorthin, wo du alles besitzt, darfst du nichts besitzen wollen."
    Bevor Johannes sich ganz dem Klosterleben zuwendet, studiert er drei Jahre lang in Salamanca Philosophie, wird anschließend zum Priester geweiht und kehrt nach Medina del Campo zurück. Dort trifft Johannes zum ersten Mal Teresa von Avila. Die Begegnung prägt sein Leben nachhaltig. Teresa schlägt ihm vor, sich ihr "zur Ehre Gottes" anzuschließen und ihren Plan zur Reform des Karmel zu unterstützen.
    Im "goldenen Zeitalter" Spaniens, dem 16. Jahrhundert, regiert die katholische Kirche mit größter Selbstverständlichkeit – auch abgesichert durch das grausame Werkzeug der Inquisition. Im Zuge der überseeischen Eroberungen entsteht für die ohnehin Wohlhabenden ein enormer Reichtum. In den Klöstern werden die strengen Ordensregeln immer mehr abgeschliffen. Gegen diese Tendenz bemüht sich Teresa von Avila um die Reform des Ordens. Sie zielt gegen die "Verweltlichung" auf eine stärkere Kontemplation und Abgeschiedenheit der Ordensleute. Praktisch bedeutet das: eine streng erimitische Ausrichtung: kollektive Einsamkeit, inneres Beten und körperliche Arbeit.
    In vielen Klöstern bricht ein Sturm der Entrüstung gegen die Reform los. Der Konflikt wird schließlich durch die Trennung in "beschuhte" und "unbeschuhte" Karmeliten entschärft. Bei den "Unbeschuhten" findet Johannes seine Heimat. 1568 gründet er die erste reformierte männliche Ordensgemeinschaft.
    "Ohne Gott kann ich nicht leben"
    Von 1572 bis 1577 lebt Johannes als Spiritual und Beichtvater der Schwestern des Klosters von Avila. Teresa von Avila schreibt in dieser Zeit ihre wichtigsten Werke, Johannes seine ersten. Sein Einsatz für die Reform des Ordens sollte ihm schon bald viel Leid bringen.
    "Vivo sin vivir in mí,
    y de tal manera espero,
    que mueroproque no muero."
    "Ich lebe, ohne in mir zu leben,
    Und in solchem Zustand hoffe ich,
    dass ich sterbe, weil ich nicht sterbe."
    "En mi yo no vivo ya,
    y sin Dios vivir no puedo,
    pues sin él y sin mí quedo,
    este vivir que sera?
    Mil muertes se me hará,
    pues mi misma vida espero,
    muriendo porque no muero."
    "Schon lebe ich nicht mehr in mir,
    und ohne Gott kann ich nicht leben.
    Wenn ohne IHN,
    dann auch ohne mich ich bleibe.
    Dieses Leben, was soll es dann sein?
    Es wird für mich wie tausend Tode werden,
    denn mein eigenes Leben erwarte ich,
    sterbend, weil ich nicht sterbe."
    "Sácame de aquesta muerte,
    mi Dios, y dame la vida;
    no me tengas impedida
    en este lazo tan fuerte;
    mira que peno por verte,
    y mi mal es tan entero,
    que muero porque no muero."
    "Bring mich heraus aus diesem Tod,
    mein Gott und gib mir das Leben;
    Halt mich nicht fest
    in dieser so harten Schlinge.
    Sie wie ich leide, um dich zu sehen.
    Und so umfassend ist mein Leiden,
    dass ich sterbe, weil ich nicht sterbe.
    Im Kerker erfährt er in der Dunkelheit die Gegenwart Gottes
    Diese Zeilen aus dem "Geistigen Gesang" sind 1577 in einem lichtlosen Verließ entstanden. Johannes vom Kreuz – wie er sich inzwischen nennt – wurde von konservativen Karmeliten entführt und in Toledo aufgrund der Intrige einer falschen Anklage in einen Klosterkerker geworfen. Hier entstehen neben anderen Gedichten der "Geistige Gesang" und die berühmte "Dunkle Nacht" der Seele.
    Der Heilige bleibt neun Monate lang eingekerkert – ohne Kleiderwechsel, Gespräche und geistigen Beistand. In der Nacht vom 16. auf den 17. August 1578 gelingt ihm die abenteuerliche Flucht in das Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen Toledos.
    "In einer dunklen Nacht
    voller Sehnsucht in Liebe entflammt
    oh glückliches Geschehen!
    entkam ich unerkannt
    als mein Haus schon stille lag."
    Die neunmonatige Zeit im Kerker erlebt Johannes neben dem Schrecken des "Horror Vacui" – dem Schrecken der Leere – als eine Zeit der Reinigung. Im Kerker erfährt er in der Dunkelheit die Gegenwart Gottes. Er erkennt, dass "Leiden in Christus" einen Sinn beim Aufstieg der Seele hat.
    "Erdulden der Finsternis macht bereit für das große Licht."
    Ähnlich wie die "sieben Wohnungen der inneren Burg" Teresa von Avilas sieht auch Johannes die Vereinigung mit dem Göttlichen in verschiedene Entwicklungsstadien gegliedert. So setzen die Erkenntnisse der "Dunklen Nacht" einen Prozess voraus, den Johannes vor allem in der Schrift "Aufstieg auf den Berg Karmel" beschreibt.
    "Die Seele muss Gott ein liebevolles Aufmerken entgegenbringen, nur dies, ohne in Aktion sich zu besondern; rein empfangend muss sie sich verhalten, ohne eigene Beflissenheit, mit dem entschlossenen schlichten Aufmerken der Liebe, so wie jemand in liebreicher Achtsamkeit die Augen öffnet."
    Während der kontemplativen Übung sollen sich alle Überlegungen, alles Denken, sogar fromme Gedanken und Gefühle, auflösen.
    "Dem Geist ist diese Unabhängigkeit und Unberührbarkeit vor allem aus dem Grunde not, weil irgendein Gedanke, Einfall oder Genuss, bei denen die Seele zu solcher Stunde sich aufhalten möchte, sie behindern und beunruhigen würde. Diese Vorgänge würden Lärm schlagen in der tiefen Stille, deren die Seele an Leib und Geist bedarf für das Auffangen des Zarten und Tiefen, das Gott in solcher Einsamkeit im Herzen einspricht."
    Dieses "liebende Aufmerken" ist ein Horchen nach innen, denn Gott ist im Menschen anwesend.
    "Die Mitte der Seele ist Gott."
    Sagt Johannes vom Kreuz. Doch das erleben nur wenige Menschen, weil im Alltag die Sinne, der Verstand und der Wille des Menschen laut und überaktiv sind. Doch wahres Gotteserleben bedarf der Stille. Es bedarf "liebender Aufmerksamkeit", die ohne eine konkrete Vorstellung von Gott erwartungslos lauscht und schaut.
    Amt des Oberen der Gemeinschaft im Karmel von Segovia
    Im Gegensatz zum Sich-Aktiv-Sich-Vorbereiten auf dem Weg zum "Berg Karmel der Gottesvereinigung" erlebt der Mensch im nächsten Stadium das Wirken Gottes eher passiv als dunkle Kraft, die ihr Licht vorübergehend verbirgt und sich als Dunkelheit zeigt.
    "Die Finsternisse und die anderen Übel, die von der Seele zunächst beim Einbruch des besonderen göttlichen Lichts empfunden werden, sind Finsternisse der Seele selber: und das Licht fällt in sie sie um eben diese sichtbar zu machen. So empfindet die Seele das Geschehen als die eigenen Finsternisse. Wenn erst die Dunkelheiten und Unvollkommenheiten ausgestoßen und beseitigt worden sind, dann gehen der Seele die größten Förderungen auf, die sie in der glücklichen Nacht der Kontemplation gewinnt."
    Dass die dunkle Nacht der Seele auch ihre grausamen und kaum erträglichen Seiten hat, spricht Johannes an einer anderen Stelle aus:
    "Wenn nun das Göttliche die Seele überfällt, um sie auszureifen, zu erneuern und dadurch göttlich zu machen – wenn es sie nun von allen eingewurzelten Neigungen, von allen klebenden und eingefleischten Eigenheiten des alten Menschen vollkommen entblößen will, dann zerstückelt und vernichtigt es derart ihre geistige Substanz in einer sie umschlingenden, dichten und tiefen Finsternis, dass sich diese Seele in einem grausamen Geistestod hinschmelzen und hinschwinden fühlt. Nicht anders, als fühlte sie sich eingeschluckt in den düsteren Bauch eines Ungetüms und von ihm zersetzt – in den gleichen Erstickungsnöten wie Jonas im Bauche jenes Meerungeheuers."
    Wer sich der dunklen Nacht der Seele hingibt, den erwartet in der Gottesvereinigung reiche Belohnung:
    "Sie bewirkt in der Seele eine intensive, zärtliche und tiefe Wonne, die man mit sterblicher Zunge nicht ausdrücken kann und alles menschliche Verstehen übersteigt. Denn eine in Gott geeinte und verwandelte Seele atmet in GOTT und zu GOTT die gleiche göttliche Sehnsucht wie Gott sie atmet zur Seele. Jeder lebt in dem Andern und der eine ist der Andere und beide sind eins durch liebende Verwandlung. Ich lebe, aber nicht ich. Christus lebt in mir."
    In solchen paradoxen Formulierung zeigt sich Johannes vom Kreuz als Mystiker in der Tradition sowohl der deutsch-niederländischen als auch der islamischen und fernöstlichen Mystik. Das Wesentliche ist nur in paradoxen Bildern ausdrückbar – wie in dem folgenden Gedicht, das erstaunlicherweise Versen des chinesischen Weisen Laotse ähnelt.
    "Um zu erlangen, alles zu genießen,
    suche in nichts Genuss.
    Um zu erlangen, alles zu sein,
    suche in nichts etwas zu sein.
    Um zu erlangen, alles zu wissen,
    suche in nichts etwas zu wissen.
    Um zu werden, was du bist,
    gehe dahin, wo du nichts bist.
    Nach seiner Flucht aus dem Kerker und einer kurzen Zeit der Erholung wird Johannes vom Kreuz nach Andalusien gesandt, wo er zehn Jahre in verschiedenen Klöstern verbringt. Im Süden Spaniens ist der Konflikt zwischen beschuhten und unbeschuhten Karmeliten weniger aufgeladen. Dann kehrt er in seine Heimat Kastilien zurück, in den Karmel von Segovia, wo er das Amt des Oberen der Gemeinschaft bekleidet.
    1591 wieder ein Angriff auf den unbequemen Mystiker: Er wird aller Verantwortungen enthoben und soll aus dem Orden ausgestoßen werden. Später plant man, den schon von Krankheit geschwächten Mönch in die die neue Ordensprovinz Mexiko zu schicken. Nur sein schlechter Gesundheitszustand vereitelt diesen Plan.
    "Was mir Sorge macht, ist, dass man jemandem die Schuld gibt, der keine hat."
    Spirituelle Liebeslyrik
    Johannes zieht sich mit 49 Jahren in ein einsames Kloster in Jaén zurück, wo er schwer erkrankt. Er stirbt in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 1591, während seine Mitbrüder das Nachtgebet des Matutin sprechen. Er verabschiedet sich von ihnen mit den Worten:
    "Heute gehe ich im Himmel das Offizium beten."
    Nicht zuletzt das poetische Vermächtnis des Juan de la Cruz, seine spirituelle Liebeslyrik, macht den Mystiker auch im 21. Jahrhundert lesens- und bedenkenswert.
    "Ay! Quien podra sanarme?
    Acaba de entregarte ya de vero;
    no quieras enviarme
    de hoy mas ya mensajero,
    que no saben decirme lo que quiero."
    "Ach, wer wird mich heilen?
    Übergib dich mir endlich vollends
    Und lass doch davon ab,
    mir Boten zu senden,
    die mir nichts sagen können, von dem, was ich ersehne.
    "Apaga mi enojos,
    pues que que ninguno basta a deshacellos,
    y véante mis ojos
    pues eres lumbre dellos,
    y solo para ti quiero tenellos.
    "Nimm doch endlich hinweg meine Angst,
    Denn niemand sonst kann sie mir nehmen.
    Meine Augen möchten dich gerne schauen,
    Denn du machst sie hell und sehend,
    Und nur für dich allein sollen sie leuchten.
    "Descubre tu presencia
    y máteme tu vista y hermosura;
    mira que la dolencia
    de amor, que no se cura
    sino con kon la presencia et la figura
    "Enthülle mir doch deine Anwesenheit,
    auch wenn mich der Anblick deiner Schönheit tötet
    Du siehst doch die Schmerzen der Liebe,
    die man durch nichts heilen kann
    als durch deinen Anblick und deine Gegenwart