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Der Sport auf der Suche nach dem "Wir" (2)
Das alternative Olympia der Frauen

Wenige Bereiche der Gesellschaft sind so männlich dominiert wie der Spitzensport. Laut dem US-Magazin Forbes sind unter den hundert bestbezahlten Sportlern nur zwei Frauen. Vor genau hundert Jahren fanden zum ersten Mal die Frauenweltspiele statt, weil viele Sportlerinnen nicht zu Olympia durften.

Von Ronny Blaschke |
Bertojo (Frankreich) wirft den Speer. Das wurfgerät ist deutlich länger als heute, die Sportlerin greift es ganz hinten.
Speerwurf bei den Frauenspielen von 1921 (imago / UnitedArchives)
Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 in Athen blieben für Sportlerinnen geschlossen. Bei den folgenden vier Spielen bis 1912 wurden einige Sportarten für wenige Frauen geöffnet, etwa Golf, Tennis und Bogenschießen.
Doch der Zugang zur Kernsportart Leichtathletik blieb versperrt, erinnert die Sportsoziologin Petra Tzschoppe von der Universität Leipzig: "Diese Einschränkungen, die mit diesem traditionellen Bild von Weiblichkeit eben begründet worden sind, aber auch mit pseudomedizinischen Argumenten. Wo man gesagt hat: zarte Konstitution, das geht nicht. Oder bei Übungen, wo gesprungen wird und ähnliches: Da könnte die künftige Mutterschaft irgendwie in Gefahr geraten."

Strenge Regeln für verheiratete Frauen

Während des ersten Weltkrieges mussten Millionen Frauen in Fabriken hart arbeiten. In einigen Ländern erhielten sie erstmals das Wahlrecht. Doch das Internationale Olympische Komitee IOC lehnte eine Gleichstellung im Sport ab. Dagegen setzten sich Frauen zur Wehr, zum Beispiel Alice Milliat. Die französische Ruderin gründete 1921 den internationalen Frauensportverband FSFI. Damals eine Revolution.
Ein Schwarzweiß-Foto zeigt eine Athletin mit einer Kappe, die mit einem Ausfallschritt Anlauf zum Kugelstoßen nimmt. Im Hintergrund sind zwei Männer mit Borsalino-Hüten ins Gespräch vertieft zu sehen
Vor 100 Jahren in Monte Carlo - "Ersten Olympischen Frauenspiele" eröffnet
Etwa 2.700 Jahre sollte es dauern bis Frauen gleichberechtigt bei allen Olympia-Wettbewerben zugelassen wurden. Den Grundstein legten Sportlerinnen die 1921 erstmals "Olympische Frauenspiele" bestritten.
Bei Versammlungen berichteten Sportlerinnen über Jahrzehnte lange Ausgrenzungen, sagt Petra Tzschoppe: "Es gab klare Einschränkungen, was die Kleidung und auch die Übungen betrifft: Füße nach unten, Knie zusammen, das hatte nicht viel mit Turnen zu tun. Sowohl in der Art der Bewegungsausführung, als auch in der Präsentation des Körpers ist sehr strikt reglementiert worden, was Mädchen durften. Und eine verheiratete Frau im Turnen oder Sport, das war lange noch weniger vorstellbar."

Das IOC wird langsam aufmerksam

Ende März 1921, vor genau hundert Jahren, fanden die ersten Frauenweltspiele in Monte Carlo statt, mit hundert Sportlerinnen aus England, Frankreich, Italien, Norwegen und der Schweiz. Die männlich geprägten Zeitungsredaktionen waren jedoch eher auch der Suche nach "exotischen" Einzelgängerinnen. Beispielhaft dafür steht Gertrud Ederle: die US-Amerikanerin durchschwamm 1926 als erste Frau den Ärmelkanal – und schaffte es in alle Zeitungen.
Die Ruderin Alice Milliat wollte hingegen über die Schlagzeilen hinaus Strukturen schaffen. 1922 fanden die zweiten Weltspiele in Paris statt, dieses Mal als "Frauen-Olympia" mit 20.000 Zuschauern. Bei den dritten Weltspielen vier Jahre später in Göteborg waren bereits Sportlerinnen aus zehn Ländern vertreten.
Und das Internationale Olympische Komitee wurde aufmerksam, sagt Petra Tzschoppe: "Das war ein wichtiger Impuls, der auch bei den Herren der Ringe nicht so gänzlich ungehört blieb. Das führte zum einen dazu, dass die 1922 gesagt haben: Na ja, olympisch darf jetzt nur heißen, was von uns veranstaltet wird. Und dann kamen Verhandlungen, die dann auch dazu führten, dass zum ersten Mal in der Olympischen Charta 1924 das Wort Frauen auftaucht."

Sorge vor der Solidarität im Teamsport

Das IOC öffnete weitere Wettbewerbe für Frauen, bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam auch die Leichtathletik. Im Gegenzug verzichtete der Frauensportverband ab 1934 darauf, eigene Weltspiele abzuhalten. Den Weg zur Gleichstellung im Sport mussten nun andere Frauen fortsetzen: Die US-Läuferin Kathrine Switzer zum Beispiel machte sich in den Sechziger Jahren für Frauen auf der Marathonstrecke stark. Ihre Landsfrau, die Tennisspielerin Billie Jean King, forderte bald darauf höhere Preisgelder und startete eine Turnierserie für Frauen. Die marokkanische Läuferin Nawal El Moutawakel gewann bei Olympia 1984 als erste Muslimin Gold.
Militär-Kapellen sind in der Mitte der Arena versammelt
Der Sport auf der Suche nach dem "Wir" - Fundament der Ausgrenzung
Die Denkfabrik des Deutschlandfunks widmet sich in diesem Jahr Identitätsfragen. Im modernen Sport wird seit mehr als hundert Jahren die Frage gestellt: Wer darf mitmachen und wer bleibt draußen?
Eine Kolumne bei der Berliner Tageszeitung taz erinnert an solche Sportpionierinnen. Eine der Autorinnen, Alina Schwermer, sagt, dass die lange Ausgrenzung noch heute nachwirke: "Insofern, als dass Sportarten wie Turnen, Tennis oder Eiskunstlauf, die bestimmt Körperbilder bedienen, ja immer noch für Frauen viel, viel akzeptierter sind als zum Beispiel die ganzen Teamsportarten. Weil es zum einen diesem Bild des eleganten Körpers entspricht. Und im Teamsport speziell waren die Hürden auch deshalb hoch, weil das ja gefährlich war. Ich glaube schon, dass das für Männerverbände ein Punkt der Sorge war. Dass Frauen sich dann politisch solidarisiert haben über Teamsport, und das wollte man eben nicht haben."

Frauen dürfen erst seit 2002 olympisch Bobfahren

Das olympische Programm wurde nur in kleinen Schritten durchlässiger. Bei den Sommerspielen dürfen Frauen erst seit 1996 Fußball spielen und seit 2012 in den Boxring steigen. Bei den Winterspielen dürfen sie erst seit 1998 im Eishockey und seit 2002 im Bobfahren starten.
Und auch heute noch gebe es Ärgernisse, sagt Nina Probst, Gründerin des Internetportals "Sportfrauen.net": "Nehmen wir zum Beispiel mal den Bobsport. Dass der Viererbob für Frauen einfach noch nicht erlaubt ist und die Frauen dadurch weniger Medaillen gewinnen können. Um sie quasi ein bisschen zu besänftigen, führt man dann den Monobob ein. Wir wollen mit unseren Artikeln und unseren Recherchen mehr Aufmerksamkeit auf die Sportlerinnen lenken. So dass wir Vorbilder aufzeigen, also eben auch jungen Mädchen zeigen, wen gibt es denn da alles in deiner Sportart."

Kaum Frauen in Führungspositionen

Deutlicher wird die Ungleichheit auf der Entscheidungsebene. Das IOC nahm erst 1981 Frauen als Mitglieder auf. Von den olympischen Fachverbänden werden aktuell nur drei von einer Frau geleitet: die Internationale Triathlon-Union von der Spanierin Marisol Casado, der Welt-Curling-Verband von Kate Caithness und der Internationale Golfverband von Annika Sörenstam.*
Die Journalistin Alina Schwermer sagt: "Zum Beispiel gibt es ja ganz viele Studien, die sagen, dass wenn Frauen in Sportgremien sind, dann sind sie viel, viel seltener verheiratet als Männer. Sie haben keine Kinder in aller Regel. Und je länger Aufwand nötig ist im Gremium, desto weniger Frauen werden es. Es geht natürlich auch ganz um die Frage: Wie betreut die Gesellschaft Kinder? Und wie werden Familienmodelle gelöst?"
Zumindest bei den kommenden Olympischen Spielen werden nun in Tokio fast so viele Frauen wie Männer an den Start gehen. Hundert Jahre mussten dafür vergehen, seit den ersten Frauenweltspielen.
*Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version hatten wir die falsche Anzahl von Verbänden genannt, die von einer Frau geleitet werden.