Die Stuttgarter Staatsgalerie veranstaltet jetzt eine ganze Ausstellung nur mit Bildern aus Privatbesitz, und abgesehen davon, dass man hier ein nahezu komplettes Kompendium des klassischen Moderne vorgeführt bekommt, mit hochkarätigen Bildern, lehrt diese Schau einiges über die Lage der Museen in Zeiten drastischer Sparmaßnahmen. Kuratorin Karin von Maur:
In einer Zeit der Dürre wie im Moment, wo wir keinerlei Ankaufsmittel haben, ist es schwierig, Kunst zu zeigen, weil auch die Ausstellungsmittel sehr geschrumpft sind. Und da bot es sich an, nach 30 Jahren, nach der Ausstellung von 1973, wo wir auch schon mal Privatbesitz ausgestellt haben, noch einmal auf die Sammler zuzugehen und zu fragen, ob die das nicht mitmachen. Die überwiegende Zahl der Sammler war sehr angetan, obwohl die dann vor leeren Wänden sitzen, für einige Monate.
Man hat einfach eine Reihe von Sammlern aufgesucht, und ganz zwanglos haben sich Schwerpunkte ergeben: um die Hauptfigur Jawlenski mit seinen farbexperimentellen Gesichts-Studien gruppierte man den "Blauen Reiter", um ein paar famose, steile Kirchner-Akte stellte man andere Brücke-Künstler mit zum Teil unbekannten Werken wie Heckels "lesendem Mädchen":
Das ist eine unserer Entdeckungen – nicht in Stuttgart, sondern in Mannheim, wo wir einen Tipp gekriegt haben, und haben da eine wunderbare Sammlung aufgetan. Und dieser Heckel, "lesendes Mädchen, das hat früher dem berühmten Sammler Hagemeister gehört, geht demnächst auch ins Städel in eine Ausstellung zu Ehren dieses Sammlers...das ist eines der besten Bilder, die ich von Heckel kenne. Und dann auch dieser späte Otto Mueller, der ist ja auch unglaublich sensuell, das Thema ist prekär...
Natürlich spiegelt die Ausstellung die Vorlieben der Sammler, die eindeutig beim deutschen Expressionismus liegen – zum Teil kann man sogar die Handelswege verfolgen: der Stuttgarter Händler Norman Ketterer, der sich vehement für Kirchner einsetzte, hat nach dem zweiten Weltkrieg so manche Sammlung geprägt.
Jetzt, da die meisten dieser Kunstliebhaber alt und gebrechlich geworden sind, besteht allerdings die Gefahr, dass diese Sammlungen auseinandergerissen und in alle Welt zerstreut werden - statt bisweilen in Museen gezeigt zu werden oder als Dauerleihgaben dort ganz zu landen.
Das Problem sind die leidigen Erbschafts-Streitigkeiten: die Kinder der Sammler können sich oft nicht einigen oder wollen sich auszahlen lassen – und so werden viele großartige Werke für sehr viel Geld bei Sotheby’s oder anderswo versteigert. Entweder landen sie dann wieder bei betuchten Privatiers und sind für die Öffentlichkeit unerreichbar, oder die Museen müssen sie selbst ersteigern. Das ist teuer – und in Zeiten leerer Kassen nicht finanzierbar.
Die Museen müssen also viel früher aktiv werden – sie müssen die Sammler zu Lebzeiten einbinden in den Ausstellungsbetrieb und ihnen damit zeigen, dass ihre Werke auch für die Allgemeinheit wichtig sind. Die Stuttgarter tun das. Karin von Maur, diese begnadete Kunsthistorikerin, der die Staatsgalerie einige ihrer besten Ausstellungen verdankt, ist jetzt in den Ruhestand gegangen – und hat jetzt noch diesen Sammler-Parcours konzipiert, der mit flächigen, depressiv-erotischen Munchs beginnt und in einer Reihe brachialer Beckmann-Figuren auch die voluminöse "Quappie" im blauen Badeanzug zeigen kann - und später dann auch die Abstrakten: sehr stark vertreten die Farbkompositionen von Adolf Hölzel und Willi Baumeister, dann das Bauhaus und ein bisschen Surrealismus.
Nebenbei erzählt die Stuttgarter Ausstellung auch die Geschichte der Bilder, die oft eine Odyssee hinter sich haben: in der Nazizeit ins Ausland verkauft, dann verschollen und per Zufall dann in einer süddeutschen Privatsammlung wieder entdeckt.
Dieses Titisee-Bild von Heckel aus dem Jahr 1921 hat vormals der Staatsgalerie Stuttgart gehört, es wurde 1937 als entartet beschlagnahmt und ist jetzt zum ersten Mal wieder ins Haus zurückgekehrt, und wir versuchen es vielleicht zu halten, wir können es vielleicht zumindest als Leihgabe bekommen.... Und dazu gibt es auch das Aquarell, das wir entdeckt haben, aus einer anderen Sammlung gibt es ein Aquarell, das zeig ich Ihnen...
Und so kann in Stuttgart auf einmal das farbintensive, an den späten Kirchner erinnernde Heckel-Ölbild mit der Vorstudie, mit der Aquarell-Skizze gekoppelt werden, die per Zufall ein anderer Sammler an der Wand hatte.
Das kunsthistorisch versierte Museum kann also etwas leisten, was den Sammlern selbst nicht möglich ist: es kann die Bilder in einen Zusammenhang stellen. Der von Otto Dix 1919, am Ende des ersten Weltkriegs (da wurde ja mancher religiös), in quasi kosmologischen Rundungen gemalten "Schwangeren" wird im Katalog die 30tausend Jahre alte Statuette der "Venus von Willendorf" beigegeben, das Fruchtbarkeits-Symbol schlechthin. Und dem von Dix vertretenen veristischen Flügel der Neuen Sachlichkeit wird die sozialkritische, die Arme-Leute-Fraktion der Neusachlichen beigesellt, zum Beispiel das 1924 virtuos drapierte tuberkulöse Mädchen des völlig unbekannten, altmeisterlichen Fritz Burmann – er hat diese Unterschichts-Moribunda wie eine Lochner-Madonna inszeniert, mit einem italienisch anmutenden Stadt-Hintergrund:
Eine Neuentdeckung! Es gibt zwei kleine Bilder in Mannheim, aber sonst finden Sie den in keinem Museum. Das sind sehr interessante, sozialkritische Bilder der mittzwanziger Jahre, eben dieser Zeit der neuen Sachlichkeit.
Diese Bilder müsste man an die Museen binden, bevor sie unter den Hammer kommen und verloren gehen – und andere Institutionen sind aufgefordert, dem Stuttgarter Beispiel zu folgen und die Sammler ins Museum zu holen.