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Der Streit um gentechnisch verändertes Saatgut

Gerhard Portz, Landwirt

Von Albrecht Kieser | 18.06.2004
    Dann heißt es nachher: Ja, ihr habt doch die Sorten gewollt, ihr Bauern, ihr habt sie doch gekauft, sonst wären sie nicht am Markt. Deshalb habt ihr es auch auszubaden.

    Benedikt Haerlin
    Ich behaupte ja nicht, dass jede gentechnisch veränderte Pflanze eine Gefahr für die Menschheit und die Umwelt an und für sich darstellt. Sondern ich sage, wir wissen nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit wie viele dieser Pflanzen möglicherweise erst nach fünf, nach zehn, nach fünfzehn, nach zwanzig Jahren Probleme erweisen. So wie alle anderen Technologien auch. Wenn Sie sich z.B. mal anschauen, wie viele Pestizide zu irgend einem Zeitpunkt für unbedenklich erklärt wurden und heute verboten sind, dann sollte man doch vorsichtig sein mit der Behauptung, hier gibt es keine Probleme oder hier gehen die Probleme gegen unendlich klein – wir hatten dann eben doch sehr häufig ganz massive Probleme. Und das große Problem, was wir in diesem Fall haben, ist, dass wir es eben nicht einfach wieder zurückholen können. Und sagen, gut, dann setzen wir es eben nicht wieder ein, vergessen wir das.

    Andreas Thierfelder
    Das Restrisiko ist wohldosiert und wohlabgewogen in Kauf zu nehmen.

    Drei Stimmen - ein Problem. Der Landwirt Gerhard Portz, der mit genmanipuliertem Saatgut nichts zu tun haben will. Weil er noch die anderen Skandale in Erinnerung hat: Futtermittel, Düngemittel, Spritzmittel, BSE. Skandale, die er und seine Kollegen ausbaden müssen, obwohl sie sich die Suppe selten selber eingebrockt haben.

    Dann der Ökologe Benedikt Haerlin, der ebenso skeptisch ist. Und der davor warnt, etwas Lebendiges in die Welt zu setzen. Etwas, das Umwelt, Mensch und Tier gefährlich werden könnte - in einem Ausmaß, das noch keiner kennt.

    Und schließlich der Vertreter des Saatgutmultis Monsanto, der ein Restrisiko der Grünen Gentechnologie zwar einräumt – dieses Risiko aber um des Fortschritts willen in Kauf zu nehmen vorschlägt. Andreas Thierfelder, Agraringenieur bei Monsanto, ist überdies überzeugt, das Restrisiko reiche ohnehin "gegen Null".

    Nach meinem Wissensstand wird in keinem anderen Lebensmittel so intensiv vor Markteinführung das allergene Potential abgeprüft wie bei gentechnisch veränderten Pflanzen.

    Von gentechnisch veränderten Produkten, kurz GV-Produkten, gehe keine Gefahr aus, das zeige schon die Praxis. Von 1996 bis heute ist die weltweit mit genverändertem Saatgut bepflanzte Anbaufläche auf jährlich 60 Millionen Hektar gewachsen; wenn auch fast nur Viehfutter – Soja, Mais und Raps – gesät wird. Und Katastrophen hat es bislang nicht gegeben. Allerdings: Die private Saatgutindustrie, Unternehmen wie Bayer CropScience, Syngenta oder Monsanto, trägt nicht das Risiko möglicher Folgeschäden ihrer genveränderten Produkte für Mensch, Tier und Umwelt. Folgen, die z.B. in Großbritannien für so unberechenbar eingeschätzt werden, dass sich keine Versicherung findet, die das Risiko bei der Aussaat von genmanipulierten Pflanzen übernimmt. Deutsche Versicherungen halten sich ebenfalls bedeckt und schließen GV-Produkte in Policen für erzwungene Rückrufaktionen aus. Wogegen z.B. die Autoindustrie versichert ist, sollten bei einer Seriennummer die Bremsen heiß laufen.

    Georg Janßen, Sprecher der Aktionsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft, eines alternativen Bauernverbandes, teilt das Misstrauen vieler Landwirte gegen die Gentechnik:

    Wir dürfen uns nicht in die Abhängigkeit dieser multinationalen Konzerne begeben. Und wir dürfen uns nicht sagen lassen, dass das gentechnisch veränderte Saatgut das Heil aller Dinge ist. Sondern wir sollten vorsichtig sein, gerade andere Krisen wie die BSE-Krise haben gezeigt, dass man nicht allen Versprechungen der Industrie glauben muss, sondern wir haben ein großes Interesse, nicht wieder auf der Anklagebank der Gesellschaft zu sitzen.

    Aber nicht nur Landwirte rebellieren gegen die Zulassung der genmanipulierten Kunstsaaten aus dem Chemielabor. Auch Verbraucherverbände und Umweltschützer sind dagegen. Am 3. Mai hat die europaweite Initiative "Save our seeds", "Rettet unser Saatgut" in Brüssel eine Petition übergeben, unterschrieben von 200.000 Bürgern und 300 Bauern-, Verbraucher- und Umweltorganisationen von der Katholischen Landjugend bis zur Verbraucherzentrale, von Greenpeace bis Attac. Selbst die Vorsichtigen unter den Kritikern sagen: solange die langfristigen Folgen der Grünen Gentechnologie für Umwelt, Mensch und Tier noch nicht abschätzbar sind, kann man sich auf diese Technik nicht einlassen.

    Natürlich: es gibt Untersuchungen über die gesundheitlichen Folgen von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln; die Europäische Union schreibt sogar ein Genehmigungsverfahren vor, in dem die toxikologische und allergologische Unbedenklichkeit von GV-Produkten nachgewiesen werden soll - vor deren Zulassung. Aber das österreichische Bundesumweltamt resümierte im Jahre 2002 in einer Studie zur "Toxologie und Allergologie von GV- Produkten" einigermaßen vernichtend deren Aussagekraft:

    Der Umfang der Prüfung von Genprodukten sollte wesentlich erweitert werden. Allerdings fehlen dazu noch standardisierte Untersuchungsmethoden. Die bisherige Vorgehensweise zur Sicherheitsbewertung des allergologischen Potentials ist als unzureichend zu betrachten.

    Das österreichische Bundesumweltamt weist darauf hin, dass die Anbieter von GV-Produkten meist keine experimentellen Untersuchungen vornehmen. Vielmehr legen sie nur theoretische Annahmen vor: das gentechnisch veränderte Produkt wird für identisch mit dem herkömmlichen erklärt – jedenfalls im Wesentlichen. Und deshalb seien auch keine Probleme zu vermuten.

    Monsanto und die anderen wollen aber nicht länger warten. Andreas Thierfelder formuliert seine Bedenken gegen allzu lange Forschungstätigkeiten:

    Wenn Gefahrenszenarien aufgemalt werden, dann sollte man auch die tatsächlich aufzeigen können. Und nicht daran festmachen, dass man unbefristet sozusagen Wissenschaft betreiben soll, Forschung betreiben soll, bevor man einen Schritt voran geht. Ich glaube, dann hätten wir in gewisser Weise einen Stillstand in der landwirtschaftlichen Weiterentwicklung.

    Außerdem, so die Gentechindustrie, könne es beides geben: eine so genannte "friedliche Koexistenz" zwischen genverändertem und gentechnikfreiem Anbau. Helga Klein vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter findet das auch:

    Grundsätzlich glaube ich, dass es möglich ist. Aber der Schlüssel zur Koexistenz liegt darin, dass wir einen rechtlichen, EU-weiten Rahmen in Form von Schwellenwerten bekommen, die ein solches Nebeneinander ermöglichen. Gewisse Toleranzen gibt es in jedem Bereich, jeder Golf, der produziert wird, darf fünf Millimeter länger oder kürzer sein. Und in der Natur gibt es auch nicht Null oder Hundert, auch da müssen wir ganz gewisse Toleranzen haben, die übrigens nichts neues sind, sondern Schwellenwerte sind in der Landwirtschaft üblich.

    Mit diesem Argument und dem Argument der Wahlfreiheit wird denn auch die Zulassung genveränderten Saatguts betrieben. Der Deutsche Bundestag hat heute das nationale Gesetz zur Gentechnik verabschiedet. Die europaweiten Vorgaben legt jetzt noch die EU-Kommission fest.

    Die Frage ist nur: Gibt es wirklich eine echte Koexistenz? Ein gleichberechtigtes Nebeneinander? Oder überwältigt sozusagen die eine Anbauform die andere? Genau das nämlich befürchten die Kritiker der so genannten Koexistenz, die auf der einen Seite die Interessen der Genindustrie befriedigen soll und auf der anderen Seite die 70 Prozent der Bauern und Verbraucher in der Europäischen Union zufrieden stellen soll, die auf gentechnikfreie landwirtschaftliche Produkte keinen Wert legen.

    Wenn ich ein Mal auf einem Acker gentechnisch veränderten Raps anbaue, dann kann ich auf diesem Acker zehn Jahre lang keine Produkte mehr herstellen, die unterhalb des Grenzwerts von 0,9 – es gibt ja einen Grenzwert in Lebensmitteln – bleiben. D.h. ein Mal hat der Bauer die Sache versucht. Und dann hängt er sozusagen am Tropf.

    Benedikt Haerlin stützt sich auf Studien in Kanada, die zu dieser Erkenntnis geführt haben. So genannte "gentechnikfreie Lebensmittel" kann ein Bauer, der ein Mal genmanipulierte Saat ausgebracht hat, auf lange Zeit nicht mehr herstellen. Als gentechnisch frei gelten Lebensmittel, die seit April 2004 europaweit nicht mehr als 0,9 Prozent genmanipulierte Bestandteile enthalten.
    Auf biologische Landwirtschaft könnte der Bauer schon gar nicht umsteigen.
    Auch eine Studie der Universität Kiel hat ergeben, dass eine Koexistenz z.B. von genmanipuliertem und konventionellem Raps wegen der weitläufigen Bestäubung der Pflanze nicht möglich ist. Benedikt Haerlin wehrt sich deshalb vehement gegen die Zulassung von genverändertem Saatgut in Europa. Wenn sogar Samen als gentechnikfrei verkauft werden dürften, die 0,3 bis 0,5 Prozent gentechnisch veränderte Organismen enthalten, würde das die konventionelle und erst recht die biologische Landwirtschaft in Schwierigkeiten bringen. Das sieht auch Gebhard Rossmanith von der Bingenheimer Saatgut AG so:

    Das bedeutet für unsere Arbeit, für unsere Saatgutproduzenten: Wenn das so umgesetzt wird, wenn gleichzeitig die Nachweispflicht nicht beim Verursacher sondern bei denen, die letztendlich die Geschädigten sind, liegt, eine erhebliche Erschwernis, Schutzmechanismen aufzubauen gegen eine Verunreinigung, d.h. es wird noch mehr unter geschützten Bedingungen gemacht werden müssen, also Saatgutproduktion nicht mehr im Freiland sondern im Gewächshaus, Ausweichen in entsprechende Regionen: Wo wird das in Zukunft noch möglich sein? Da haben wir natürlich Sorge, dass uns da durch die Hintertür eines Miteinander Existieren Müssens auf den Feldern, was allgemein konstatiert wird – es geht ja wohl nicht anders – dann letztendlich dem Ökolandbau in seiner Gesamtheit und in seiner zentralen Fragen, wo kommt das Saatgut her, erheblicher Schaden zugefügt wird.

    Aber nicht nur die biologische Züchtung von Saatgut wird teurer oder sogar unmöglich. Auch die von Gentechnik freie landwirtschaftliche Produktion, egal ob konventionell oder Bio, kostet dann mehr.
    Denn die Schutzmaßnahmen gegen ungewollten Pollenflug oder die natürliche Insektenbestäubung von den genmanipulierten Feldern, besonders sind das Hecken und Abstandsflächen, werden von den Landwirten mitbezahlt, die gentechnikfrei produzieren.
    Allerdings sind in dem deutschen Gesetz die Haftungsregeln jetzt streng formuliert. Danach kann ein Anbauer von gentechnisch veränderten Produkten sogar dann haftbar gemacht werden, wenn die benachbarten Pflanzen eines konventionellen Bauern unterhalb des Schwellenwertes von 0,9 Prozent durchsetzt sind.
    Kurz: Bauern, die Gentechnik anwenden, haften künftig für Verunreinigungen - in bestimmten Fällen sogar als Gesamtschuldner.

    Also wir gesellen uns an dieser Stelle nicht zu den Pragmatikern, die sagen, es ist nun mal so, wir müssen uns auf einen Minimalwert einigen, sondern unsere Forderung ist ganz klar: Null, Null Toleranz an dieser Stelle, restlose Verursacherhaftbarmachung, d.h. alles, was an irgendwelchen Maßnahmen zu tun ist, um zu verhindern, dass es zu entsprechenden Einkreuzungen kommt, den Verursachern aufbürden. Nur das kann verhindern, dass es letztendlich dazu kommt.

    Die Pragmatiker, denen Gebhardt Rossmanith hier widerspricht, wollen die Verunreinigung von sogenanntem gentechnikfreien Saatgut zulassen. Die Vorlage der Europäischen Kommission sieht Werte zwischen 0,3 und 0,5 Prozent zulässiger Verunreinigung vor. Solches Saatgut müsste nicht als teilweise genmanipuliert gekennzeichnet werden. Der frühere Europaparlamentarier Benedikt Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft hat eine interessante Rechnung aufgemacht: in einem solchen Falle könnten in der EU sieben Milliarden gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, blühen und tausendfach ihre Pollen verbreiten, ohne dass die Landwirte überhaupt etwas davon wissen. Erfahren werden sie nur von den Pflanzen, die sozusagen offiziell als genveränderte Produkte wachsen. Und nur gegen die Verunreinigung, die von diesen Pflanzen ausgeht, sind Schutzmaßnahmen möglich – wenigstens theoretisch - und das alles ganz unabhängig von der Finanzierbarkeit.

    Das Erstaunliche bei der Vorlage aus Brüssel: Die technisch machbare Nachweisgrenze für Verunreinigungen im Saatgut liegt deutlich unter den anvisierten 0,3 bis 0,5 Prozent. Österreich ist vorgeprescht und verlangt in seinem Gentechnikgesetz schon seit zwei Jahren, dass gentechnikfreies Saatgut einen Toleranzwert von nur 0,1 Prozent einhält. Und seit zwei Jahren kann die Saatgutindustrie diesen Grenzwert ohne Probleme erfüllen. Aber auf europäischer Ebene ist die Lobby der Saatgutmultis stärker als in Österreich. In Europa ist folglich vom Ende der Grünen Gentechnik die Rede, wenn die österreichische Regelung europaweit Realität würde. Monsanto dreht sogar den argumentativen Spieß einfach um. Andreas Thierfelder:

    Ich denke, machbar in unserem Wirtschaftsraum ist nur eine EU-weite Regelung. Und wir meinen auch, dass sich über kurz oder lang Österreich dem anschließen wird, sprich, also dort eine europaweite Regelung auch für Österreich gelten wird. Ich glaub nicht, dass ein Alleingang eines EU-Staates in einer so wichtigen landwirtschaftlichen aber auch für den Verbraucher wichtigen Fragen, dass das Sinn macht und durchzuhalten ist.

    Außer Österreich favorisieren noch Dänemark, Ungarn, Italien und Luxemburg ausdrücklich die 0,1 Prozent-Grenze. Die deutsche Regierung hat keine einheitliche Position. Das Verbraucherministerium unterstützt die 0,1 Prozent – ob es aber im Fall eine Konfliktes weiter auf diesen Wert pochen wird, steht nicht fest. Man habe sich, so das Künast-Minsterium, noch nicht festgelegt. Obwohl: die deutsche Haltung könnte letzten Endes mitentscheidend sein.
    Nur wenn zwei Drittel der Mitgliedsstaaten gegen den Kommissions-Vorschlag stimmen, muss eine neue Richtlinie her. Wenn nicht, kommt europaweit das stärker verunreinigte Saatgut – auch auf Bioäcker.

    Und das halte ich für einen Zwangsanbau. Der Bauer kann sich überhaupt nicht mehr dagegen wehren, Gentechnik auf seinem Acker anzubauen. Hier geht es darum, dass den Bauern nicht mehr gesagt wird, was in ihrem Saatgut drin ist. Ist es gentechnikfrei oder ist es nicht gentechnikfrei. Und das, finde ich, ist schon ein starkes Stück.

    Gerade für Biobauern ist das eine Frage der Existenz. Denn nur wenn die ökologische Landwirtschaft als eigenständig erhalten bleibt, können die Vorteile dieser Produktionsform weiter entwickelt werden. Bioprodukte enthalten heute schon mehr Nährstoffe als konventionelle, mehr Vitamine, Mineralstoffe und so genannte sekundäre Pflanzenstoffe, die beim Menschen die Gesundheit fördern.

    Verschiedene Untersuchungsmethoden spiegeln ein feineres und ausgewogeneres Bild bei den Ökosorten wider. Nicht zuletzt nehmen Labortiere, die mit Ökogemüse gefüttert werden, besser an Gewicht zu, sind fruchtbarer und haben weniger Fehlgeburten. In der zweiten und dritten Generation sind sie sogar deutlich leistungsstärker. Mit diesen Vorteilen, auch dem besseren Geschmack von pflanzlichen und tierischen Produkten, ist Schluss, wenn Bioprodukte durch gentechnische Organismen verseucht sind.

    Saatgut, frei von gentechnischer Veränderung, ist dabei entscheidend, weil es am Anfang der landwirtschaftlichen Produktionskette steht.

    Hat ein Bauer das Recht zu wissen, ob ein Saatgut, was er einsetzt, mit gentechnisch veränderten Organismen versetzt ist oder nicht? Das ist lediglich die Verpflichtung des Saatgutunternehmens, das ihm mitzuteilen, was es selbst über dieses Saatgut weiß. Und ich finde, das ist so selbstverständlich wie nur was, ich kann es einfach nicht verstehen, wie man da dann sagen kann: wir brauchen aber Schwellenwerte. Der Bauer muss Schwellenwerte einhalten, 0,9 Prozent ist der Schwellenwert für Produkte. Wenn er darüber kommt, hat er mit erheblichen Einbußen zu rechnen. Und das Saatgutunternehmen soll gleichzeitig freigestellt werden, ihm zu verschweigen, ob in einem bestimmten Mais z.B. bereits ein halbes Prozent, also 0,5 von diesen 0,9 Prozent im Saatgut drin sind!

    Die behauptete "friedliche Koexistenz" des gentechnikfreien mit gentechnisch manipuliertem Anbau ist unter diesen Bedingungen eine Illusion. Offenbar gibt es nur eine erfolgversprechende Methode, Verunreinigungen von der gentechnikfreien Landwirtschaft fern zu halten. Die könnte darin bestehen, weiträumig gentechnikfreie Zonen zu schaffen, freiwillig durch die Landwirte oder erzwungen vom Gesetzgeber. Doch diese Möglichkeit wird von der Europäischen Union als "Wettbewerbshindernis" bekämpft. Die EU-Kommission hat Oberösterreich die Einrichtung einer gentechnikfreien Zone bereits verboten. Die Region fechtet das EU-Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof an.

    Um sich gegen die Gentechnik zur Wehr zu setzen, richten immer mehr Landwirte und Bauernverbände gentechnikfreie Zonen ein. Ein Dutzend europäische Regionen – Schleswig-Holstein, das Salzburger und das Waliser Land, die Acquitaine, das Baskenland, die Toskana und andere – haben sich bereits zusammengeschlossen. Sie machen gemeinsam gegen Brüssel und die Gentech-Lobby Front.

    Auch in kleineren deutschen Regionen verweigern zahlreiche Landwirte gemeinsam den Anbau gentechnisch manipulierten Saatguts. Mit Memoranden oder so genannten freiwilligen Verzichtserklärungen melden die in der Mehrzahl konventionellen Landwirte ihren Widerstand gegen die Gentech-Verordnung aus Brüssel an. Das geht von jeweils einigen wenigen Regionen in Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bis zu einem Dutzend Regionen in Bayern mit insgesamt mehreren hunderttausend Hektar Anbaufläche. Georg Janßen von der Aktionsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sieht darin die einzige Chance, eine vielfältige Landwirtschaft zu erhalten:

    Also man kann durch Widerstand was bewegen und deshalb fordern wir auch alle Bauern, Verbraucherorganisationen auf, sich dieser Frage anzunehmen, wie denn Lebensmittel in Zukunft beschaffen sein sollen. Ob wir uns da in die Abhängigkeit der Multis begeben sollen oder ob wir auf Vielfalt setzen sollen und auf Gesundheit. Letzteres, denke ich, spielt eine viel wichtigere Rolle. Und warum sollen sich da die Bauern gegen die Gesellschaft stellen, indem sie praktisch nur noch Handlanger und Steigbügelhalter der multinationalen Konzerne werden?