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Der Studenten-Profiler

Juristen tragen feine Hosen, Biologen irgendwas, Hauptsache sie sind angezogen, anders Lehrer, die kommen doch tatsächlich auf die Idee, Jeans und Sakko zu kombinieren. Sind das nur billige Klischees oder steckt dahinter mehr? Ein Wuppertaler Soziologe will nun in einer Untersuchung herausgefunden haben, dass es einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, der Lebensweise und der Wahl des Studienfachs gibt.

Autorin: Petra Brönstrup |
    Sie haben auf jeden Fall ein großes Bett, Sie haben nicht ein kleines Bett, sondern ein großes Bett, auch wenn Sie alleine leben. --- Ich habe ein großes Bett, das ist richtig. --- Und tagsüber ist das Bett nicht immer gemacht, oder? --- Selten.

    Der Architektur-Student, der hier in der Mensa in Münster dem Wuppertaler Soziologen Markus Schölling in die Hände gefallen ist, schaut ziemlich verdutzt aus der Wäsche: Woher zum Teufel weiß dieser Mann, der ihn zuvor noch nie gesehen hat, dass er sein Bett nicht macht? Und wieso kennt der sich in seinem Badezimmer aus? Schölling weiß sogar noch mehr:

    Da würde ich sagen, da müssen nicht alle Haare aus dem Kamm heraus, Sie können auch damit leben, so eine geordnete Unruhe in dem Badezimmer. --- Theoretisch ja, dadurch, dass ich mit einer Frau zusammenlebe, ist es ein bisschen eingeschränkter mit den Haaren und auch mit dem Bettmachen, aber sonst ist es richtig, sonst würde ich eher diesem Lebensstil entsprechen.

    Schölling lässt den Blick durch die Mensa schweifen. Ihm fällt eine Frau ins Auge: Blonde Haare, schwarzer Mantel, schwarze Hose, schwarze Schuhe.

    Sie studieren Jura oder BWL, Wirtschaftswissenschaften! --- Soll ich es auflösen? Also, ich habe Politikwissenschaften studiert. --- Politikwissenschaften? --- Ja, aber ich habe Jura oder BWL als Nebenfach. Sieht man das am Äußeren?

    Die Politik-Studentin versucht zu lächeln, Schöllings Analyse geht weiter:

    Sie sind ein Aufstiegskind, ihre Eltern waren keine Juristen. --- Nein. --- Sie gehören nicht zu den typischen Juristen-Familien. --- Nein. --- Ihre Eltern sind vielleicht noch Lehrer, aber die könnten auch ganz normal im Handwerk gelernt haben. --- Mein Vater ist Landwirt gewesen, meine Mutter Grundschullehrerin.

    Schölling grinst, nichts anderes hatte er erwartet. Aber warum? Warum kann der Soziologe am Äußeren ablesen, was Menschen studieren, wie sie leben, woher sie stammen?

    Man kann sagen, dass jeder Student einen gewissen Habitus hat, einen Lebensstil, der geprägt wurde durch die Eltern und zu diesem Lebensstil gehören die verschiedensten Aspekte, die Art des Essens, Kleidung, Wohnen und auch die Studienwahl.

    Schölling hat im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Uni Wuppertal 1.000 Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen in Bochum, Wuppertal und Rostock befragt. Alles hat ihn interessiert: der Beruf der Eltern, die Essgewohnheiten, die Urlaubsziele. Am Ende war ihm klar, dass es einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Lebensweise und Studienfach gibt. Der Sohn eines Handwerkers - sagt Schölling - entscheidet sich nur selten für geisteswissenschaftliche Fächer, dazu fehlt ihm der Horizont, sein Ding sind vielmehr die Ingenieurwissenschaften, weil die Verständnis für Technik voraussetzen. Anders der Geisteswissenschaftler. Der stammt nach Schölling aus einer Familie, die Bildung stets groß geschrieben hat, ein Lehrer-Haushalt beispielsweise, wo Bücher nicht nur zum Kochen benutzt wurden. Aber das ist noch nicht alles. Studenten - sagt Schölling - leben auch ihrer sozialen Herkunft entsprechend:

    Der Biologie-Student tritt auf in der Jeans mit dem Hemd, wenig geordnet, er achtet überhaupt nicht aufs Äußere. Nicht nur, dass er nicht darauf achtet, er hat überhaupt keinen Sinn dafür, obwohl er aus der Mittelschicht kommt und aufstiegsorientiert ist. Er möchte zur höheren sozialen Schicht, wenn man die Gesellschaft in drei Schichten teilt. Er hat das kulturelle Kapital nicht, zu wissen, welche Kombination man trägt, und - ganz wichtig - der Biologie-Student würde sich keine Abendgarderobe anschaffen, die hat er irgendwo, für eine Beerdigung, für eine Hochzeit, aber geht es abends in die Disco oder auf eine Feier, ziehen die sich nicht um.

    Nicht einmal der Bundeskanzler kann dem Soziologen Schölling etwas vormachen.

    Wenn er zum Beispiel sagt: "Gib mir mal'n Bier, sonst sag ich nix mehr hier" oder aber, wenn ihn ein Reporter in einer Nebensächlichkeit nach seinem Lieblingsessen fragt, und er sagt "Currywurst", dann müssen sie sich Klein-Gerhard vorstellen, wie er aus der unteren sozialen Schicht irgendwann mal zur Kirmes gehen durfte einmal im Jahr, ein paar Mark in die Hand gedrückt bekam und sich gedacht hat, jetzt kaufe ich mir eine Currywurst. Das war der Inbegriff seines Lebens, Currywurst war ein Highlight in seinem Leben.

    Nichts ist Zufall, so Schöllings weiser Schluss. Er steht in der Mensa in Münster und taxiert eine Sozialpädagogik-Studentin, die allerdings wehrt sich. Sie will den Soziologen nicht hinter ihre Fassade gucken lassen:

    Ja, weil ich das total blöde finde, die Eltern sind Lehrer, ach so, ja! Super-abwertend und so, das finde ich nicht schön. Über diesen abschätzende Blick, darüber könnte ich mich schon voll aufregen.

    Schölling bleibt gelassen. Ein typisch Beispiel für Menschen, sagt Schölling, die versuchen, ihre soziale Herkunft zu vertuschen, vielleicht sogar etwas besseres sein wollen. Solche Täuschungsmanöver funktionieren in der Regel nicht.

    Das bedarf einer soziologischen Generation beziehungsweise drei Menschengenerationen, der Opa war noch Arbeiter, der Vater stieg auf, der Sohn noch höher, und die Kinder lernen langsam den Umgang mit kulturellen Kompetenzen dazu. Die können dann zu der oberen Schicht gehören, die haben dann diesen Stallgeruch, der Gerhard Schröder fehlt.

    Mittlerweile, das gesteht Schölling zu, können soziale Hürden aber auch überwunden werden. Allerdings fällt das dem einen noch immer schwerer als den anderen. Schölling geht es bei seiner Forschung um die Hintergründe.