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Der Sturz Helmut Schmidts

Durch parteipolitisches Kalkül gelang es, die Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) zu stürzen: Zwei Wochen nach dem Bruch der Regierungskoalition von SPD und FDP wechselte der kleine Koalitionspartner zur Union und ebnete so Helmut Kohl den Weg ins Bundeskanzleramt.

Von Bert-Oliver Manig | 01.10.2007
    "Mehr als drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger sind für Neuwahlen zum Bundestag. Sie empfinden die Art des Wechsels, der heute von Ihnen in geheimer Abstimmung herbeigeführt werden soll, als Vertrauensbruch."

    Bundeskanzler Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982, wenige Stunden vor seiner Abwahl durch den Bundestag. Der Vorgang, den Schmidt als zwielichtige Machenschaft darstellte, entsprach dem Geist des Grundgesetzes: Der Kanzler, der seit dem Rücktritt der liberalen Minister zwei Wochen zuvor nur noch einem sozialdemokratischen Minderheitskabinett vorstand, wurde durch einen neuen Regierungschef abgelöst, der - gestützt auf CDU/CSU und FDP - über eine Mehrheit im Parlament verfügte.

    Auf das Grundprinzip der repräsentativen Demokratie berief sich denn auch der Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang Mischnick, in seiner Antwort auf Schmidt:

    "Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass das Grundgesetz in erster Linie das Parlament aufruft zu handeln, und nur dann, wenn es nicht handeln kann, die Neuwahl als letzte Möglichkeit vorgesehen ist."

    Dennoch: Für das Publikum war der Schwenk der FDP nicht überzeugend. Denn bei den Bundestagswahlen 1980 waren die Liberalen mit einer klaren Koalitionsaussage zugunsten der SPD angetreten. Ihr nun vollzogener Wechsel zur Union erschien nicht nur den Sozialdemokraten als Fahnenflucht. Mutwillig hatte die FDP-Führung die sozialliberale Koalition gesprengt, um dem Niedergang an der Seite der SPD zu entgehen und sich bei den Unionsparteien unterzuhaken.

    Dieses Manöver hatte Schmidt nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition am 17. September mit dem Angebot sofortiger Neuwahlen durchkreuzen wollen:

    "Es wäre nicht in Ordnung, meine Damen und Herren von der FDP, wenn Sie Ihre 1980 mit den Plakattiteln ‚Schmidt/Genscher gegen CSU und CDU’ gewonnenen Mandate jetzt in eine Regierung aus CDU/CSU und FDP einbrächten."

    Genau das aber tat die FDP, die Neuwahlen in dieser Situation unbedingt vermeiden musste. Bereits am 20. September nahmen die Spitzen von Union und FDP in Bonn Koalitionsverhandlungen auf. Der FDP-Vorsitzende, Hans-Dietrich Genscher, konnte sich auf das Wort des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl verlassen, der seinem Duzfreund schon Monate zuvor versichert hatte:

    "Im Übrigen musst Du wissen, dass Du nicht ohne Netz turnst!"

    Kohl ließ Genscher nicht fallen. Er lehnte Schmidts Neuwahl-Angebot ab und gewährte der FDP so eine Schonfrist. Dafür waren die Liberalen in Sachfragen zahm: Sie stimmten sogar einer Zwangsanleihe bei den Besserverdienenden zu, nachdem sie noch kürzlich der SPD eine entsprechende Ergänzungsabgabe brüsk abgeschlagen hatten. Die Ursache für die Harmonie zwischen den künftigen Koalitionspartnern war leicht zu ergründen: Für die FDP hing inzwischen das politische Überleben von erfolgreichen Verhandlungen mit der Union ab. Und für den CDU-Vorsitzenden war dies die wohl letzte Chance, an die Macht zu gelangen. Denn innerparteilich war Helmut Kohl nicht unumstritten, die nächste Kanzlerkandidatur in der Union durchaus noch nicht ausgemacht.

    Nur bei einem Machtwechsel zwischen den Wahlen war der CDU-Chef als Fraktionsvorsitzender selbstverständlich der Kanzlerkandidat der Union. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß wäre lieber aufs Ganze gegangen, um eine Alleinregierung der Union zu erreichen:

    "Ich bin nie ein Gegner des Bündnisses mit der FDP gewesen, aber ich stehe ihm sehr nüchtern und skeptisch gegenüber und man wird die Frage stellen müssen, ob die parteibiologische Lebenszeit der FDP weitergeht oder ob sie nicht weitergeht. Wir haben ja große Bedenken gegen den Fahrplan geäußert. Uns wäre es lieber gewesen, jetzt einen neuen Boden zu legen, eine demokratische Legitimation zu suchen und dann der neuen Regierung, die aufgrund der Wahlen zustande kommt, vier Jahre Zeit zu geben, aber wir haben mit diesem Vorschlag keinen Erfolg gehabt. CDU und FDP haben ihn abgelehnt."

    Die Taktiker Kohl und Genscher setzten sich durch: Am 1. Oktober 1982 wählte die Mehrheit des Bundestages Helmut Kohl zum Kanzler einer christlich-liberalen Koalition.