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Der Südsudan am Vorabend der Unabhängigkeit

Am Samstag wird sich der christlich geprägte Süden des Sudans vom muslimisch geprägten Norden abspalten und seinen eigenen Staat ausrufen. Für ihre Unabhängigkeit vom Norden haben die Südsudanesen seit 1955 gekämpft, in zwei Kriegen und fast 40 Jahre lang.

Von Bettina Rühl | 08.07.2011
    "Die Nationalhymne preist unser Land und die Menschen im Südsudan. Außerdem bitten wir Gott, dass er uns allzeit begleitet, und wir danken ihm dafür, dass er uns von der Sklaverei der Sünde befreit hat. In der Nationalhymne ehren wir unsere Mütter und alle, die uns während des langen Kampfes unterstützt haben – bis zur Unabhängigkeit."

    Das ist sie also, die Nationalhymne des neuen Staates Südsudan, der am Samstag offiziell entstehen wird: als 54. Staat in Afrika. William Ezekiel ist Chefredakteur und Herausgeber der "Sudan Tribune". Die Tageszeitung ist bisher in der Hauptstadt Khartoum erschienen. Mit der de-facto-Unabhängigkeit des Südsudan und seiner offiziellen Anerkennung durch die Staatengemeinschaft aber, verlegt Ezekiel den Sitz seiner Zeitung nach Juba, in die Hauptstadt des Südsudan.

    Auch den Namen seiner Zeitung wird er dort ändern: Im Südsudan wird sie "South Sudan Tribune" heißen und dennoch unter dem alten Namen "Sudan Tribune" auch in Khartoum weiter erscheinen - Ezekiel vollzieht die Teilung des Landes in seinem Unternehmen also gleichsam mit. Persönlich ist er schon 2006 aus Khartoum nach Juba zurückgekehrt.

    "Ich bin einer von denen, die sich für die Unabhängigkeit des Südens eingesetzt haben. Ich habe meine ganze Energie und mein Geld dafür investiert, dass der Südsudan eines Tages zu einem unabhängigen Staat erklärt wird. Und ich bin wirklich stolz darauf."

    Für ihre Unabhängigkeit vom Norden haben die Südsudanesen seit 1955 gekämpft, in zwei Kriegen und fast vierzig Jahre lang. Allein der zweite Krieg dauerte mehr als 20 Jahre, von Anfang der 80er-Jahre bis zum Januar 2005. Krieg und Dürre führten immer wieder zu dramatischen Hungerskatastrophen und großer Not. Um das Schlimmste zu verhindern, versorgte die internationale Gemeinschaft die Bevölkerung im Südsudan sechzehn Jahre lang aus der Luft - ein Kraftakt, der allerdings umstritten war: Denn von der "Operation Lifeline Sudan" profitierten auch die bewaffneten Kämpfer, die humanitäre Hilfe verlängerte auf diese Weise ungewollt den Krieg.

    Doch am Ende gelang, was kaum mehr möglich schien: Am 9. Januar 2005 unterzeichneten die Regierung des Sudan und die Befreiungsarmee des Südsudanesischen Volkes einen Friedensvertrag. Sie einigten sich auch darauf, dass die Südsudanesen nach einer Übergangsfrist abstimmen sollten: Über eine Teilautonomie oder eine Unabhängigkeit. Das Referendum, das am 9. Januar 2011 stattfand, brachte ein eindeutiges Ergebnis: Die Südsudanesen wollten die Lostrennung vom Norden und einen eigenen Staat.

    "Ich bin glücklich, weil unser Land dann uns gehört. Wir werden von seinem Reichtum profitieren und nie wieder arm sein."

    Benneth Hissen lebt in Mundri, einer Stadt im Südsudan, rund 200 Kilometer westlich der Hauptstadt Juba. Hissen hat am Morgen angefangen, das Feld neben seiner Hütte umzugraben. Auf einer Matte unter dem Mangobaum sitzen seine Mutter, eine seiner Schwestern und eine Schwägerin. Auf dem Platz vor den Lehmhütten toben seine vielen Nichten und Neffen. Während des Krieges war er mit seiner Familie ständig auf der Flucht. Hissen selbst war für den Kampf zu jung, aber sechs seiner insgesamt neun Brüder, erzählt er, hätten sich damals dem Aufstand angeschlossen.

    "Der Grund war der: Wir wollten die nordsudanesische Armee nicht länger in unserem Land haben. Die Nordsudanesen haben uns betrogen, sie haben die Reichtümer unseres Landes geplündert. Deshalb haben unsere älteren Brüder angefangen, gegen die Nordsudanesen zu kämpfen. Und wir sind in den Busch geflohen."

    Der Norden und der Süden sind ethnisch, durch Kultur und Religion getrennt: im Norden leben überwiegend arabische Muslime, im Süden schwarzafrikanische Christen. Das Land im Norden ist trocken und zum Teil von Wüste bedeckt, der Süden dagegen ist überwiegend grün und fruchtbar. Entlang dieser Unterschiede eskalierte der Kampf um die politische Macht und die Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums. Denn: Obwohl die Erdölvorkommen fast alle im Südsudan liegen, profitierte nur der Norden von den Gewinnen. Und: Im Kampf gegen die Aufständischen griffen nordsudanesische Soldaten immer wieder auch die Bevölkerung an. Und plünderten Hütten und Felder.

    "Wir waren sehr arm. Wir hatten kaum genug anzuziehen, und Salz konnten wir uns auch nicht leisten. Jetzt geht es uns gut. Wir können uns Salz und Zucker kaufen und alles Mögliche andere."

    Der junge Mann ist froh, auch wenn sich in seine Freude Sorge mischt:

    "Ich habe im Radio gehört, dass die nordsudanesische Armee Abyei eingenommen haben soll. Ich glaube, sie will den nächsten Krieg provozieren."

    Ende Mai ist die nordsudanesische Armee in Abyei einmarschiert, eine Region an der Grenze, auf die der Norden wie der Süden Anspruch erheben. Dort, aber auch in anderen grenznahen Gebieten gab es in den letzten Wochen schwere Kämpfe. Nach UN-Angaben sind infolge dessen rund 100.000 Menschen auf der Flucht.

    Außerdem schloss der Norden die Grenze nach Süden, der Handel über die Straßen kam zum Erliegen. Lebensmittel, Benzin und Diesel sind im Süden deshalb knapp. Vor lauter Sorge wegen der wachsenden Spannungen zwischen Nord und Süd hat Hissen den Ärger über seine eigene Regierung fast vergessen. Aber nur fast.

    "Ich hatte mehr erwartet. Für das Gesundheitswesen hat unsere Regierung gar nichts gemacht. Sie sollte mehr Gesundheitszentren und mehr Schulen bauen. Viele junge Menschen leiden, weil sie nichts lernen können und keine Jobs finden. Sie hängen die ganze Zeit rum oder drehen irgendwelche Dinger, weil sie nichts zu tun haben. Im letzten Jahr hat die Regierung sogar einige Schulen, die vorher renoviert worden waren und in denen unterrichtet wurde, wieder geschlossen. Als die Schulen im letzten Jahr geschlossen wurden, waren alle hier in Mundri wütend. Nicht nur ich, wirklich alle."

    Einen Staat aus dem Nichts aufzubauen, stellt eine enorme Herausforderung dar: Eine Verfassung ist noch in Arbeit, es gibt Fragen, die Größe des Kabinetts betreffend oder die Aufteilung der Ressourcen zwischen Nord und Süd – alles, so scheint es, ist noch offen. Eines aber steht fest: Der Aufbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens steht auf der Prioritätenliste der Regierung ziemlich weit hinten.

    Der Kreisvorsitzende von Mundri-West, Samson Arap Ephraim, ist zu einem Treffen am späten Samstag Nachmittag bereit. In den kleinen Bars von Mundri läuft Musik und wird bereits Bier ausgeschenkt. Auch Arap Ephraim ist einem Drink gegenüber nicht abgeneigt. Also schmeißt er eine Runde, für sich, seine Entourage und für alle, die sonst noch so da sind. Seine Begleitung besteht aus zwei Leibwächtern und einem ständig nickenden Pastor, der während des Krieges in der Befreiungsarmee SPLA Militärpfarrer war und jetzt - neben seine Arbeit in der Kirche - für die Regierungspartei SPLM ein Amt in der Kreisverwaltung bekleidet.

    Auf seine Vorgeschichte ist Arap Ephraim stolz:

    "Ich war selbst im Krieg, ein Teil des Krieges."

    Das gilt für viele Regierungsmitglieder im Süden. Vergangenheit und Gegenwart sind eng miteinander verwoben, die Grenzen zwischen Politik und Militär sind unscharf. So war die SPLM während des Krieges der politische Flügel der Rebellenarmee SPLA. Heute ist sie Regierungspartei und die Rebellenarmee ist zur offiziellen Armee des Südsudans aufgestiegen. Die Regierung wiederum, die von Präsident Salva Kiir geführt wird, ist seit dem Friedensvertrag von 2005 nur kommissarisch im Amt. Sie ist aus der ehemaligen Rebellenarmee hervorgegangen, die einst mit dem Norden über den Frieden und das Referendum verhandelte. Am Samstag erst wird sie die Geschäfte im neuen Staat Südsudan vollständig übernehmen. In der Zeit danach soll die neue Verfassung erarbeitet werden, ein erster Wahltermin ist noch nicht bestimmt.

    Arap Ephraim ist nicht in Militäruniform, sondern in Zivil erschienen.

    "Für mich ist das nur eine Art Pause, keine völlige Rückkehr ins zivile Leben. Wenn die Armee uns braucht, werden wir alle - ohne Frage zu stellen - zur Armee zurückkehren. Ich habe dieses zivile Amt nur übernommen, weil es heute vor allem unsere Aufgabe ist, die Gesellschaft zu organisieren."

    Dass die Bevölkerung klagt, die Regierung habe in den immerhin schon sechs Jahren ihres Bestehens nichts für die Zivilisten getan, ist ihm offenbar bekannt - die Antwort hat er parat:

    "Unsere Regierung ist ja vorerst nur kommissarisch im Amt. Und eines muss die ganze Welt begreifen: Wir haben kein Geld. Was wir haben, reicht nur für den Aufbau von Regierungsstrukturen."

    Eine Schule in Manga Akot, einem Camp für Rückkehrer aus dem Norden. Die Schüler werden im Freien unterrichtet, einzig Bäume bieten Schutz vor Sonne und Regen. Jeder Schultag beginnt mit ein paar Minuten Ritual, in denen militärisch exerziert und gemeinsam gesungen wird.

    Nach dem Gesang marschieren die Klassen zu ihrem jeweiligen Platz unter den Bäumen - noch immer, selbst in Friedenszeiten, ist das Militärische selbstverständlicher Teil des Alltags.

    Die Lehrer bekommen von der Regierung kein Gehalt, und keine Unterstützung für ihre Schule und ihre Schüler. Weil weder die Regierung noch sonst irgendjemand bereit war, im Lager eine Schule aufzubauen, haben sie selbst die Initiative ergriffen. Doch es gibt Schwierigkeiten: Die "Lehrer" haben ihrerseits im besten Fall die weiterführende Schule besucht, sind also weder Pädagogen noch besonders gebildet. Hinzukommt, dass sie auf Englisch unterrichten müssen, der offiziellen Amtssprache im Süden. Im Norden aber haben sie arabisch gesprochen und sind in arabischsprachigen Schulen gewesen. Keiner der Lehrer ist daher in der Lage, in einem Interview auf Englisch zu antworten, alle müssen ins Arabische wechseln. Ring Dan Kinang ist Direktor der Schule:

    "Die Hauptsache ist doch, dass die Kinder etwas lernen. Ich sehe bei all dem kein Problem."

    In vielen Dörfern werden die Kinder nur dank des freiwilligen Engagements von Menschen unterrichtet, die selbst in der Regel nicht einmal die weiterführende Schule abgeschlossen haben. Dabei ist die Regierung in Juba nicht völlig mittellos: Im Friedensvertrag von 2005 haben sich die nordsudanesische Regierung und die südsudanesischen Rebellen darauf geeinigt, dass Khartoum dem Süden bis zum 9. Juli die Hälfte aller Öleinnahmen überweist. Über den Anteil, den der Süden nach dem Vollzug der Teilung bekommen wird, muss noch verhandelt werden.

    Bislang ist die südsudanesische Regierung in Bezug auf ihre Finanzen wenig transparent. Sie behält für sich, wie viel Geld sie bereits vom Norden bekommen hat. Nach einer Hochrechnung der "Neuen Zürcher Zeitung" waren es im vergangenen Jahr fast zwei Milliarden Dollar. Auch wofür sie die Einnahmen verwendet, macht sie nicht öffentlich. Wolf-Christian Paes vom Bonner Internationalen Konversionszentrum berät die südsudanesische Regierung im Auftrag des Auswärtigen Amtes bei der Demobilisierung von Kämpfern. Aber obwohl er in der Hauptstadt Juba nahe am politischen Geschehen ist, bekommt auch er keinen Einblick in die Finanzen.

    "Offiziell ist es über die Hälfte vom Staatshaushalt, die in den Sicherheitssektor fließen, also Militär, Polizei, usw. Der Militärhaushalt ist eine Frage der nationalen Sicherheit, sodass man im Detail wenig Einsichten darein hat, wofür das Geld verwendet wird. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das Geld im Wesentlichen in Gehälter fließt."

    Durch die hohen Ausgaben für die Soldaten will die Regierung vermutlich die Loyalität der Armee erkaufen. Trotzdem ist die Kommandogewalt im Laufe der Jahre nicht stärker geworden, sondern schwächer. Etliche Offiziere aus den Reihen der SPLA haben sich offen gegen die Regierung gestellt und rebellieren.

    Einer von ihnen ist Peter Gadet, einst ein wichtiger Kommandant der SPLA. Bis er sich gegen die Regierung stellte. Heute ist er einer der prominentesten Rebellen des Südsudans. Der BBC ist es gelungen, ein Trainingscamp seiner neu gegründeten Rebellenarmee SSLA zu besuchen, der "Befreiungsarmee des Südsudans". In ihrem Camp im Busch singen sie: "Salva Kiir go" – gemeint ist der Präsident des Landes. Sprecher der SSLA ist Bol Gatouth Kol.

    "Wir sind eine neue Organisation, die aus der SPLA hervorgegangen ist. Wir haben uns aus vielen Gründen für die Rebellion entschieden: Erstens verweigert die Regierung des Südsudan demokratische Reformen. Zweitens ist die Korruption enorm. Es ist kaum zu glauben, aber die Regierung hat in den fünf oder sechs Jahren ihres Bestehens bestimmt 20 Milliarden Dollar bekommen, und im Südsudan hat sich dennoch nichts zum Besseren verändert."

    Ein weiterer Grund für den Aufstand, so der Sprecher der Rebellenarmee, sei die ethnische Unausgewogenheit. In Militär und Regierung seien die Dinka übermächtig - eine Klage, die im Südsudan oft zu hören ist. Peter Gadet und die Mitglieder seiner SSLA sind Nuer, aber auch andere Ethnien fühlen sich an den Rand gedrängt. Gadets Rebellion - so kurz vor der Unabhängigkeit - stellt für die südsudanesische Regierung ein großes Problem dar. Denn die Basis der SSLA ist der ölreiche Bundesstaat Unity. Auch dort - nahe der Ölfelder – haben in den letzten Wochen schwere Kämpfe stattgefunden.

    Dem Bericht der BBC zufolge sollen die Aufständischen über ganz neue Waffen verfügen, darunter Mörser, Maschinengewehre und Raketenwerfer. Die Südsudanesische Regierung behauptet, der Aufstand werde von Khartoum durch die Lieferung von Waffen unterstützt, um den Süden zu destabilisieren. Die Regierung von Präsident Omar al Bashir und die SSLA weisen diesen Vorwurf jedoch zurück und verweisen darauf, die Rebellen hätten ihre Waffen aus Beständen der SPLA. Allerdings soll die UNO ernstzunehmende Hinweise darauf haben, dass zumindest einige der Waffen tatsächlich aus dem Norden stammen.

    Kurz vor dem großen Tag und der lang ersehnten Unabhängigkeit scheint die Zukunft des Südens zunehmend ungewiss. Da sind die Spannungen an der Grenze zum Norden; der Status von drei Regionen ist weiterhin ungeklärt; der Anteil des Südens an den Öleinnahmen muss neu verhandelt werden. Und viele Rückkehrer aus dem Ausland stehen vor dem Nichts, sind kaum in der Lage, sich im Süden eine neue Existenz aufzubauen.

    Die Stimmung vieler Südsudanesen habe sich daher seit Januar drastisch verändert, sagt William Ezekiel, Chefredakteur und Herausgeber der "Sudan Tribune", kurz nach dem Referendum seien alle euphorisch gewesen, ein halbes Jahr später aber dominierten die gemischten Gefühle - auch wenn am Samstag mit Sicherheit gejubelt werde: Beim Einholen der Flagge des Nordsudan. Und beim Hissen der neuen gestreiften Flagge des Südsudan:

    "Oben ist sie schwarz, wegen der Farbe unserer Haut. Dann ein weißer Streifen: Der steht für den Frieden. Dann Rot, wegen des Blutes, das die Menschen im Süden vergossen haben. Nach dem Blut kommt noch einmal Weiß für den Frieden. Dann Grün, wegen der üppigen Vegetation im Südsudan. Links steht ein blaues Dreieck, das die Einheit aller Regionen des Südens symbolisiert. Blau ist es wegen der Farbe des Nils – Und: in der Mitte des Dreiecks dann ein weißer Stern: weil der Süden eines Tages so hell leuchten wird wie ein Stern."

    Während der Journalist die neue Flagge seines Landes beschreibt, steht Begeisterung in seinen Augen. Und die Sorge, dass das so euphorisch begleitete "Projekt" Südsudan am Ende scheitern könnte.

    "Ich bin nicht sehr optimistisch, was die Freiheit der Rede und die Meinungsfreiheit angeht. Nach dem, was wir erleben, entwickelt sich unser Land in keine gute Richtung. Wenn das so weitergeht, könnte das eines Tages in einer Art Diktatur enden. Und dann die Sicherheitslage, die ganzen Aufstände - das alles ist sehr beunruhigend. Es steht nicht gut um den Südsudan, vor allem nicht, was die Sicherheit angeht."