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Der Supposé-Verlag

Dass ein furioser Avantgarde-Künstler wie Oswald Wiener zu seinem 65. Geburtstag keine gewöhnliche Hommage zu erwarten hat, liegt auf der Hand. Die einleitenden Takte stammen von "wolfgang müller und der óskarinn", Müller ist als Kopf der Experimental-Trash-Band "Töd-liche Doris" bekannt geworden. Diese und 19 andere Lobeshymnen der etwas anderen Art, von Autoren und Künstlern, Weggefährten Wieners wie Gerhard Rühm, Valie Export und Attersee, aber auch jungen Elektronikmusikern versammelt die CD 2 zu 3.

Enno Stahl | 25.06.2001
    Diese sonderbare Anthologie ist nur eine der neuen Publikationen des Kölner Verlags für Audiophilosophie "Supposé", der bereits mit seltenen Originaltonaufnahmen Vilem Flussers, Heinz von Foersters oder E.M. Cioran ein lebhaftes Echo erfuhr.

    Hinter "Supposé" steht der Literatur- und Medienwissenschaftler Klaus Sander. Wie ist es zur Gründung eines solchen unkonventionellen Unternehmens im Grenzbereich zwischen Buch- und Schallplattenhandel gekommen?

    Unsere erste CD-Veröffentlichung war im Herbst 1996, liegt also schon einige Jahre zurück, damals war das allerdings nicht mit der Absicht einen Verlag zu gründen oder eine Edition zu starten, sondern einfach aus CUT der eigenen Biografie begründet. Ich hab damals [im] einige Jahre im Nachlass von Vilem Flusser gearbeitet, auch Bücher und Texteditionen von ihm herausgegeben und während dieser Arbeit einen Mangel empfunden, dass dem gesprochenen Wort, gerade auch in seinem Fall, keine Bedeutung zugemessen wurde, vor allem posthum, es gab eine Flut von Veröffentlichungen posthum, und ich habe Flusser allerdings kennen gelernt, hab bei ihm studiert, und hab ihn kennen gelernt als brillanten Redner, Erzähler und Vortragenden und erst sekundär über seine Texte und hatte dann bei der schweren Lektüre der Texte immer seine Stimme im Ohr. Und ich glaube, dass in seinem Fall er geschrieben hat im Rhythmus des Sprechens, und deshalb es elementar wichtig ist für sein Werk, ihn gehört zu haben. [und um das Leuten zu ermöglichen, die ihn während seines Lebens nicht erlebt haben, war da die Idee, eine Audio-CD zu veröffentlichen]. Es war nicht die Idee da, den Verlag zu gründen. Ich hab damals ein Buch herausgegeben mit gesammelten Interviews von Flusser für einen anderen Verlag, hatte dem Verleger den Vorschlag gemacht, eine CD beizufügen, dem Buch. Er hat es damals aus Kostengründen abgelehnt, und aus diesem Mangel heraus war dann die Idee, diese CD zu produzieren.

    Tatsächlich wurde doch ein Verlag daraus, der mit einer ganzen Reihe aufwendig produzierter CDs und Doppel-CDs aufwartete, teils mit umfangreichen Begleitbüchern ausgestattet. Was aber macht den Reiz solcher Theorie-Veröffentlichungen aus, immerhin handelt es sich um komplexes Material, nicht eben leichte Kost. Gibt es einen Eigenwert der akustischen Version?

    Grundsätzlich würde ich das nicht unbedingt sagen, das hängt vom Einzelfall ab. CUT Ich habe grade schon das Beispiel Vilem Flusser genannt, in seinem Fall ist es sicherlich so. [CUT.....] Vielleicht ein noch charakteristischerer Fall: Heinz von Foerster, dessen Bücher, die in Deutschland erhältlich sind, durch die Reihe Transkriptionen sind, also Verschriftlichungen von Vorträgen oder Interviews, und er eigentlich gar kein Autor oder Schriftsteller ist, sondern eher Experimentator und auch Erzähler.

    Hört man sich in die Supposé-Veröffentlichungen ein, zeigt sich denn auch sehr schnell, dass es sich keineswegs um trockene Elaborate und graue Theorie handelt. Ganz im Gegenteil: die Originaltonaufnahme macht philosophisches Denken sinnlich erfahrbar. Zudem erweist sich mancher der vermeintlich schwierigen Denker als ausgesprochen amüsanter Unterhalter. So versucht Paul Feyerabend, Vertreter der kritischen Theorie, seiner Frau per akustischer Briefbotschaft, Brechts Dreigroschenoper nahe zu bringen. Ganz nebenbei kriegt er dabei die Kurve zur unangemessenen Verteilung der menschlichen Güter, der sozialen Unausgewogenheit in der Welt.

    Auch in anderen Fällen ist die Begegnung mit dem gesprochenen Vortrag höchst aufschlussreich. Klaus Theweleit etwa redet ohne festes Konzept über das "RAF-Gespenst". Ein Vergleich dieser CD-Fassung mit der gedruckten Version dieses Vortrags, erschienen in der Essay-Sammlung "Ghosts", ist hochinteressant. Der akustische Theweleit spricht viel freimütiger über die eigene Jugend und die Erinnerungen aus der 68er-Zeit.

    Es scheint, als ob durch die Verwendung von Originalaufnahmen der Mensch hervortritt, den die Verschriftlichung zugunsten des Kunstprodukts "Autor" verschwinden macht. Spannendes kann man erst recht bei Hubert Fichte erwarten, von dem zuletzt gleich zwei CDs erschienen sind. Während es sich bei "Gott ist ein Mathematiker" lediglich um einen Radio-Essay handelt, führen die "St. Pauli Interviews" unmittelbar ins Zentrum von Fichtes Methode. Tatsächlich beruhen die meisten seiner Bücher, insbesondere der frühen Erfolge "Die Palette" oder "Wolli Indienfahrer" auf ausgedehnten Sozialrecherchen.

    Mit dem Bandgerät tat Fichte sich im Hamburger Rotlichtmilieu um, sprach mit Prostituierten und Bordellangestellten. Weite Teile seiner Romane sind regelrechte Abschriften. Bis zuletzt hat Fichte auf diese Weise gearbeitet, diente ihm das Tonbandprotokoll als Mittel der unmittelbaren Dokumentation. Die "St. Pauli Interviews" weisen ihn als sensiblen Frager aus, dem die Interviewten auch intime Details anvertrauen.

    Fichtes behutsame Direktheit fördert jene dunklen Bereiche zutage, von denen Paul Feyerabend sprach. Er öffnet uns exemplarisch die Personen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, seien es nun wie hier Protagonisten der deutschen Halbwelt oder der unterprivilegierten Dritten Welt, denen die späteren Interviews des Hamburger Autors galten. Diese Fichte-Bänder, weitere sollen folgen, ermöglichen der Literaturwissenschaft einen neuen Zugang zum Werk eines Schriftstellers, der zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten ist.

    Man sieht, das Spektrum des Audiophilosophie-Verlags "Supposé" ist weit gesteckt, der Anspruch stets hoch. Angesichts der Hörbuch-Mode, die sich zumeist weit weniger auf Literatur als auf Klamauk und Kabarett stützt, fragt man sich, wer sind eigentlich die typischen Klienten dieses engagierten Programms? Sind auch solche Hörerfahrungen staugerecht, also autofahrer-tauglich?

    Naja, wir gehen bei der Produktion natürlich eher von unseren Interessen aus oder von dem, was uns wichtig erscheint, und überlegen uns erst sekundär, welche Rezipienten das erreichen könnte oder wird, oder in welchen Situationen sie das konsumieren. Das bleibt also jedem selbst überlassen, man kann natürlich gerne auch eine Supposé-CD im Auto, während der Fahrt, hören. Ich möchte nur sehr stark unterscheiden zwischen Hörbuch und unseren Veröffentlichungen, weil man mit Hörbuch assoziiert oder Hörbuch definiert als einen gelesenen Text, den es in gedruckter Form, sei es als Essay oder auch als Buch, schon veröffentlicht gibt, der dann gelesen wird [durch einen] entweder durch den Autor selbst oder einen Schauspieler oder Sprecher. So sind wir eigentlich interessiert, dass eine eigenständige Form, die Audio-CD in diesem Fall, wobei ich mich auch nicht auf den materiellen Träger der CD, der wahrscheinlich bald in Kürze überholt sein wird, festlegen lassen möchte, aber Audio als eine eigene künstlerische oder publizistische Form zu erkennen und zu schätzen.

    Man kann sagen, dass Supposé auf diesem Weg schon recht weit gekommen ist, der Verlag hat eine Lücke geschlossen, von der man kaum ahnte, dass es sie überhaupt gibt. Gewissermaßen hat Klaus Sander mit seinem Programm nicht nur eine neue mediale Sparte getroffen, sondern eine neue Wahrnehmungsschiene eröffnet, die uns vor allem eins vermittelt: die sinnliche Qualität von Theorie.