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Der Tanz des Bären

Von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch feiern die Narren die Fünfte Jahreszeit. Nicht nur in Deutschland und in der Schweiz haben die Umzüge und Bälle eine lange Tradition, sondern auch in Italien wird gefeiert - und das längst nicht nur in Venedig. Im Süden des Landes wird seit mehreren hundert Jahren ein Karneval mit geheimnisvollen Riten zelebriert. Karl Hoffmann berichtet.

    Der Mann in der blutroten Maske, getroffen von gegnerischem Schwerte bäumt sich auf, wirft Arme und Kopf zurück, noch verharrt er im Gleichgewicht, da oben am Ende der Leiter, aber lange wird er sich nicht mehr halten können. Der Mastro di Campo scheint verloren...

    "Das dauert mindestens drei Minuten, die Agonie des Mastro di Campo. Das ist der absolute Höhepunkt unsere Karnevals. Sich aufrecht nach hinten fallen zu lassen ist überhaupt nicht einfach. Wenn du rückwärts in die Tiefe zu stürzen drohst, dann knickst du automatisch in den Knien ein. Das kann man beim Karnevalsspiel aber nicht bringen, das würde alles ruinieren. Du musst dich hinunterstürzen - steif wie eine Statue. Daran kannst man messen wie gut ein mastro di campo ist."
    Der merkwürdige Karneval von Mezzujuso reicht Jahrhunderte zurück, wann alles angefangen das hat auch der Lokalhistoriker und Dorfschullehrer Albano nicht herausgefunden.

    "Vor ein, zweihundert Jahren war die Geschichte wahrscheinlich sehr viel einfacher. Im Laufe der Zeit sind immer neue Figuren und Szenen dazugekommen. Jede Menge Anspielungen sind das, wie der Tanz des Bären hier, eine Allegorie der Erotik, und die Leute machen alle mit. Den im Karneval ist alles erlaubt, danach nicht mehr."

    Überall in Sizilien steht die Welt am Karneval Kopf. In Saponara tanzt der Bär in Ketten und seine Häscher blasen auf Muscheln - als kämen sie direkt aus der Südsee. In dem kleinen Ort Novara gleich in der Nachbarschaft werden am Karneval die Käse gerollt, 12 Kilo schwere Räder aus Pecorino, die natürlich am Ende der tollen Jagd durch die Dorfstraßen in einem großen Gelage verspeist werden.

    Karneval in Sizilien, das sind nicht nur die üblichen Umzüge, sondern ausgefeilte Schauspiele, jahrhundertealte Traditionen, Feste, bei denen alle Einwohner Mitmachen. Zum ersten mal feierte man um das Jahr 1600 in Palermo, inzwischen hat fast jeder Ort seine eigenen Karnevalstraditionen: Pantomimen wie in Mezzojuso, Umzüge, Paraden, Konzerte. Und überall steckte hinter dem närrische Treiben die Lust, den tristen Alltag mit all seinen Tabus zu vergessen und wenigstens einmal im Jahr so richtig über die Stränge zu schlagen. Obwohl auch in Sizilien die Sitten inzwischen viel lockerer geworden sind, erfreuen sich die oft tagelangen Festlichkeiten immer größerer Beliebtheit. Und gegessen wird mehr denn je, unter anderem eine spezielle Gemüsesuppe mit viel Schweinespeck und gebackene Teigwaren mit Honig und Zimt, die Pignoccata oder so genannte Türkenköpfe - ein Schmalzgebäck, gefüllt mit Creme und Rosinen. Karneval war aber auch immer ein Fest des Aberglaubens: mit oft rasender Ausgelassenheit ließen sich zeitweise die bösen Geister bannen. Wie in Corleone, der einstigen Hochburg der Mafiabosse.

    Der Höhepunkt am Faschingsdienstag ist der Tanz um einen großen brennenden Scheiterhaufen mit der Hauptfigur, dem Nannu, der das zurückliegende Jahr darstellt und sein Testament verliest, bevor er symbolisch verbrannt wird. Viele ziehen sich die typische Maske von Corleone über, den Diavolicchio, um damit den Teufel auszutreiben für die Zeit nach dem Karneval.